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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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gleich, weil ihnen die Zusammenstellung des Gedankens
mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien.
Die Physiologie kennt indess solche aesthetischen Rang¬
unterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein
wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde
mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder
sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe.
Auch das ist an dem Vogt'schen Ausspruch schwer¬
lich zu tadeln, dass darin die Seelenthätigkeit als
Erzeugniss der materiellen Bedingungen im Gehirne
hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, dass
er die Vorstellung erweckt, als sei die Seelenthätig¬
keit aus dem Bau des Gehirnes ihrer Natur nach so
begreifbar, wie die Absonderung aus dem Bau der
Drüse.

Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige
Thätigkeit in Gestalt eines Nervensystemes gebricht wie
in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelen¬
leben nicht zugeben, und hierin stösst er nur selten auf
Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwiedern, wenn
er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte,
verlangte, dass ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia
gebettet und mit warmem arteriellem Blut unter richtigem
Drucke gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher
Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglien¬
kugeln und Nervenröhren gezeigt würde?

gleich, weil ihnen die Zusammenstellung des Gedankens
mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien.
Die Physiologie kennt indess solche aesthetischen Rang¬
unterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein
wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde
mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder
sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe.
Auch das ist an dem Vogt'schen Ausspruch schwer¬
lich zu tadeln, dass darin die Seelenthätigkeit als
Erzeugniss der materiellen Bedingungen im Gehirne
hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, dass
er die Vorstellung erweckt, als sei die Seelenthätig¬
keit aus dem Bau des Gehirnes ihrer Natur nach so
begreifbar, wie die Absonderung aus dem Bau der
Drüse.

Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige
Thätigkeit in Gestalt eines Nervensystemes gebricht wie
in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelen¬
leben nicht zugeben, und hierin stösst er nur selten auf
Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwiedern, wenn
er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte,
verlangte, dass ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia
gebettet und mit warmem arteriellem Blut unter richtigem
Drucke gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher
Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglien¬
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[32/0040] gleich, weil ihnen die Zusammenstellung des Gedankens mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien. Die Physiologie kennt indess solche aesthetischen Rang¬ unterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe. Auch das ist an dem Vogt'schen Ausspruch schwer¬ lich zu tadeln, dass darin die Seelenthätigkeit als Erzeugniss der materiellen Bedingungen im Gehirne hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, dass er die Vorstellung erweckt, als sei die Seelenthätig¬ keit aus dem Bau des Gehirnes ihrer Natur nach so begreifbar, wie die Absonderung aus dem Bau der Drüse. Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige Thätigkeit in Gestalt eines Nervensystemes gebricht wie in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelen¬ leben nicht zugeben, und hierin stösst er nur selten auf Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwiedern, wenn er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte, verlangte, dass ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia gebettet und mit warmem arteriellem Blut unter richtigem Drucke gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglien¬ kugeln und Nervenröhren gezeigt würde?

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/40>, abgerufen am 21.11.2024.