Bei den kürzesten der untersuchten Reihen betrug die Ersparnis bei dem zweiten Lernen 1/3 des ersten Aufwandes, bei den längsten etwa 6/10. Man könnte also sagen, die Reihen von 36 Silben seien durch das Lernen bis zur erst- möglichen Reproduktion verhältnismässig beinahe dop- pelt so fest eingeprägt worden als die von 12 Silben.
Hierin liegt nun nicht gerade etwas besonders Neues. Auf Grund der bekannten Erfahrung, dass das mit grösseren Schwierigkeiten Gelernte dafür desto fester zu haften pflegt, hätte man sich wohl getraut, einen solchen Effekt der grösseren Anzahl von Wiederholungen vorher zu sagen.
Was man vielleicht nicht vorausgesagt hätte und was doch auch Beachtung verdient, ist die nähere Bestimmung dieses allgemeinen Verhältnisses. Soweit die Zahlen nämlich gehen, scheinen sie darzuthun, dass zwischen der Zunahme der für das erste Lernen nötigen Wiederholungen und der Zunahme der durch sie jedesmal bewirkten inneren Festigkeit der Reihen nicht etwa Proportionalität besteht. Weder die absoluten noch die relativen Arbeitsersparnisse schreiten in derselben Weise fort wie die Anzahlen der Wiederholungen; jene vielmehr merklich schneller, diese merklich langsamer. Man darf also nicht im genauen Sinn der Worte sagen: je häufiger eine Reihe heute wiederholt werden musste, um aus- wendig hergesagt werden zu können, desto mehr Wieder- holungen werden bei ihrer Repetition nach 24 Stunden ge-
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Bei den kürzesten der untersuchten Reihen betrug die Ersparnis bei dem zweiten Lernen ⅓ des ersten Aufwandes, bei den längsten etwa 6/10. Man könnte also sagen, die Reihen von 36 Silben seien durch das Lernen bis zur erst- möglichen Reproduktion verhältnismäſsig beinahe dop- pelt so fest eingeprägt worden als die von 12 Silben.
Hierin liegt nun nicht gerade etwas besonders Neues. Auf Grund der bekannten Erfahrung, daſs das mit gröſseren Schwierigkeiten Gelernte dafür desto fester zu haften pflegt, hätte man sich wohl getraut, einen solchen Effekt der gröſseren Anzahl von Wiederholungen vorher zu sagen.
Was man vielleicht nicht vorausgesagt hätte und was doch auch Beachtung verdient, ist die nähere Bestimmung dieses allgemeinen Verhältnisses. Soweit die Zahlen nämlich gehen, scheinen sie darzuthun, daſs zwischen der Zunahme der für das erste Lernen nötigen Wiederholungen und der Zunahme der durch sie jedesmal bewirkten inneren Festigkeit der Reihen nicht etwa Proportionalität besteht. Weder die absoluten noch die relativen Arbeitsersparnisse schreiten in derselben Weise fort wie die Anzahlen der Wiederholungen; jene vielmehr merklich schneller, diese merklich langsamer. Man darf also nicht im genauen Sinn der Worte sagen: je häufiger eine Reihe heute wiederholt werden muſste, um aus- wendig hergesagt werden zu können, desto mehr Wieder- holungen werden bei ihrer Repetition nach 24 Stunden ge-
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Bei den kürzesten der untersuchten Reihen betrug die
Ersparnis bei dem zweiten Lernen ⅓ des ersten Aufwandes,
bei den längsten etwa 6/10. Man könnte also sagen, die
Reihen von 36 Silben seien durch das Lernen bis zur erst-
möglichen Reproduktion verhältnismäſsig beinahe dop-
pelt so fest eingeprägt worden als die von 12 Silben.
Hierin liegt nun nicht gerade etwas besonders Neues.
Auf Grund der bekannten Erfahrung, daſs das mit gröſseren
Schwierigkeiten Gelernte dafür desto fester zu haften pflegt,
hätte man sich wohl getraut, einen solchen Effekt der gröſseren
Anzahl von Wiederholungen vorher zu sagen.
Was man vielleicht nicht vorausgesagt hätte und was
doch auch Beachtung verdient, ist die nähere Bestimmung
dieses allgemeinen Verhältnisses. Soweit die Zahlen nämlich
gehen, scheinen sie darzuthun, daſs zwischen der Zunahme
der für das erste Lernen nötigen Wiederholungen und der
Zunahme der durch sie jedesmal bewirkten inneren Festigkeit
der Reihen nicht etwa Proportionalität besteht. Weder die
absoluten noch die relativen Arbeitsersparnisse schreiten in
derselben Weise fort wie die Anzahlen der Wiederholungen;
jene vielmehr merklich schneller, diese merklich langsamer.
Man darf also nicht im genauen Sinn der Worte sagen: je
häufiger eine Reihe heute wiederholt werden muſste, um aus-
wendig hergesagt werden zu können, desto mehr Wieder-
holungen werden bei ihrer Repetition nach 24 Stunden ge-
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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/131>, abgerufen am 17.02.2025.
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