Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747.Ein aufgewelzter Schneeball. Jch konnte an dem klebricht WesenDes Schnees, diese Warheit lesen: Ein Ding von einer gleichen Art, Wird mit dem andern leicht verpaart; Es wachsen leicht die losen Hauffen, Die eh mans meint, zusammen lauffen. Ein Mensch der zieht den andern an, Auf einer schlüpfeig glatten Bahn: Und kaum wird einer da erblikker, So wird er auch so gleich bestrikker. Die Kinder rollten in dem Lauf, Den Schneeball immer grösser auf; Jch dachte: Seht ein Bild der Lügen, Die immer neuen Zuwachs kriegen, Je weiter man durch das Gerücht, Von einer falschen Sache spricht; Je mehr wird sie mit Schein verbessert, Und fast von Mund zu Mund vergrössert. Der Klumpe ward zulezt sehr groß, Und ein recht ungeheurer Klos, Er wolte endlich nicht mehr wandern: Drum rief ein Knabe zu dem andern, Komm hilf mir daß er komm zum Lauf, So thürmt sich ein Gebürge auf. Er kam, sie stiessen alle Beide, Jedoch es ward die eitle Freude, Durch einem Zufal drauf gestöhrt. Die Lust in Weinen bald verkehrt. Jndem sie solchen stärker rollten, Jhn mit Gewalt fortwelzen wollten: So wurde einer übermant, Er fiel, verrenkte seine Hand, Er schrie mit jammervollen Thränen, Bei dem mit Schmerz verrükten Sehnen: O!
Ein aufgewelzter Schneeball. Jch konnte an dem klebricht WeſenDes Schnees, dieſe Warheit leſen: Ein Ding von einer gleichen Art, Wird mit dem andern leicht verpaart; Es wachſen leicht die loſen Hauffen, Die eh mans meint, zuſammen lauffen. Ein Menſch der zieht den andern an, Auf einer ſchluͤpfeig glatten Bahn: Und kaum wird einer da erblikker, So wird er auch ſo gleich beſtrikker. Die Kinder rollten in dem Lauf, Den Schneeball immer groͤſſer auf; Jch dachte: Seht ein Bild der Luͤgen, Die immer neuen Zuwachs kriegen, Je weiter man durch das Geruͤcht, Von einer falſchen Sache ſpricht; Je mehr wird ſie mit Schein verbeſſert, Und faſt von Mund zu Mund vergroͤſſert. Der Klumpe ward zulezt ſehr groß, Und ein recht ungeheurer Klos, Er wolte endlich nicht mehr wandern: Drum rief ein Knabe zu dem andern, Komm hilf mir daß er komm zum Lauf, So thuͤrmt ſich ein Gebuͤrge auf. Er kam, ſie ſtieſſen alle Beide, Jedoch es ward die eitle Freude, Durch einem Zufal drauf geſtoͤhrt. Die Luſt in Weinen bald verkehrt. Jndem ſie ſolchen ſtaͤrker rollten, Jhn mit Gewalt fortwelzen wollten: So wurde einer uͤbermant, Er fiel, verrenkte ſeine Hand, Er ſchrie mit jammervollen Thraͤnen, Bei dem mit Schmerz verruͤkten Sehnen: O!
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Ein aufgewelzter Schneeball.
Jch konnte an dem klebricht Weſen
Des Schnees, dieſe Warheit leſen:
Ein Ding von einer gleichen Art,
Wird mit dem andern leicht verpaart;
Es wachſen leicht die loſen Hauffen,
Die eh mans meint, zuſammen lauffen.
Ein Menſch der zieht den andern an,
Auf einer ſchluͤpfeig glatten Bahn:
Und kaum wird einer da erblikker,
So wird er auch ſo gleich beſtrikker.
Die Kinder rollten in dem Lauf,
Den Schneeball immer groͤſſer auf;
Jch dachte: Seht ein Bild der Luͤgen,
Die immer neuen Zuwachs kriegen,
Je weiter man durch das Geruͤcht,
Von einer falſchen Sache ſpricht;
Je mehr wird ſie mit Schein verbeſſert,
Und faſt von Mund zu Mund vergroͤſſert.
Der Klumpe ward zulezt ſehr groß,
Und ein recht ungeheurer Klos,
Er wolte endlich nicht mehr wandern:
Drum rief ein Knabe zu dem andern,
Komm hilf mir daß er komm zum Lauf,
So thuͤrmt ſich ein Gebuͤrge auf.
Er kam, ſie ſtieſſen alle Beide,
Jedoch es ward die eitle Freude,
Durch einem Zufal drauf geſtoͤhrt.
Die Luſt in Weinen bald verkehrt.
Jndem ſie ſolchen ſtaͤrker rollten,
Jhn mit Gewalt fortwelzen wollten:
So wurde einer uͤbermant,
Er fiel, verrenkte ſeine Hand,
Er ſchrie mit jammervollen Thraͤnen,
Bei dem mit Schmerz verruͤkten Sehnen:
O!
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