Natürlich hatte dies Alles nur eine moralische Bedeutung; denn in Ermangelung eines durch Conventionalstrafen gesicherten Ver- trages und bei der chaotischen, statutenlosen Verfassung oder vielmehr Verfassungslosigkeit des Lyceums blieb eine solche Stellung völlig precär und beruhte, wie dargelegt, Alles auf dem Geschäftsprincip.
Die Unternehmerin war in äusserster Verlegenheit gewesen; was sie durch professoralen Beirath an Docenten aus meinem Fach zur Verfügung hatte, war wegen Mangel an Fähigkeiten nicht im Stande gewesen, sich eine Zuhörerschaft zu erwerben. Beispielsweise war ein Herr Bratuscheck, der als Amanuensis d. h. durch Handdienste bei dem verstorbenen Philologieprofessor Boeckh einige Gönnerschaft erworben hatte und später ordent- licher Philosophieprofessor in Giessen wurde, am Lyceum schliess- lich ganz ohne Zuhörerinnen geblieben und hatte überhaupt nie etwas ausrichten können. Es war also meine Aufgabe, einen neuen Gegenstand erst in Gang zu bringen und der Philosophie sowie namentlich der philosophisch behandelten Bildungsliteratur im Frauenpublicum Anhängerschaft und Achtung zu gewinnen. Dieser Zweck wurde in dem Maasse erreicht, dass im Winter von 1874-75 mein Cursus der modernen Literatur eine der beiden Vorlesungen war, die von den aus den sämmtlichen Fächern am Lyceum gehaltenen den meisten Besuch aufwiesen. Im Allgemeinen stellte sich meine Wirksamkeit derartig, dass weniger die jüngsten als vielmehr die entwickelteren Theile des Publicums meine Vorträge frequentirten. Viele verheirathete Frauen und auch Schriftstellerinnen befanden sich darunter. Uebrigens konnte ich aber auch nicht umhin, zu bemerken, dass die mir ungünstigen gelehrten Einflüsse der Universitätsprofessoren in und ausser dem sogenannten Curatorium daran arbeiteten, mich in den Ruf zu bringen, als sei ich mit meinen Vorträgen für das Lyceum nicht geeignet, weil ich vor nichts und z. B. in der Philosophie selbst nicht vor Kant Autoritätsrespect zeigte. Das Frauenpublicum sei aber an Ergebenheit unter die Autorität zu gewöhnen.
Schon im zweiten Winter 1873-74 hatte ich mit der frag- lichen Hemmung zu kämpfen, wie ich aus dem kühlen, auf einen möglichen Abbruch deutenden Benehmen der Unternehmerin er- kannte, und musste bisweilen durch allerlei Wendungen die feind- lichen Ausgriffe pariren. Miss Archer, welche schliesslich mit
Natürlich hatte dies Alles nur eine moralische Bedeutung; denn in Ermangelung eines durch Conventionalstrafen gesicherten Ver- trages und bei der chaotischen, statutenlosen Verfassung oder vielmehr Verfassungslosigkeit des Lyceums blieb eine solche Stellung völlig precär und beruhte, wie dargelegt, Alles auf dem Geschäftsprincip.
Die Unternehmerin war in äusserster Verlegenheit gewesen; was sie durch professoralen Beirath an Docenten aus meinem Fach zur Verfügung hatte, war wegen Mangel an Fähigkeiten nicht im Stande gewesen, sich eine Zuhörerschaft zu erwerben. Beispielsweise war ein Herr Bratuscheck, der als Amanuensis d. h. durch Handdienste bei dem verstorbenen Philologieprofessor Boeckh einige Gönnerschaft erworben hatte und später ordent- licher Philosophieprofessor in Giessen wurde, am Lyceum schliess- lich ganz ohne Zuhörerinnen geblieben und hatte überhaupt nie etwas ausrichten können. Es war also meine Aufgabe, einen neuen Gegenstand erst in Gang zu bringen und der Philosophie sowie namentlich der philosophisch behandelten Bildungsliteratur im Frauenpublicum Anhängerschaft und Achtung zu gewinnen. Dieser Zweck wurde in dem Maasse erreicht, dass im Winter von 1874–75 mein Cursus der modernen Literatur eine der beiden Vorlesungen war, die von den aus den sämmtlichen Fächern am Lyceum gehaltenen den meisten Besuch aufwiesen. Im Allgemeinen stellte sich meine Wirksamkeit derartig, dass weniger die jüngsten als vielmehr die entwickelteren Theile des Publicums meine Vorträge frequentirten. Viele verheirathete Frauen und auch Schriftstellerinnen befanden sich darunter. Uebrigens konnte ich aber auch nicht umhin, zu bemerken, dass die mir ungünstigen gelehrten Einflüsse der Universitätsprofessoren in und ausser dem sogenannten Curatorium daran arbeiteten, mich in den Ruf zu bringen, als sei ich mit meinen Vorträgen für das Lyceum nicht geeignet, weil ich vor nichts und z. B. in der Philosophie selbst nicht vor Kant Autoritätsrespect zeigte. Das Frauenpublicum sei aber an Ergebenheit unter die Autorität zu gewöhnen.
Schon im zweiten Winter 1873–74 hatte ich mit der frag- lichen Hemmung zu kämpfen, wie ich aus dem kühlen, auf einen möglichen Abbruch deutenden Benehmen der Unternehmerin er- kannte, und musste bisweilen durch allerlei Wendungen die feind- lichen Ausgriffe pariren. Miss Archer, welche schliesslich mit
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Natürlich hatte dies Alles nur eine moralische Bedeutung; denn
in Ermangelung eines durch Conventionalstrafen gesicherten Ver-
trages und bei der chaotischen, statutenlosen Verfassung oder
vielmehr Verfassungslosigkeit des Lyceums blieb eine solche
Stellung völlig precär und beruhte, wie dargelegt, Alles auf dem
Geschäftsprincip.
Die Unternehmerin war in äusserster Verlegenheit gewesen;
was sie durch professoralen Beirath an Docenten aus meinem
Fach zur Verfügung hatte, war wegen Mangel an Fähigkeiten
nicht im Stande gewesen, sich eine Zuhörerschaft zu erwerben.
Beispielsweise war ein Herr Bratuscheck, der als Amanuensis
d. h. durch Handdienste bei dem verstorbenen Philologieprofessor
Boeckh einige Gönnerschaft erworben hatte und später ordent-
licher Philosophieprofessor in Giessen wurde, am Lyceum schliess-
lich ganz ohne Zuhörerinnen geblieben und hatte überhaupt nie
etwas ausrichten können. Es war also meine Aufgabe, einen
neuen Gegenstand erst in Gang zu bringen und der Philosophie
sowie namentlich der philosophisch behandelten Bildungsliteratur
im Frauenpublicum Anhängerschaft und Achtung zu gewinnen.
Dieser Zweck wurde in dem Maasse erreicht, dass im Winter
von 1874–75 mein Cursus der modernen Literatur eine der
beiden Vorlesungen war, die von den aus den sämmtlichen
Fächern am Lyceum gehaltenen den meisten Besuch aufwiesen.
Im Allgemeinen stellte sich meine Wirksamkeit derartig, dass
weniger die jüngsten als vielmehr die entwickelteren Theile des
Publicums meine Vorträge frequentirten. Viele verheirathete
Frauen und auch Schriftstellerinnen befanden sich darunter.
Uebrigens konnte ich aber auch nicht umhin, zu bemerken, dass
die mir ungünstigen gelehrten Einflüsse der Universitätsprofessoren
in und ausser dem sogenannten Curatorium daran arbeiteten,
mich in den Ruf zu bringen, als sei ich mit meinen Vorträgen
für das Lyceum nicht geeignet, weil ich vor nichts und z. B. in
der Philosophie selbst nicht vor Kant Autoritätsrespect zeigte.
Das Frauenpublicum sei aber an Ergebenheit unter die Autorität
zu gewöhnen.
Schon im zweiten Winter 1873–74 hatte ich mit der frag-
lichen Hemmung zu kämpfen, wie ich aus dem kühlen, auf einen
möglichen Abbruch deutenden Benehmen der Unternehmerin er-
kannte, und musste bisweilen durch allerlei Wendungen die feind-
lichen Ausgriffe pariren. Miss Archer, welche schliesslich mit
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Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/77>, abgerufen am 22.07.2024.
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