Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach dem Vorangehenden würde den weiblichen Aerzten in
der natürlichsten Weise mehr als die Hälfte, ja vielleicht zwei
Drittel der ganzen Praxis gehören und mit der Zeit auch wirk-
lich zufallen. In feineren Specialitäten, wie z. B. in der Augen-
heilkunde, würde aber jener Unterschied von geringerem Einfluss
sein und auch die gemischte, nicht nach Geschlechtern getrennte
Behandlung gelegentlich platzgreifen. Im Grossen und Ganzen
würden sich die Aussichten der Frauen nicht schlecht stellen;
denn es würde mindestens die eine Hälfte der Bevölkerung von
ihren medicinischen Leistungen Gebrauch machen. Ueberdies
käme noch ein besonderer socialökonomischer Vortheil von grosser
Wichtigkeit hinzu. Medicinischer Rath und thatsächliche Heil-
hülfe würden von Seiten der Frauen nicht nur mit mehr Be-
kümmerung um das Einzelne und daher in mehr praktischer
Weise, sondern auch um einen billigeren Preis zu haben sein.
Zunächst ist unter den einmal gegebenen Verhältnissen die weib-
liche Thätigkeit stets weniger kostbar als die männliche; denn
erstens sind die Herstellungskosten der weiblichen Arbeitskraft
von vornherein geringer, und zweitens ist die Lage der weib-
lichen Bevölkerung in Rücksicht auf die Concurrenz vorerst eine
ungünstigere. Muss nun auch letzterer Uebelstand mit der Zeit
im Sinne der vollen Gleichheit verschwinden, so haben wir doch
zunächst mit den gegebenen Thatsachen zu rechnen und müssen
ihnen neben dem Schlimmen, das sie an sich tragen, auch etwas
Gutes abzugewinnen suchen. Eines wird aber auf die Dauer
einen gediegenen, mit Niemandes Schaden verknüpften Vortheil
gewähren, nämlich diejenige Preiserleichterung, die sich aus der
neuen Ausbildungsart weiblicher Aerzte von selbst ergeben muss.

Die Kosten, um welche ein Mediciner gegenwärtig producirt
und sozusagen auf den Markt gebracht wird, sind unverhältniss-
mässig und unnatürlich hoch. Sie übersteigen diejenigen jeder
andern gelehrten Berufseinrichtung und finden sich besonders
dadurch erhöht, dass ein grade für diesen Beruf unnützer Gelehr-
samkeitskram die gymnasiale Vorbildung und die universitäre
Ausbildung stark belastet. Billige Aerzte werden immer unmög-
licher, je grösser der Contrast zwischen den künstlichen Bildungs-
oder auch Verbildungsanforderungen und den wahren Gesell-
schaftsbedürfnissen wird. Ein Wiener Professor, den ich übrigens
für die Betrachtung dieser Dinge nicht etwa als Muster empfehlen
möchte, Herr Billroth, hat in einer auf das Studium der Medicin

Nach dem Vorangehenden würde den weiblichen Aerzten in
der natürlichsten Weise mehr als die Hälfte, ja vielleicht zwei
Drittel der ganzen Praxis gehören und mit der Zeit auch wirk-
lich zufallen. In feineren Specialitäten, wie z. B. in der Augen-
heilkunde, würde aber jener Unterschied von geringerem Einfluss
sein und auch die gemischte, nicht nach Geschlechtern getrennte
Behandlung gelegentlich platzgreifen. Im Grossen und Ganzen
würden sich die Aussichten der Frauen nicht schlecht stellen;
denn es würde mindestens die eine Hälfte der Bevölkerung von
ihren medicinischen Leistungen Gebrauch machen. Ueberdies
käme noch ein besonderer socialökonomischer Vortheil von grosser
Wichtigkeit hinzu. Medicinischer Rath und thatsächliche Heil-
hülfe würden von Seiten der Frauen nicht nur mit mehr Be-
kümmerung um das Einzelne und daher in mehr praktischer
Weise, sondern auch um einen billigeren Preis zu haben sein.
Zunächst ist unter den einmal gegebenen Verhältnissen die weib-
liche Thätigkeit stets weniger kostbar als die männliche; denn
erstens sind die Herstellungskosten der weiblichen Arbeitskraft
von vornherein geringer, und zweitens ist die Lage der weib-
lichen Bevölkerung in Rücksicht auf die Concurrenz vorerst eine
ungünstigere. Muss nun auch letzterer Uebelstand mit der Zeit
im Sinne der vollen Gleichheit verschwinden, so haben wir doch
zunächst mit den gegebenen Thatsachen zu rechnen und müssen
ihnen neben dem Schlimmen, das sie an sich tragen, auch etwas
Gutes abzugewinnen suchen. Eines wird aber auf die Dauer
einen gediegenen, mit Niemandes Schaden verknüpften Vortheil
gewähren, nämlich diejenige Preiserleichterung, die sich aus der
neuen Ausbildungsart weiblicher Aerzte von selbst ergeben muss.

Die Kosten, um welche ein Mediciner gegenwärtig producirt
und sozusagen auf den Markt gebracht wird, sind unverhältniss-
mässig und unnatürlich hoch. Sie übersteigen diejenigen jeder
andern gelehrten Berufseinrichtung und finden sich besonders
dadurch erhöht, dass ein grade für diesen Beruf unnützer Gelehr-
samkeitskram die gymnasiale Vorbildung und die universitäre
Ausbildung stark belastet. Billige Aerzte werden immer unmög-
licher, je grösser der Contrast zwischen den künstlichen Bildungs-
oder auch Verbildungsanforderungen und den wahren Gesell-
schaftsbedürfnissen wird. Ein Wiener Professor, den ich übrigens
für die Betrachtung dieser Dinge nicht etwa als Muster empfehlen
möchte, Herr Billroth, hat in einer auf das Studium der Medicin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0023" n="14"/>
        <p>Nach dem Vorangehenden würde den weiblichen Aerzten in<lb/>
der natürlichsten Weise mehr als die Hälfte, ja vielleicht zwei<lb/>
Drittel der ganzen Praxis gehören und mit der Zeit auch wirk-<lb/>
lich zufallen. In feineren Specialitäten, wie z. B. in der Augen-<lb/>
heilkunde, würde aber jener Unterschied von geringerem Einfluss<lb/>
sein und auch die gemischte, nicht nach Geschlechtern getrennte<lb/>
Behandlung gelegentlich platzgreifen. Im Grossen und Ganzen<lb/>
würden sich die Aussichten der Frauen nicht schlecht stellen;<lb/>
denn es würde mindestens die eine Hälfte der Bevölkerung von<lb/>
ihren medicinischen Leistungen Gebrauch machen. Ueberdies<lb/>
käme noch ein besonderer socialökonomischer Vortheil von grosser<lb/>
Wichtigkeit hinzu. Medicinischer Rath und thatsächliche Heil-<lb/>
hülfe würden von Seiten der Frauen nicht nur mit mehr Be-<lb/>
kümmerung um das Einzelne und daher in mehr praktischer<lb/>
Weise, sondern auch um einen billigeren Preis zu haben sein.<lb/>
Zunächst ist unter den einmal gegebenen Verhältnissen die weib-<lb/>
liche Thätigkeit stets weniger kostbar als die männliche; denn<lb/>
erstens sind die Herstellungskosten der weiblichen Arbeitskraft<lb/>
von vornherein geringer, und zweitens ist die Lage der weib-<lb/>
lichen Bevölkerung in Rücksicht auf die Concurrenz vorerst eine<lb/>
ungünstigere. Muss nun auch letzterer Uebelstand mit der Zeit<lb/>
im Sinne der vollen Gleichheit verschwinden, so haben wir doch<lb/>
zunächst mit den gegebenen Thatsachen zu rechnen und müssen<lb/>
ihnen neben dem Schlimmen, das sie an sich tragen, auch etwas<lb/>
Gutes abzugewinnen suchen. Eines wird aber auf die Dauer<lb/>
einen gediegenen, mit Niemandes Schaden verknüpften Vortheil<lb/>
gewähren, nämlich diejenige Preiserleichterung, die sich aus der<lb/>
neuen Ausbildungsart weiblicher Aerzte von selbst ergeben muss.</p><lb/>
        <p>Die Kosten, um welche ein Mediciner gegenwärtig producirt<lb/>
und sozusagen auf den Markt gebracht wird, sind unverhältniss-<lb/>
mässig und unnatürlich hoch. Sie übersteigen diejenigen jeder<lb/>
andern gelehrten Berufseinrichtung und finden sich besonders<lb/>
dadurch erhöht, dass ein grade für diesen Beruf unnützer Gelehr-<lb/>
samkeitskram die gymnasiale Vorbildung und die universitäre<lb/>
Ausbildung stark belastet. Billige Aerzte werden immer unmög-<lb/>
licher, je grösser der Contrast zwischen den künstlichen Bildungs-<lb/>
oder auch Verbildungsanforderungen und den wahren Gesell-<lb/>
schaftsbedürfnissen wird. Ein Wiener Professor, den ich übrigens<lb/>
für die Betrachtung dieser Dinge nicht etwa als Muster empfehlen<lb/>
möchte, Herr Billroth, hat in einer auf das Studium der Medicin<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0023] Nach dem Vorangehenden würde den weiblichen Aerzten in der natürlichsten Weise mehr als die Hälfte, ja vielleicht zwei Drittel der ganzen Praxis gehören und mit der Zeit auch wirk- lich zufallen. In feineren Specialitäten, wie z. B. in der Augen- heilkunde, würde aber jener Unterschied von geringerem Einfluss sein und auch die gemischte, nicht nach Geschlechtern getrennte Behandlung gelegentlich platzgreifen. Im Grossen und Ganzen würden sich die Aussichten der Frauen nicht schlecht stellen; denn es würde mindestens die eine Hälfte der Bevölkerung von ihren medicinischen Leistungen Gebrauch machen. Ueberdies käme noch ein besonderer socialökonomischer Vortheil von grosser Wichtigkeit hinzu. Medicinischer Rath und thatsächliche Heil- hülfe würden von Seiten der Frauen nicht nur mit mehr Be- kümmerung um das Einzelne und daher in mehr praktischer Weise, sondern auch um einen billigeren Preis zu haben sein. Zunächst ist unter den einmal gegebenen Verhältnissen die weib- liche Thätigkeit stets weniger kostbar als die männliche; denn erstens sind die Herstellungskosten der weiblichen Arbeitskraft von vornherein geringer, und zweitens ist die Lage der weib- lichen Bevölkerung in Rücksicht auf die Concurrenz vorerst eine ungünstigere. Muss nun auch letzterer Uebelstand mit der Zeit im Sinne der vollen Gleichheit verschwinden, so haben wir doch zunächst mit den gegebenen Thatsachen zu rechnen und müssen ihnen neben dem Schlimmen, das sie an sich tragen, auch etwas Gutes abzugewinnen suchen. Eines wird aber auf die Dauer einen gediegenen, mit Niemandes Schaden verknüpften Vortheil gewähren, nämlich diejenige Preiserleichterung, die sich aus der neuen Ausbildungsart weiblicher Aerzte von selbst ergeben muss. Die Kosten, um welche ein Mediciner gegenwärtig producirt und sozusagen auf den Markt gebracht wird, sind unverhältniss- mässig und unnatürlich hoch. Sie übersteigen diejenigen jeder andern gelehrten Berufseinrichtung und finden sich besonders dadurch erhöht, dass ein grade für diesen Beruf unnützer Gelehr- samkeitskram die gymnasiale Vorbildung und die universitäre Ausbildung stark belastet. Billige Aerzte werden immer unmög- licher, je grösser der Contrast zwischen den künstlichen Bildungs- oder auch Verbildungsanforderungen und den wahren Gesell- schaftsbedürfnissen wird. Ein Wiener Professor, den ich übrigens für die Betrachtung dieser Dinge nicht etwa als Muster empfehlen möchte, Herr Billroth, hat in einer auf das Studium der Medicin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-13T16:46:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-06-13T16:46:57Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Druckfehler: ignoriert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • i/j nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • I/J nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/23
Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/23>, abgerufen am 23.11.2024.