neben der Sternwarte gelegenen Gemächer, in denen sich der Oberpriester nach dem Gottesdienste aufzuhalten und auszuruhen pflegte.
Neithoteph, ein Greis von siebenzig Jahren, saß in einem prächtigen, mit schweren babylonischen Teppichen belegten Gemache, auf dem Purpurkissen eines vergoldeten Lehnstuhls. Seine Füße ruhten auf einer kunstreich ge- schnitzten Fußbank. Jn den Händen hielt er eine mit Hieroglyphenzeichen bedeckte Rolle. Hinter ihm stand ein Knabe, welcher mit einem Wedel von Straußenfedern die Jnsecten aus seiner Nähe verscheuchte.
Das Angesicht des priesterlichen Greises war voller Runzeln; doch mochte es einstmals schön gewesen sein. Aus den großen blauen Augen sprach noch heute ein lebendiger Geist und würdiges Selbstbewußtsein.
Neithoteph hatte seine künstlichen Locken abgelegt. Der kahle, glatte Schädel stach eigenthümlich von dem ge- furchten Angesichte ab, und ließ die bei den Aegyptern gewöhnlich flache Stirn ausnehmend hoch erscheinen. -- Das bunte Zimmer, an dessen Wände tausend Sprüche, in Hieroglyphenschrift, gemalt waren, die verschiedenartigen, farbigen Bildsäulen der Göttin, welche in demselben stan- den, und das schneeige Weiß der Kleidung des Priesters konnten nicht verfehlen, auf den Fremden einen ebenso feier- lichen als seltsamen Eindruck zu machen.
Der Greis empfing den Thronerben mit großer Herz- lichkeit und fragte:
"Was führt meinen erlauchten Sohn zu dem armen Diener der Gottheit?"
"Jch habe Dir Vieles zu berichten, mein Vater;" erwiederte Psamtik mit triumphirendem Lächeln, "denn ich komme soeben von Amasis."
neben der Sternwarte gelegenen Gemächer, in denen ſich der Oberprieſter nach dem Gottesdienſte aufzuhalten und auszuruhen pflegte.
Neithoteph, ein Greis von ſiebenzig Jahren, ſaß in einem prächtigen, mit ſchweren babyloniſchen Teppichen belegten Gemache, auf dem Purpurkiſſen eines vergoldeten Lehnſtuhls. Seine Füße ruhten auf einer kunſtreich ge- ſchnitzten Fußbank. Jn den Händen hielt er eine mit Hieroglyphenzeichen bedeckte Rolle. Hinter ihm ſtand ein Knabe, welcher mit einem Wedel von Straußenfedern die Jnſecten aus ſeiner Nähe verſcheuchte.
Das Angeſicht des prieſterlichen Greiſes war voller Runzeln; doch mochte es einſtmals ſchön geweſen ſein. Aus den großen blauen Augen ſprach noch heute ein lebendiger Geiſt und würdiges Selbſtbewußtſein.
Neithoteph hatte ſeine künſtlichen Locken abgelegt. Der kahle, glatte Schädel ſtach eigenthümlich von dem ge- furchten Angeſichte ab, und ließ die bei den Aegyptern gewöhnlich flache Stirn ausnehmend hoch erſcheinen. — Das bunte Zimmer, an deſſen Wände tauſend Sprüche, in Hieroglyphenſchrift, gemalt waren, die verſchiedenartigen, farbigen Bildſäulen der Göttin, welche in demſelben ſtan- den, und das ſchneeige Weiß der Kleidung des Prieſters konnten nicht verfehlen, auf den Fremden einen ebenſo feier- lichen als ſeltſamen Eindruck zu machen.
Der Greis empfing den Thronerben mit großer Herz- lichkeit und fragte:
„Was führt meinen erlauchten Sohn zu dem armen Diener der Gottheit?“
„Jch habe Dir Vieles zu berichten, mein Vater;“ erwiederte Pſamtik mit triumphirendem Lächeln, „denn ich komme ſoeben von Amaſis.“
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neben der Sternwarte gelegenen Gemächer, in denen ſich
der Oberprieſter nach dem Gottesdienſte aufzuhalten und
auszuruhen pflegte.
Neithoteph, ein Greis von ſiebenzig Jahren, ſaß in
einem prächtigen, mit ſchweren babyloniſchen Teppichen
belegten Gemache, auf dem Purpurkiſſen eines vergoldeten
Lehnſtuhls. Seine Füße ruhten auf einer kunſtreich ge-
ſchnitzten Fußbank. Jn den Händen hielt er eine mit
Hieroglyphenzeichen bedeckte Rolle. Hinter ihm ſtand ein
Knabe, welcher mit einem Wedel von Straußenfedern die
Jnſecten aus ſeiner Nähe verſcheuchte.
Das Angeſicht des prieſterlichen Greiſes war voller
Runzeln; doch mochte es einſtmals ſchön geweſen ſein.
Aus den großen blauen Augen ſprach noch heute ein
lebendiger Geiſt und würdiges Selbſtbewußtſein.
Neithoteph hatte ſeine künſtlichen Locken abgelegt.
Der kahle, glatte Schädel ſtach eigenthümlich von dem ge-
furchten Angeſichte ab, und ließ die bei den Aegyptern
gewöhnlich flache Stirn ausnehmend hoch erſcheinen. —
Das bunte Zimmer, an deſſen Wände tauſend Sprüche,
in Hieroglyphenſchrift, gemalt waren, die verſchiedenartigen,
farbigen Bildſäulen der Göttin, welche in demſelben ſtan-
den, und das ſchneeige Weiß der Kleidung des Prieſters
konnten nicht verfehlen, auf den Fremden einen ebenſo feier-
lichen als ſeltſamen Eindruck zu machen.
Der Greis empfing den Thronerben mit großer Herz-
lichkeit und fragte:
„Was führt meinen erlauchten Sohn zu dem armen
Diener der Gottheit?“
„Jch habe Dir Vieles zu berichten, mein Vater;“
erwiederte Pſamtik mit triumphirendem Lächeln, „denn ich
komme ſoeben von Amaſis.“
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/117>, abgerufen am 16.02.2025.
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