Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken über einen redenden Raben.
Warum? wir denken so, er hat sonst nichts ge-
lernt,

Er höret wieder auf, wenn man sich nur entfernt.
Wie könten wir nicht auch so von den Menschen denken
Die uns mit Lästerung bei reiner Unschuld kränken?
Allein so bald ein Mensch, der warlich Raben-Art
Uns durch ein Schimpfwort schilt in unsrer Gegen-
wart,

So werden wir ergrimmt, wir suchen ihm sein
Schelten,

Mit einer gleichen Münz gedoppelt zu vergelten.
Und wird uns nur gesagt, daß eine Lästerzung
Mit Geiffer uns besprüzt, so folgt Erbitterung
Die gleich auf Rache denkt, wir suchen den zu
schaden,

Der uns zur Ungebühr, mit Lästerung beladen.
So lieblos ist der Mensch, er zieht ein albern
Thier,

Das ihn mit Grobheit schimpft, selbst einem Men-
schen für.

Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu
sprechen,

Und will dagegen sich doch an den Menschen rächen.
Ja! sagst du das ist recht das Thier versteht es
nicht,

Ein Rabe schimpft uns nicht, weil er als Rabe
spricht,

Allein ein Mensche muß auch als ein Mensche spre-
chen,

Sonst muß man wenn er schimpft, ihm das Ge-
nikke brechen.

O! übereil dich nicht, in deiner blinden Wuth,
Jch zweifle noch daran, ob ers als Mensche thut.
Ein Lästrer ist ein Mensch, nach den Gesichtes Zü-
gen,

Jn
Gedanken uͤber einen redenden Raben.
Warum? wir denken ſo, er hat ſonſt nichts ge-
lernt,

Er hoͤret wieder auf, wenn man ſich nur entfernt.
Wie koͤnten wir nicht auch ſo von den Menſchen denken
Die uns mit Laͤſterung bei reiner Unſchuld kraͤnken?
Allein ſo bald ein Menſch, der warlich Raben-Art
Uns durch ein Schimpfwort ſchilt in unſrer Gegen-
wart,

So werden wir ergrimmt, wir ſuchen ihm ſein
Schelten,

Mit einer gleichen Muͤnz gedoppelt zu vergelten.
Und wird uns nur geſagt, daß eine Laͤſterzung
Mit Geiffer uns beſpruͤzt, ſo folgt Erbitterung
Die gleich auf Rache denkt, wir ſuchen den zu
ſchaden,

Der uns zur Ungebuͤhr, mit Laͤſterung beladen.
So lieblos iſt der Menſch, er zieht ein albern
Thier,

Das ihn mit Grobheit ſchimpft, ſelbſt einem Men-
ſchen fuͤr.

Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu
ſprechen,

Und will dagegen ſich doch an den Menſchen raͤchen.
Ja! ſagſt du das iſt recht das Thier verſteht es
nicht,

Ein Rabe ſchimpft uns nicht, weil er als Rabe
ſpricht,

Allein ein Menſche muß auch als ein Menſche ſpre-
chen,

Sonſt muß man wenn er ſchimpft, ihm das Ge-
nikke brechen.

O! uͤbereil dich nicht, in deiner blinden Wuth,
Jch zweifle noch daran, ob ers als Menſche thut.
Ein Laͤſtrer iſt ein Menſch, nach den Geſichtes Zuͤ-
gen,

Jn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0090" n="78"/>
          <fw place="top" type="header">Gedanken u&#x0364;ber einen redenden Raben.</fw><lb/>
          <l>Warum? wir denken &#x017F;o, er hat &#x017F;on&#x017F;t nichts ge-<lb/><hi rendition="#et">lernt,</hi></l><lb/>
          <l>Er ho&#x0364;ret wieder auf, wenn man &#x017F;ich nur entfernt.</l><lb/>
          <l>Wie ko&#x0364;nten wir nicht auch &#x017F;o von den Men&#x017F;chen denken</l><lb/>
          <l>Die uns mit La&#x0364;&#x017F;terung bei reiner Un&#x017F;chuld kra&#x0364;nken?</l><lb/>
          <l>Allein &#x017F;o bald ein Men&#x017F;ch, der warlich Raben-Art</l><lb/>
          <l>Uns durch ein Schimpfwort &#x017F;chilt in un&#x017F;rer Gegen-<lb/><hi rendition="#et">wart,</hi></l><lb/>
          <l>So werden wir ergrimmt, wir &#x017F;uchen ihm &#x017F;ein<lb/><hi rendition="#et">Schelten,</hi></l><lb/>
          <l>Mit einer gleichen Mu&#x0364;nz gedoppelt zu vergelten.</l><lb/>
          <l>Und wird uns nur ge&#x017F;agt, daß eine La&#x0364;&#x017F;terzung</l><lb/>
          <l>Mit Geiffer uns be&#x017F;pru&#x0364;zt, &#x017F;o folgt Erbitterung</l><lb/>
          <l>Die gleich auf Rache denkt, wir &#x017F;uchen den zu<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chaden,</hi></l><lb/>
          <l>Der uns zur Ungebu&#x0364;hr, mit La&#x0364;&#x017F;terung beladen.</l><lb/>
          <l>So lieblos i&#x017F;t der Men&#x017F;ch, er zieht ein albern<lb/><hi rendition="#et">Thier,</hi></l><lb/>
          <l>Das ihn mit Grobheit &#x017F;chimpft, &#x017F;elb&#x017F;t einem Men-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chen fu&#x0364;r.</hi></l><lb/>
          <l>Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;prechen,</hi></l><lb/>
          <l>Und will dagegen &#x017F;ich doch an den Men&#x017F;chen ra&#x0364;chen.</l><lb/>
          <l>Ja! &#x017F;ag&#x017F;t du das i&#x017F;t recht das Thier ver&#x017F;teht es<lb/><hi rendition="#et">nicht,</hi></l><lb/>
          <l>Ein Rabe &#x017F;chimpft uns nicht, weil er als Rabe<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;pricht,</hi></l><lb/>
          <l>Allein ein Men&#x017F;che muß auch als ein Men&#x017F;che &#x017F;pre-<lb/><hi rendition="#et">chen,</hi></l><lb/>
          <l>Son&#x017F;t muß man wenn er &#x017F;chimpft, ihm das Ge-<lb/><hi rendition="#et">nikke brechen.</hi></l><lb/>
          <l>O! u&#x0364;bereil dich nicht, in deiner blinden Wuth,</l><lb/>
          <l>Jch zweifle noch daran, ob ers als Men&#x017F;che thut.</l><lb/>
          <l>Ein La&#x0364;&#x017F;trer i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch, nach den Ge&#x017F;ichtes Zu&#x0364;-<lb/><hi rendition="#et">gen,</hi></l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0090] Gedanken uͤber einen redenden Raben. Warum? wir denken ſo, er hat ſonſt nichts ge- lernt, Er hoͤret wieder auf, wenn man ſich nur entfernt. Wie koͤnten wir nicht auch ſo von den Menſchen denken Die uns mit Laͤſterung bei reiner Unſchuld kraͤnken? Allein ſo bald ein Menſch, der warlich Raben-Art Uns durch ein Schimpfwort ſchilt in unſrer Gegen- wart, So werden wir ergrimmt, wir ſuchen ihm ſein Schelten, Mit einer gleichen Muͤnz gedoppelt zu vergelten. Und wird uns nur geſagt, daß eine Laͤſterzung Mit Geiffer uns beſpruͤzt, ſo folgt Erbitterung Die gleich auf Rache denkt, wir ſuchen den zu ſchaden, Der uns zur Ungebuͤhr, mit Laͤſterung beladen. So lieblos iſt der Menſch, er zieht ein albern Thier, Das ihn mit Grobheit ſchimpft, ſelbſt einem Men- ſchen fuͤr. Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu ſprechen, Und will dagegen ſich doch an den Menſchen raͤchen. Ja! ſagſt du das iſt recht das Thier verſteht es nicht, Ein Rabe ſchimpft uns nicht, weil er als Rabe ſpricht, Allein ein Menſche muß auch als ein Menſche ſpre- chen, Sonſt muß man wenn er ſchimpft, ihm das Ge- nikke brechen. O! uͤbereil dich nicht, in deiner blinden Wuth, Jch zweifle noch daran, ob ers als Menſche thut. Ein Laͤſtrer iſt ein Menſch, nach den Geſichtes Zuͤ- gen, Jn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen03_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen03_1747/90
Zitationshilfe: Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen03_1747/90>, abgerufen am 22.11.2024.