Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 1. Hildesheim, 1747.Vorrede. den Dinge solten gerühret werden. Wennihre Augen in der Höhe und in der Tieffe besonders merkwürdige Wunder der Natur antreffen, so bezeugen sie darüber ihr Wol- gefallen. Wenn sie einen mit tausendfachen Farben geschmükten Himmel betrachten; so empfinden sie ein anschauendes Vergnügen. Wenn sie liebliche Früchte, reizende Blu- men, grün belaubte Bäume, seltne Thiere und dergleichen ansehen; so entstehet in ih- ren Geiste eine Freude. Allein diese Be- trachtung ist noch nicht diejenige, die ein Mensch nach seiner Pflicht anstellen muß. Was nüzzet es, wenn man die Gaben rüh- met und dabei an den Geber nicht gedenket? So gehet es denen meisten achtsamen Zu- schauern im Reiche der Natur, die mehr ih- re sinnliche Wollust dadurch zu stillen, als ihren Schöpfer zu erkennen und zu verehren suchen. Man kann dieses sonderlich an den Liebhabern der schönen aber vergänglichen Blumen wahrnehmen. Diese finden offt ein recht erquikkendes Vergnügen an der bunten Augenweide, die der Schöpfer im Frühling und Sommer uns zu Sinnbildern unser Nichtigkeit vorgestellet. Wenn diesel- bige in ihrer rechten Blüte prangen; so kön- nen sie sich nicht satt daran sehen. Sie siz- zen beständig bei ihren Beeten und geben Acht wie die Farben gegen einander spielen. Es
Vorrede. den Dinge ſolten geruͤhret werden. Wennihre Augen in der Hoͤhe und in der Tieffe beſonders merkwuͤrdige Wunder der Natur antreffen, ſo bezeugen ſie daruͤber ihr Wol- gefallen. Wenn ſie einen mit tauſendfachen Farben geſchmuͤkten Himmel betrachten; ſo empfinden ſie ein anſchauendes Vergnuͤgen. Wenn ſie liebliche Fruͤchte, reizende Blu- men, gruͤn belaubte Baͤume, ſeltne Thiere und dergleichen anſehen; ſo entſtehet in ih- ren Geiſte eine Freude. Allein dieſe Be- trachtung iſt noch nicht diejenige, die ein Menſch nach ſeiner Pflicht anſtellen muß. Was nuͤzzet es, wenn man die Gaben ruͤh- met und dabei an den Geber nicht gedenket? So gehet es denen meiſten achtſamen Zu- ſchauern im Reiche der Natur, die mehr ih- re ſinnliche Wolluſt dadurch zu ſtillen, als ihren Schoͤpfer zu erkennen und zu verehren ſuchen. Man kann dieſes ſonderlich an den Liebhabern der ſchoͤnen aber vergaͤnglichen Blumen wahrnehmen. Dieſe finden offt ein recht erquikkendes Vergnuͤgen an der bunten Augenweide, die der Schoͤpfer im Fruͤhling und Sommer uns zu Sinnbildern unſer Nichtigkeit vorgeſtellet. Wenn dieſel- bige in ihrer rechten Bluͤte prangen; ſo koͤn- nen ſie ſich nicht ſatt daran ſehen. Sie ſiz- zen beſtaͤndig bei ihren Beeten und geben Acht wie die Farben gegen einander ſpielen. Es
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Vorrede.
den Dinge ſolten geruͤhret werden. Wenn
ihre Augen in der Hoͤhe und in der Tieffe
beſonders merkwuͤrdige Wunder der Natur
antreffen, ſo bezeugen ſie daruͤber ihr Wol-
gefallen. Wenn ſie einen mit tauſendfachen
Farben geſchmuͤkten Himmel betrachten; ſo
empfinden ſie ein anſchauendes Vergnuͤgen.
Wenn ſie liebliche Fruͤchte, reizende Blu-
men, gruͤn belaubte Baͤume, ſeltne Thiere
und dergleichen anſehen; ſo entſtehet in ih-
ren Geiſte eine Freude. Allein dieſe Be-
trachtung iſt noch nicht diejenige, die ein
Menſch nach ſeiner Pflicht anſtellen muß.
Was nuͤzzet es, wenn man die Gaben ruͤh-
met und dabei an den Geber nicht gedenket?
So gehet es denen meiſten achtſamen Zu-
ſchauern im Reiche der Natur, die mehr ih-
re ſinnliche Wolluſt dadurch zu ſtillen, als
ihren Schoͤpfer zu erkennen und zu verehren
ſuchen. Man kann dieſes ſonderlich an den
Liebhabern der ſchoͤnen aber vergaͤnglichen
Blumen wahrnehmen. Dieſe finden offt
ein recht erquikkendes Vergnuͤgen an der
bunten Augenweide, die der Schoͤpfer im
Fruͤhling und Sommer uns zu Sinnbildern
unſer Nichtigkeit vorgeſtellet. Wenn dieſel-
bige in ihrer rechten Bluͤte prangen; ſo koͤn-
nen ſie ſich nicht ſatt daran ſehen. Sie ſiz-
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