Die Pflanzengeographie leidet in dieser Beziehung darunter, auf die meteorologischen Tabellen hingewiesen zu sein, während sie solche im innigsten Zusammenhange mit den Beobachtungspflanzen angestellt benutzen sollte; die phänologischen Beobachtungen erstrecken sich auf an verschiedenen Orten zerstreute Pflanzen, die meteoro- logischen sind dagegen meist nur an einer Stelle gemacht und gelten meist nur für Schatten. Die Variationen zwischen Mittags-Sonnentemperatur und Nachtkühle ge- langen in keinem Berechnungsmittel zum Ausdrucke. Auch die Höhe des Thermometers über dem Boden be- einflusst die abgelesenen Temperaturen so sehr, dass man die Blüte des Schneeglöckchens und der Kornelkirsche durchaus nicht nach einem Instrument beurteilen darf, wenn es sich bezüglich der dabei wirksamen Tempera- turen um absolute Zahlen handeln soll. Auch ist es klar, dass die Temperaturen des Erdbodens selbst in bestimmter Tiefe das Hervortreiben der Frühlings-Zwiebelpflanzen u. a. aus der Erde beeinflussen, während deren Blüte durch die Lufttemperaturen dicht über der Erde beeinflusst wird. Für die Sonnenpflanzen, welche meistens zur Be- obachtung gewählt werden, sind Insolationsthermometer unerlässlich und sind deshalb auch schon seit lange in Giessen in Gebrauch, aber nur selten an anderen Orten. Diese Bemerkungen enthalten so viel Einwände gegen die Beobachtungsmethoden und teilweise unlösbare Schwie- rigkeiten, dass, selbst wenn vom Standpunkt der Theorie aus ein fester Zusammenhang konkreter Art zwischen Temperatur und Vegetationsphasen zugegeben werden müsste, man sich nicht wundern dürfte, wenn derselbe noch nicht in irgend einer Form gefunden wäre. Nun ist aber nicht einmal vom theoretischen Standpunkte aus ein konkretes Verhältnis zwischen Temperatur (in irgend welcher Form der meteorologischen Beobachtungen) und Vegetationsphasen der Zeit nach zu fordern.
Denn nicht eine einzelne Temperatur bewirkt für sich den Eintritt eines Gewächses in eine bestimmte Phase, sondern die Phase ist angewiesen gewesen zugleich auf die Temperaturen der ihrem Eintritt vorhergehenden Tage.
in der Phänologie.
Die Pflanzengeographie leidet in dieser Beziehung darunter, auf die meteorologischen Tabellen hingewiesen zu sein, während sie solche im innigsten Zusammenhange mit den Beobachtungspflanzen angestellt benutzen sollte; die phänologischen Beobachtungen erstrecken sich auf an verschiedenen Orten zerstreute Pflanzen, die meteoro- logischen sind dagegen meist nur an einer Stelle gemacht und gelten meist nur für Schatten. Die Variationen zwischen Mittags-Sonnentemperatur und Nachtkühle ge- langen in keinem Berechnungsmittel zum Ausdrucke. Auch die Höhe des Thermometers über dem Boden be- einflusst die abgelesenen Temperaturen so sehr, dass man die Blüte des Schneeglöckchens und der Kornelkirsche durchaus nicht nach einem Instrument beurteilen darf, wenn es sich bezüglich der dabei wirksamen Tempera- turen um absolute Zahlen handeln soll. Auch ist es klar, dass die Temperaturen des Erdbodens selbst in bestimmter Tiefe das Hervortreiben der Frühlings-Zwiebelpflanzen u. a. aus der Erde beeinflussen, während deren Blüte durch die Lufttemperaturen dicht über der Erde beeinflusst wird. Für die Sonnenpflanzen, welche meistens zur Be- obachtung gewählt werden, sind Insolationsthermometer unerlässlich und sind deshalb auch schon seit lange in Giessen in Gebrauch, aber nur selten an anderen Orten. Diese Bemerkungen enthalten so viel Einwände gegen die Beobachtungsmethoden und teilweise unlösbare Schwie- rigkeiten, dass, selbst wenn vom Standpunkt der Theorie aus ein fester Zusammenhang konkreter Art zwischen Temperatur und Vegetationsphasen zugegeben werden müsste, man sich nicht wundern dürfte, wenn derselbe noch nicht in irgend einer Form gefunden wäre. Nun ist aber nicht einmal vom theoretischen Standpunkte aus ein konkretes Verhältnis zwischen Temperatur (in irgend welcher Form der meteorologischen Beobachtungen) und Vegetationsphasen der Zeit nach zu fordern.
Denn nicht eine einzelne Temperatur bewirkt für sich den Eintritt eines Gewächses in eine bestimmte Phase, sondern die Phase ist angewiesen gewesen zugleich auf die Temperaturen der ihrem Eintritt vorhergehenden Tage.
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in der Phänologie.
Die Pflanzengeographie leidet in dieser Beziehung
darunter, auf die meteorologischen Tabellen hingewiesen
zu sein, während sie solche im innigsten Zusammenhange
mit den Beobachtungspflanzen angestellt benutzen sollte;
die phänologischen Beobachtungen erstrecken sich auf an
verschiedenen Orten zerstreute Pflanzen, die meteoro-
logischen sind dagegen meist nur an einer Stelle gemacht
und gelten meist nur für Schatten. Die Variationen
zwischen Mittags-Sonnentemperatur und Nachtkühle ge-
langen in keinem Berechnungsmittel zum Ausdrucke.
Auch die Höhe des Thermometers über dem Boden be-
einflusst die abgelesenen Temperaturen so sehr, dass man
die Blüte des Schneeglöckchens und der Kornelkirsche
durchaus nicht nach einem Instrument beurteilen darf,
wenn es sich bezüglich der dabei wirksamen Tempera-
turen um absolute Zahlen handeln soll. Auch ist es klar,
dass die Temperaturen des Erdbodens selbst in bestimmter
Tiefe das Hervortreiben der Frühlings-Zwiebelpflanzen u. a.
aus der Erde beeinflussen, während deren Blüte durch
die Lufttemperaturen dicht über der Erde beeinflusst
wird. Für die Sonnenpflanzen, welche meistens zur Be-
obachtung gewählt werden, sind Insolationsthermometer
unerlässlich und sind deshalb auch schon seit lange in
Giessen in Gebrauch, aber nur selten an anderen Orten.
Diese Bemerkungen enthalten so viel Einwände gegen die
Beobachtungsmethoden und teilweise unlösbare Schwie-
rigkeiten, dass, selbst wenn vom Standpunkt der Theorie
aus ein fester Zusammenhang konkreter Art zwischen
Temperatur und Vegetationsphasen zugegeben werden
müsste, man sich nicht wundern dürfte, wenn derselbe
noch nicht in irgend einer Form gefunden wäre. Nun
ist aber nicht einmal vom theoretischen Standpunkte aus
ein konkretes Verhältnis zwischen Temperatur (in irgend
welcher Form der meteorologischen Beobachtungen) und
Vegetationsphasen der Zeit nach zu fordern.
Denn nicht eine einzelne Temperatur bewirkt für
sich den Eintritt eines Gewächses in eine bestimmte Phase,
sondern die Phase ist angewiesen gewesen zugleich auf
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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