länger schweigen, und mit einer Stimme, welche wie Posaunenklänge durch die weite Halle schmetterte, rief er aus: "Weißt Du wohl, wessen Dasein ich opfern müßte, wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal- tung des von mir begründeten Herrscherhauses lieber wäre, als die Wohlfahrt dieses Landes? Kennst Du, großspreche- rischer, rachdürstiger Sohn des Unheils, den zukünftigen Verderber dieses herrlichen, uralten Reichs? Du bist es, Du, Psamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den Menschen gefürchtete Mann, dessen Herz keine Liebe, dessen Brust keine Freundschaft, dessen Antlitz kein Lächeln, dessen Seele kein Mitleid kennt! -- Aber Du hast keine Schuld an Deinem unseligen Wesen und den schlimmen Erfolgen, welche alles traurig enden, was Du beginnst. -- Höre jetzt, denn einmal muß es gesagt sein, was ich Dir lange verschweigen zu müssen glaubte: Jch hatte meinen Vor- gänger gestürzt und ihn gezwungen, mir seine Schwester Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb und versprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem Kinde beschenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner Geburt vorherging, schlief ich, vor dem Lager meiner Gattin sitzend, ein. -- Da träumte mir folgendes:
"Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, sie empfinde Schmerzen in der Brust. Jch beugte mich zu ihr hernieder und sah, daß eine Cypresse ihrem Herzen entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter und schwärzer; seine Wurzeln aber wanden sich um Deine Mutter und erwürgten sie. Ein kalter Schauder faßte mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob sich von Osten her ein furchtbarer Orkan, der die Cypresse umstürzte und sie niederwarf, so daß ihre breiten Zweige in den Nil schlugen. -- Da hörte der Strom zu fließen auf; sein
länger ſchweigen, und mit einer Stimme, welche wie Poſaunenklänge durch die weite Halle ſchmetterte, rief er aus: „Weißt Du wohl, weſſen Daſein ich opfern müßte, wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal- tung des von mir begründeten Herrſcherhauſes lieber wäre, als die Wohlfahrt dieſes Landes? Kennſt Du, großſpreche- riſcher, rachdürſtiger Sohn des Unheils, den zukünftigen Verderber dieſes herrlichen, uralten Reichs? Du biſt es, Du, Pſamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den Menſchen gefürchtete Mann, deſſen Herz keine Liebe, deſſen Bruſt keine Freundſchaft, deſſen Antlitz kein Lächeln, deſſen Seele kein Mitleid kennt! — Aber Du haſt keine Schuld an Deinem unſeligen Weſen und den ſchlimmen Erfolgen, welche alles traurig enden, was Du beginnſt. — Höre jetzt, denn einmal muß es geſagt ſein, was ich Dir lange verſchweigen zu müſſen glaubte: Jch hatte meinen Vor- gänger geſtürzt und ihn gezwungen, mir ſeine Schweſter Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb und verſprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem Kinde beſchenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner Geburt vorherging, ſchlief ich, vor dem Lager meiner Gattin ſitzend, ein. — Da träumte mir folgendes:
„Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, ſie empfinde Schmerzen in der Bruſt. Jch beugte mich zu ihr hernieder und ſah, daß eine Cypreſſe ihrem Herzen entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter und ſchwärzer; ſeine Wurzeln aber wanden ſich um Deine Mutter und erwürgten ſie. Ein kalter Schauder faßte mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob ſich von Oſten her ein furchtbarer Orkan, der die Cypreſſe umſtürzte und ſie niederwarf, ſo daß ihre breiten Zweige in den Nil ſchlugen. — Da hörte der Strom zu fließen auf; ſein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0110"n="92"/>
länger ſchweigen, und mit einer Stimme, welche wie<lb/>
Poſaunenklänge durch die weite Halle ſchmetterte, rief er<lb/>
aus: „Weißt Du wohl, weſſen Daſein ich opfern müßte,<lb/>
wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal-<lb/>
tung des von mir begründeten Herrſcherhauſes lieber wäre,<lb/>
als die Wohlfahrt dieſes Landes? Kennſt Du, großſpreche-<lb/>
riſcher, rachdürſtiger Sohn des Unheils, den zukünftigen<lb/>
Verderber dieſes herrlichen, uralten Reichs? Du biſt es,<lb/>
Du, Pſamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den<lb/>
Menſchen gefürchtete Mann, deſſen Herz keine Liebe, deſſen<lb/>
Bruſt keine Freundſchaft, deſſen Antlitz kein Lächeln, deſſen<lb/>
Seele kein Mitleid kennt! — Aber Du haſt keine Schuld<lb/>
an Deinem unſeligen Weſen und den ſchlimmen Erfolgen,<lb/>
welche alles traurig enden, was Du beginnſt. — Höre<lb/>
jetzt, denn einmal muß es geſagt ſein, was ich Dir lange<lb/>
verſchweigen zu müſſen glaubte: Jch hatte meinen Vor-<lb/>
gänger geſtürzt und ihn gezwungen, mir ſeine Schweſter<lb/>
Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb<lb/>
und verſprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem<lb/>
Kinde beſchenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner<lb/>
Geburt vorherging, ſchlief ich, vor dem Lager meiner<lb/>
Gattin ſitzend, ein. — Da träumte mir folgendes:</p><lb/><p>„Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, ſie<lb/>
empfinde Schmerzen in der Bruſt. Jch beugte mich zu<lb/>
ihr hernieder und ſah, daß eine Cypreſſe ihrem Herzen<lb/>
entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter<lb/>
und ſchwärzer; ſeine Wurzeln aber wanden ſich um Deine<lb/>
Mutter und erwürgten ſie. Ein kalter Schauder faßte<lb/>
mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob ſich von Oſten<lb/>
her ein furchtbarer Orkan, der die Cypreſſe umſtürzte und<lb/>ſie niederwarf, ſo daß ihre breiten Zweige in den Nil<lb/>ſchlugen. — Da hörte der Strom zu fließen auf; ſein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[92/0110]
länger ſchweigen, und mit einer Stimme, welche wie
Poſaunenklänge durch die weite Halle ſchmetterte, rief er
aus: „Weißt Du wohl, weſſen Daſein ich opfern müßte,
wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal-
tung des von mir begründeten Herrſcherhauſes lieber wäre,
als die Wohlfahrt dieſes Landes? Kennſt Du, großſpreche-
riſcher, rachdürſtiger Sohn des Unheils, den zukünftigen
Verderber dieſes herrlichen, uralten Reichs? Du biſt es,
Du, Pſamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den
Menſchen gefürchtete Mann, deſſen Herz keine Liebe, deſſen
Bruſt keine Freundſchaft, deſſen Antlitz kein Lächeln, deſſen
Seele kein Mitleid kennt! — Aber Du haſt keine Schuld
an Deinem unſeligen Weſen und den ſchlimmen Erfolgen,
welche alles traurig enden, was Du beginnſt. — Höre
jetzt, denn einmal muß es geſagt ſein, was ich Dir lange
verſchweigen zu müſſen glaubte: Jch hatte meinen Vor-
gänger geſtürzt und ihn gezwungen, mir ſeine Schweſter
Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb
und verſprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem
Kinde beſchenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner
Geburt vorherging, ſchlief ich, vor dem Lager meiner
Gattin ſitzend, ein. — Da träumte mir folgendes:
„Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, ſie
empfinde Schmerzen in der Bruſt. Jch beugte mich zu
ihr hernieder und ſah, daß eine Cypreſſe ihrem Herzen
entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter
und ſchwärzer; ſeine Wurzeln aber wanden ſich um Deine
Mutter und erwürgten ſie. Ein kalter Schauder faßte
mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob ſich von Oſten
her ein furchtbarer Orkan, der die Cypreſſe umſtürzte und
ſie niederwarf, ſo daß ihre breiten Zweige in den Nil
ſchlugen. — Da hörte der Strom zu fließen auf; ſein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/110>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.