Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.Punkte widerspricht. Jmmerhin müssen wir besonders sein Obwohl Nietzsche von gewissen modernen Gedankenströ- Seinen [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]großen Mangel an Besähigung zu einer *) Die Abhandlung bildet das dritte Stück der "Unzeitgemäßen
Betrachtungen". Punkte widerſpricht. Jmmerhin müſſen wir beſonders ſein Obwohl Nietzſche von gewiſſen modernen Gedankenſtrö- Seinen [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]großen Mangel an Beſähigung zu einer *) Die Abhandlung bildet das dritte Stück der „Unzeitgemäßen
Betrachtungen“. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0057" n="48"/> Punkte widerſpricht. Jmmerhin müſſen wir beſonders ſein<lb/> ungewöhnliches Reproduktionsvermögen auf philoſophiſchem<lb/> Gebiete bewundern. Doch zeigt ſich die Grenze ſeiner philoſo-<lb/> phiſchen Begabung, ſobald er ſich daran begibt, letzte Aufgaben<lb/> und Ziele aus eigener Einſicht feſtzuſtellen. Sofort offenbart<lb/> ſich dann ein auffallender Mangel an geſundem Sinn für<lb/> die Wirklichkeit, an Befähigung, die richtige Mitte zu<lb/> treffen.</p><lb/> <p>Obwohl Nietzſche von gewiſſen modernen Gedankenſtrö-<lb/> mungen ergriffen iſt, ſteht er andererſeits den praktiſchen Fragen<lb/> des Lebens vollkommen ferne, iſt ein extremer Jdealiſt, wenn<lb/> es wirklich Jdealiſt ſein heißt, der Wirklichkeit keine Rech-<lb/> nung zu tragen. <hi rendition="#g">Antike Jdeale und Zuſtände<lb/> fchweben ſeinem Geiſte vor,</hi> die keine Anwendung auf<lb/> unſere Zeit finden, während er vielen der beſten und edelſten<lb/> zeitgenöſſiſchen Beſtrebungen kalt gegenüberſteht. Kein Wunder,<lb/> wenn das Publikum auch ihm kalt gegenüberſteht.</p><lb/> <p>Seinen <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>großen Mangel an Beſähigung zu einer<lb/> gerechten und richtigen Schätzung des Lebens und des Men-<lb/> ſchen hat er ſogleich in ſeiner erſten philoſophiſchen Schrift,<lb/> „Schopenhauer als Erzieher“<note place="foot" n="*)">Die Abhandlung bildet das dritte Stück der „Unzeitgemäßen<lb/> Betrachtungen“.</note> (1874) bewieſen, wo der Ge-<lb/> ſellſchaft die Aufgabe geſtellt wird, den <hi rendition="#g">Genius hervorzu-<lb/> bringen.</hi> Und nicht etwa einer künftigen, idealen Geſell-<lb/> ſchaft, in welcher die Menſchen ihre Menſchenwürde zu wahren<lb/> gelernt, in welcher ſie allgemein eine größere geiſtige Reife<lb/> und Bildung errungen, wird dieſe Aufgabe geſtellt, ſondern<lb/> der Geſellſchaft unſerer Zeit der Jmperativ: „Du ſollſt den<lb/> Genius hervorbringen und fördern“ zugernfen. Freilich<lb/> würde dieſer Jmperativ jeder Geſellſchaft als eine ſeltſame<lb/> Forderung erſcheinen müſſen, aus dem einfachen Grunde,<lb/> weil es nicht in ihrer Macht liegt, ihn zu erfüllen. Nietzſche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [48/0057]
Punkte widerſpricht. Jmmerhin müſſen wir beſonders ſein
ungewöhnliches Reproduktionsvermögen auf philoſophiſchem
Gebiete bewundern. Doch zeigt ſich die Grenze ſeiner philoſo-
phiſchen Begabung, ſobald er ſich daran begibt, letzte Aufgaben
und Ziele aus eigener Einſicht feſtzuſtellen. Sofort offenbart
ſich dann ein auffallender Mangel an geſundem Sinn für
die Wirklichkeit, an Befähigung, die richtige Mitte zu
treffen.
Obwohl Nietzſche von gewiſſen modernen Gedankenſtrö-
mungen ergriffen iſt, ſteht er andererſeits den praktiſchen Fragen
des Lebens vollkommen ferne, iſt ein extremer Jdealiſt, wenn
es wirklich Jdealiſt ſein heißt, der Wirklichkeit keine Rech-
nung zu tragen. Antike Jdeale und Zuſtände
fchweben ſeinem Geiſte vor, die keine Anwendung auf
unſere Zeit finden, während er vielen der beſten und edelſten
zeitgenöſſiſchen Beſtrebungen kalt gegenüberſteht. Kein Wunder,
wenn das Publikum auch ihm kalt gegenüberſteht.
Seinen _großen Mangel an Beſähigung zu einer
gerechten und richtigen Schätzung des Lebens und des Men-
ſchen hat er ſogleich in ſeiner erſten philoſophiſchen Schrift,
„Schopenhauer als Erzieher“ *) (1874) bewieſen, wo der Ge-
ſellſchaft die Aufgabe geſtellt wird, den Genius hervorzu-
bringen. Und nicht etwa einer künftigen, idealen Geſell-
ſchaft, in welcher die Menſchen ihre Menſchenwürde zu wahren
gelernt, in welcher ſie allgemein eine größere geiſtige Reife
und Bildung errungen, wird dieſe Aufgabe geſtellt, ſondern
der Geſellſchaft unſerer Zeit der Jmperativ: „Du ſollſt den
Genius hervorbringen und fördern“ zugernfen. Freilich
würde dieſer Jmperativ jeder Geſellſchaft als eine ſeltſame
Forderung erſcheinen müſſen, aus dem einfachen Grunde,
weil es nicht in ihrer Macht liegt, ihn zu erfüllen. Nietzſche
*) Die Abhandlung bildet das dritte Stück der „Unzeitgemäßen
Betrachtungen“.
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