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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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übrig bleiben? Wenn ein Herbert Spencer von einem Zu-
kunftszustande der Gesellschaft träumt, in welchem die per-
sönlichen und allgemeinen Jnteressen sich in vollkommener
Harmonie befinden werden, so ist dies ein schöner Traum und
es gibt Momente, wo man an seine Verwirklichung glauben
kann, während Nietzsche's Utopie ein höchst unerquickliches
Zukunftsbild bietet. Es läßt sich um so weniger begreifen,
daß Nietzsche sich bei diesem Gedanken beruhigte, da er sich
kurz vorher folgendermaßen äußert*): "Es sind nur die
allzunaiven Menschen, welche glauben können, daß die Natur
des Menschen in eine rein logische verwandelt werden könne;
wenn es aber Grade der Annäherung an dieses Ziel geben
sollte, was würde nicht Alles auf diesem Wege
verloren gehen müssen!
" Uebrigens können wir uns
auch mit diesem Ausspruche nicht für einverstanden erklären,
da wir die ihm zu Grunde liegende Anschauung, daß unsere
moralischen Urtheile auf Jrrthümern des Jntellekts beruhen,
verwerfen müssen. Doch erachten wir es nicht als unsere
Aufgabe, an dieser Stelle unsere eigene Anschauung über
diesen Punkt zu entwickeln.

Wenn Nietzsche an einer Stelle der "Morgenröthe" (1881)
dem Gedanken Ausdruck giebt, daß man den Menschen das
Vertrauen zu ihren als egoistisch verschrieenen Handlungen
zurückgeben solle, da man dadurch dem Leben den bösen An-
schein nimmt und der Mensch aufhört, böse zu sein, wenn
er sich nicht mehr für böse hält, so ist das eine sehr gewagte
Behauptung.

Geradezu befremdend ferner ist die Stellung, welche
Nietzsche dem Mitleid gegenüber einnimmt. Er sieht darin
nur eine Manifestation des Machtgefühls, eine "angenehme
Regung des Aneignungstriebes", das angenehmste Gefühl bei

*) p. 33.

übrig bleiben? Wenn ein Herbert Spencer von einem Zu-
kunftszuſtande der Geſellſchaft träumt, in welchem die per-
ſönlichen und allgemeinen Jntereſſen ſich in vollkommener
Harmonie befinden werden, ſo iſt dies ein ſchöner Traum und
es gibt Momente, wo man an ſeine Verwirklichung glauben
kann, während Nietzſche’s Utopie ein höchſt unerquickliches
Zukunftsbild bietet. Es läßt ſich um ſo weniger begreifen,
daß Nietzſche ſich bei dieſem Gedanken beruhigte, da er ſich
kurz vorher folgendermaßen äußert*): „Es ſind nur die
allzunaiven Menſchen, welche glauben können, daß die Natur
des Menſchen in eine rein logiſche verwandelt werden könne;
wenn es aber Grade der Annäherung an dieſes Ziel geben
ſollte, was würde nicht Alles auf dieſem Wege
verloren gehen müſſen!
“ Uebrigens können wir uns
auch mit dieſem Ausſpruche nicht für einverſtanden erklären,
da wir die ihm zu Grunde liegende Anſchauung, daß unſere
moraliſchen Urtheile auf Jrrthümern des Jntellekts beruhen,
verwerfen müſſen. Doch erachten wir es nicht als unſere
Aufgabe, an dieſer Stelle unſere eigene Anſchauung über
dieſen Punkt zu entwickeln.

Wenn Nietzſche an einer Stelle der „Morgenröthe“ (1881)
dem Gedanken Ausdruck giebt, daß man den Menſchen das
Vertrauen zu ihren als egoiſtiſch verſchrieenen Handlungen
zurückgeben ſolle, da man dadurch dem Leben den böſen An-
ſchein nimmt und der Menſch aufhört, böſe zu ſein, wenn
er ſich nicht mehr für böſe hält, ſo iſt das eine ſehr gewagte
Behauptung.

Geradezu befremdend ferner iſt die Stellung, welche
Nietzſche dem Mitleid gegenüber einnimmt. Er ſieht darin
nur eine Manifeſtation des Machtgefühls, eine „angenehme
Regung des Aneignungstriebes“, das angenehmſte Gefühl bei

*) p. 33.
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[52/0061] übrig bleiben? Wenn ein Herbert Spencer von einem Zu- kunftszuſtande der Geſellſchaft träumt, in welchem die per- ſönlichen und allgemeinen Jntereſſen ſich in vollkommener Harmonie befinden werden, ſo iſt dies ein ſchöner Traum und es gibt Momente, wo man an ſeine Verwirklichung glauben kann, während Nietzſche’s Utopie ein höchſt unerquickliches Zukunftsbild bietet. Es läßt ſich um ſo weniger begreifen, daß Nietzſche ſich bei dieſem Gedanken beruhigte, da er ſich kurz vorher folgendermaßen äußert *): „Es ſind nur die allzunaiven Menſchen, welche glauben können, daß die Natur des Menſchen in eine rein logiſche verwandelt werden könne; wenn es aber Grade der Annäherung an dieſes Ziel geben ſollte, was würde nicht Alles auf dieſem Wege verloren gehen müſſen!“ Uebrigens können wir uns auch mit dieſem Ausſpruche nicht für einverſtanden erklären, da wir die ihm zu Grunde liegende Anſchauung, daß unſere moraliſchen Urtheile auf Jrrthümern des Jntellekts beruhen, verwerfen müſſen. Doch erachten wir es nicht als unſere Aufgabe, an dieſer Stelle unſere eigene Anſchauung über dieſen Punkt zu entwickeln. Wenn Nietzſche an einer Stelle der „Morgenröthe“ (1881) dem Gedanken Ausdruck giebt, daß man den Menſchen das Vertrauen zu ihren als egoiſtiſch verſchrieenen Handlungen zurückgeben ſolle, da man dadurch dem Leben den böſen An- ſchein nimmt und der Menſch aufhört, böſe zu ſein, wenn er ſich nicht mehr für böſe hält, ſo iſt das eine ſehr gewagte Behauptung. Geradezu befremdend ferner iſt die Stellung, welche Nietzſche dem Mitleid gegenüber einnimmt. Er ſieht darin nur eine Manifeſtation des Machtgefühls, eine „angenehme Regung des Aneignungstriebes“, das angenehmſte Gefühl bei *) p. 33.

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/61>, abgerufen am 25.11.2024.