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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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eines einzelnen Primitivmuskelbündels;9 wie die einzelne
Secretionszelle das ganze Räthsel der Absonderung birgt:
so ist auch die erhabenste Seelenthätigkeit aus mate¬
riellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreif¬
licher, als das Bewusstsein auf seiner ersten Stufe, der
Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen
oder Schmerz, die im Beginn des thierischen Lebens auf
Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unüber¬
steigliche Kluft gesetzt, und die Welt nunmehr doppelt
unbegreiflich geworden.

Ueber wenig Gegenstände ist anhaltender nachge¬
dacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten
worden, als über die Verbindung von Leib und Seele
im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die
Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinungen gehabt.
Der neueren Philosophie liegt diese Frage ferner; um so
reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert
an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und
Geist.

Descartes selber hatte sich die Möglichkeit, diese
Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen
vorweg abgeschnitten. Erstens behauptete er, dass
Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Got¬
tes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als
unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in Einem
Punkte, nämlich in der sogenannten Zirbeldrüse des Ge¬

eines einzelnen Primitivmuskelbündels;9 wie die einzelne
Secretionszelle das ganze Räthsel der Absonderung birgt:
so ist auch die erhabenste Seelenthätigkeit aus mate¬
riellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreif¬
licher, als das Bewusstsein auf seiner ersten Stufe, der
Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen
oder Schmerz, die im Beginn des thierischen Lebens auf
Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unüber¬
steigliche Kluft gesetzt, und die Welt nunmehr doppelt
unbegreiflich geworden.

Ueber wenig Gegenstände ist anhaltender nachge¬
dacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten
worden, als über die Verbindung von Leib und Seele
im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die
Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinungen gehabt.
Der neueren Philosophie liegt diese Frage ferner; um so
reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert
an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und
Geist.

Descartes selber hatte sich die Möglichkeit, diese
Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen
vorweg abgeschnitten. Erstens behauptete er, dass
Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Got¬
tes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als
unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in Einem
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[18/0026] eines einzelnen Primitivmuskelbündels; ⁹ wie die einzelne Secretionszelle das ganze Räthsel der Absonderung birgt: so ist auch die erhabenste Seelenthätigkeit aus mate¬ riellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreif¬ licher, als das Bewusstsein auf seiner ersten Stufe, der Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen oder Schmerz, die im Beginn des thierischen Lebens auf Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unüber¬ steigliche Kluft gesetzt, und die Welt nunmehr doppelt unbegreiflich geworden. Ueber wenig Gegenstände ist anhaltender nachge¬ dacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten worden, als über die Verbindung von Leib und Seele im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinungen gehabt. Der neueren Philosophie liegt diese Frage ferner; um so reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und Geist. Descartes selber hatte sich die Möglichkeit, diese Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen vorweg abgeschnitten. Erstens behauptete er, dass Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Got¬ tes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in Einem Punkte, nämlich in der sogenannten Zirbeldrüse des Ge¬

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/26>, abgerufen am 24.11.2024.