physiognomische Betrachtungsweise ihr Augenmerk auf besonders in die Augen fallende Pflanzenformen als Typen eines eigenen Systems gerichtet, hat versucht, mit diesem physiognomischen Klassensystem den Charakter einer Gegend in kurzer Schilderung zu zeichnen, und sie hat sich in dieser physiognomischen Einteilung vom ver- wandtschaftlich-morphologischen Pflanzensystem zu be- freien gesucht. Hierin liegt eine Unnatürlichkeit.
Die Gleichheit landschaftlicher Erscheinungsweise ist auch den natürlichsten Familien fremd. Humboldt führt unter seinen 15 pflanzenphysiognomischen Charak- terformen (vergl. Fl. d. E., S. 11) beispielsweise auch die Palmen an und wird sich dabei gewiss der Zustim- mung vieler Reisenden in den Tropen erfreuen; sähe man aber im amerikanischen Urwalde eine stammlose Geonoma mit langen ungeteilten Blättern neben einem indischen Calamus mit hundert Fuss langem, an Bäumen emporkletternden Stamm, ein dichtes Gebüsch von durch ihre Stacheln furchtbaren, aus der Wurzel sprossenden Bactris neben dem säulengleichen Stamme eines hoch in die Berglüfte ragenden Ceroxylon, die kurzstruppigen Chamaerops in den südspanischen Ebenen neben den dicken Sagopalmen (Metroxylon) mit riesigen Wedeln, so würde man sich fragen, mit welchem Rechte dies eine land- schaftliche Einheit genannt werden dürfe? Die Verwandt- schaft ist zwar da, die botanische Systematik gibt sie an und lehrt die Gründe dafür; aber eine physiognomische Einheit ist nicht da, und jeder Palmenart kommt eine eigene Rolle in der Teilhaberschaft an der Vegetationsdecke der Tropen zu. -- Dasselbe lässt sich sagen von einer grossen Fülle anderer monokotyler Charakterformen, deren jede sozusagen einen Typus für sich bildet, von den Bananen, Heliconien und Strelitzien im Vergleich mit der Ravenala von Madagaskar, den Agaven, Yucca- und Dasylirion-Arten, den Xanthorrhöen und Kingien Austra- liens im Vergleich mit den Pandanusarten der Tropen der Alten Welt, u. s. w.
Von allen diesen ist die Physiognomie ihrer Form so eigenartig, dass nur mit dem grössten Zwange ein
Unnatürlichkeit eines eigenen
physiognomische Betrachtungsweise ihr Augenmerk auf besonders in die Augen fallende Pflanzenformen als Typen eines eigenen Systems gerichtet, hat versucht, mit diesem physiognomischen Klassensystem den Charakter einer Gegend in kurzer Schilderung zu zeichnen, und sie hat sich in dieser physiognomischen Einteilung vom ver- wandtschaftlich-morphologischen Pflanzensystem zu be- freien gesucht. Hierin liegt eine Unnatürlichkeit.
Die Gleichheit landschaftlicher Erscheinungsweise ist auch den natürlichsten Familien fremd. Humboldt führt unter seinen 15 pflanzenphysiognomischen Charak- terformen (vergl. Fl. d. E., S. 11) beispielsweise auch die Palmen an und wird sich dabei gewiss der Zustim- mung vieler Reisenden in den Tropen erfreuen; sähe man aber im amerikanischen Urwalde eine stammlose Geonoma mit langen ungeteilten Blättern neben einem indischen Calamus mit hundert Fuss langem, an Bäumen emporkletternden Stamm, ein dichtes Gebüsch von durch ihre Stacheln furchtbaren, aus der Wurzel sprossenden Bactris neben dem säulengleichen Stamme eines hoch in die Berglüfte ragenden Ceroxylon, die kurzstruppigen Chamaerops in den südspanischen Ebenen neben den dicken Sagopalmen (Metroxylon) mit riesigen Wedeln, so würde man sich fragen, mit welchem Rechte dies eine land- schaftliche Einheit genannt werden dürfe? Die Verwandt- schaft ist zwar da, die botanische Systematik gibt sie an und lehrt die Gründe dafür; aber eine physiognomische Einheit ist nicht da, und jeder Palmenart kommt eine eigene Rolle in der Teilhaberschaft an der Vegetationsdecke der Tropen zu. — Dasselbe lässt sich sagen von einer grossen Fülle anderer monokotyler Charakterformen, deren jede sozusagen einen Typus für sich bildet, von den Bananen, Heliconien und Strelitzien im Vergleich mit der Ravenala von Madagaskar, den Agaven, Yucca- und Dasylirion-Arten, den Xanthorrhöen und Kingien Austra- liens im Vergleich mit den Pandanusarten der Tropen der Alten Welt, u. s. w.
Von allen diesen ist die Physiognomie ihrer Form so eigenartig, dass nur mit dem grössten Zwange ein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0248"n="218"/><fwplace="top"type="header">Unnatürlichkeit eines eigenen</fw><lb/>
physiognomische Betrachtungsweise ihr Augenmerk auf<lb/>
besonders in die Augen fallende Pflanzenformen als<lb/><hirendition="#g">Typen eines eigenen Systems</hi> gerichtet, hat versucht,<lb/>
mit diesem physiognomischen Klassensystem den Charakter<lb/>
einer Gegend in kurzer Schilderung zu zeichnen, und sie<lb/>
hat sich in dieser physiognomischen Einteilung vom ver-<lb/>
wandtschaftlich-morphologischen Pflanzensystem zu be-<lb/>
freien gesucht. Hierin liegt eine Unnatürlichkeit.</p><lb/><p>Die Gleichheit landschaftlicher Erscheinungsweise<lb/>
ist auch den natürlichsten Familien fremd. Humboldt<lb/>
führt unter seinen 15 pflanzenphysiognomischen Charak-<lb/>
terformen (vergl. <hirendition="#i">Fl. d. E.,</hi> S. 11) beispielsweise auch<lb/>
die Palmen an und wird sich dabei gewiss der Zustim-<lb/>
mung vieler Reisenden in den Tropen erfreuen; sähe<lb/>
man aber im amerikanischen Urwalde eine stammlose<lb/><hirendition="#i">Geonoma</hi> mit langen ungeteilten Blättern neben einem<lb/>
indischen <hirendition="#i">Calamus</hi> mit hundert Fuss langem, an Bäumen<lb/>
emporkletternden Stamm, ein dichtes Gebüsch von durch<lb/>
ihre Stacheln furchtbaren, aus der Wurzel sprossenden<lb/><hirendition="#i">Bactris</hi> neben dem säulengleichen Stamme eines hoch in<lb/>
die Berglüfte ragenden <hirendition="#i">Ceroxylon</hi>, die kurzstruppigen<lb/><hirendition="#i">Chamaerops</hi> in den südspanischen Ebenen neben den dicken<lb/>
Sagopalmen (<hirendition="#i">Metroxylon</hi>) mit riesigen Wedeln, so würde<lb/>
man sich fragen, mit welchem Rechte dies eine land-<lb/>
schaftliche Einheit genannt werden dürfe? Die Verwandt-<lb/>
schaft ist zwar da, die botanische Systematik gibt sie<lb/>
an und lehrt die Gründe dafür; aber eine physiognomische<lb/>
Einheit ist nicht da, und jeder Palmenart kommt eine<lb/>
eigene Rolle in der Teilhaberschaft an der Vegetationsdecke<lb/>
der Tropen zu. — Dasselbe lässt sich sagen von einer<lb/>
grossen Fülle anderer monokotyler Charakterformen, deren<lb/>
jede sozusagen einen Typus für sich bildet, von den<lb/>
Bananen, Heliconien und Strelitzien im Vergleich mit<lb/>
der Ravenala von Madagaskar, den Agaven, Yucca- und<lb/>
Dasylirion-Arten, den Xanthorrhöen und Kingien Austra-<lb/>
liens im Vergleich mit den Pandanusarten der Tropen<lb/>
der Alten Welt, u. s. w.</p><lb/><p>Von allen diesen ist die Physiognomie ihrer Form<lb/>
so eigenartig, dass nur mit dem grössten Zwange ein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[218/0248]
Unnatürlichkeit eines eigenen
physiognomische Betrachtungsweise ihr Augenmerk auf
besonders in die Augen fallende Pflanzenformen als
Typen eines eigenen Systems gerichtet, hat versucht,
mit diesem physiognomischen Klassensystem den Charakter
einer Gegend in kurzer Schilderung zu zeichnen, und sie
hat sich in dieser physiognomischen Einteilung vom ver-
wandtschaftlich-morphologischen Pflanzensystem zu be-
freien gesucht. Hierin liegt eine Unnatürlichkeit.
Die Gleichheit landschaftlicher Erscheinungsweise
ist auch den natürlichsten Familien fremd. Humboldt
führt unter seinen 15 pflanzenphysiognomischen Charak-
terformen (vergl. Fl. d. E., S. 11) beispielsweise auch
die Palmen an und wird sich dabei gewiss der Zustim-
mung vieler Reisenden in den Tropen erfreuen; sähe
man aber im amerikanischen Urwalde eine stammlose
Geonoma mit langen ungeteilten Blättern neben einem
indischen Calamus mit hundert Fuss langem, an Bäumen
emporkletternden Stamm, ein dichtes Gebüsch von durch
ihre Stacheln furchtbaren, aus der Wurzel sprossenden
Bactris neben dem säulengleichen Stamme eines hoch in
die Berglüfte ragenden Ceroxylon, die kurzstruppigen
Chamaerops in den südspanischen Ebenen neben den dicken
Sagopalmen (Metroxylon) mit riesigen Wedeln, so würde
man sich fragen, mit welchem Rechte dies eine land-
schaftliche Einheit genannt werden dürfe? Die Verwandt-
schaft ist zwar da, die botanische Systematik gibt sie
an und lehrt die Gründe dafür; aber eine physiognomische
Einheit ist nicht da, und jeder Palmenart kommt eine
eigene Rolle in der Teilhaberschaft an der Vegetationsdecke
der Tropen zu. — Dasselbe lässt sich sagen von einer
grossen Fülle anderer monokotyler Charakterformen, deren
jede sozusagen einen Typus für sich bildet, von den
Bananen, Heliconien und Strelitzien im Vergleich mit
der Ravenala von Madagaskar, den Agaven, Yucca- und
Dasylirion-Arten, den Xanthorrhöen und Kingien Austra-
liens im Vergleich mit den Pandanusarten der Tropen
der Alten Welt, u. s. w.
Von allen diesen ist die Physiognomie ihrer Form
so eigenartig, dass nur mit dem grössten Zwange ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/248>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.