selbst im Vergleich mit der uns allein gut bekannten Gegenwart andere gewesen sein, und es können die jetzigen Inseln mehr oder weniger vollständig in Land- oder Insel- reihenverbindung gestanden haben und dadurch dem breiten Einwanderungswege einer ganz bestimmten Flora eröffnet gewesen sein.
Für die Canaren, Madeira und Azoren, die an endemischen Formen reiche makaronesische Inselgruppe mit vorwiegend medi- terran-westeuropäischem Florencharakter, war wohl die Idee zuerst aufgestellt und durch sichere Hinweise, den Vergleich ihrer jetzigen Flora mit der westeuropäischen Tertiärflora, gestützt, dass diese Endemismen von tertiärem Charakter seien. Die damals in Europa verbreiteten Persea-, Phoebe- und Laurus-Arten, Arbutus etc., sind seit jener Periode transformiert und repräsentativ zerstreut. Lau- rus und Arbutus canariensis repräsentieren die jetzt mediterranen Laurus nobilis und Arbutus Unedo, A. Andrachne; Persea und Phoebe sind nur noch in Makaronesien; die Sapotacee Sideroxylon auf Madeira ist wenigstens familiär mit Argania Sideroxylon in Ma- rokko verwandt, beide bilden sonst aber die einzigen Formen dieser Gruppe im atlantischen Florengebiet der Jetztwelt; der einzige endemische Baum von Madeira, Clethra arborea, gehört zu einer unstreitig alttertiären, den Ericaceen nahestehenden Lebeform, deren Repräsentanten jetzt in Europa fehlen, in Amerika von Virginien bis Brasilien häufig sind. Hier haben wir einige Thatsachen, auf welche hin die Hypothese der "Atlantis" als eines atlantischen, Westeuropa und Amerika auf Wanderungswegen verbindenden und jetzt versunkenen Festlandes von Unger 1850 ausgesprochen und von Heer 1855 scharfsinnig unterstützt wurde. In diesem ozeani- schen, von keiner Glacialzeit gestörten Klima hätten sich die Ab- kömmlinge der tertiären Mischflora viel reiner erhalten können, doch ist es selbstverständlich, dass ihre Artcharaktere im Kreise der gemeinsamen Gattungen, oft auch die letzteren selbst, reprä- sentativ geworden sind; der europäische Gesamtcharakter dagegen erklärte sich durch die geographische Lage und durch die viel länger bestehende Verbindung dieser Inseln mit Europa (vergl. "Oswald Heer, Lebensbild" von Schröter, Zürich 1888, S. 313). Diese Idee der Atlantis ist in Rücksicht auf ein ganz anderes Floren- gebiet unhaltbar, mindestens unnötig, gemacht: Miquel hatte die grosse Verwandtschaft zwischen der Flora Japans und des öst- lichen Nordamerikas hervorgehoben, Asa Gray diese Thatsache in vorzüglicher Weise zur Grundlage pflanzengeographischer Betrach- tungen gemacht, und die damals gemachte Ableitung gilt auch heute, dass nämlich die Gemeinsamkeit nicht aus Wanderungen von Japan nach Carolina oder umgekehrt herrührt, sondern aus der altgeologischen Gemeinsamkeit der vom Norden her in beide völlig getrennte Ländergebiete einwandernden Besiedelungselemente, welche hier wie dort repräsentativ umgebildet sind. In diesem
Drude, Pflanzengeographie. 9
Die Atlantis.
selbst im Vergleich mit der uns allein gut bekannten Gegenwart andere gewesen sein, und es können die jetzigen Inseln mehr oder weniger vollständig in Land- oder Insel- reihenverbindung gestanden haben und dadurch dem breiten Einwanderungswege einer ganz bestimmten Flora eröffnet gewesen sein.
Für die Canaren, Madeira und Azoren, die an endemischen Formen reiche makaronesische Inselgruppe mit vorwiegend medi- terran-westeuropäischem Florencharakter, war wohl die Idee zuerst aufgestellt und durch sichere Hinweise, den Vergleich ihrer jetzigen Flora mit der westeuropäischen Tertiärflora, gestützt, dass diese Endemismen von tertiärem Charakter seien. Die damals in Europa verbreiteten Persea-, Phoebe- und Laurus-Arten, Arbutus etc., sind seit jener Periode transformiert und repräsentativ zerstreut. Lau- rus und Arbutus canariensis repräsentieren die jetzt mediterranen Laurus nobilis und Arbutus Unedo, A. Andrachne; Persea und Phoebe sind nur noch in Makaronesien; die Sapotacee Sideroxylon auf Madeira ist wenigstens familiär mit Argania Sideroxylon in Ma- rokko verwandt, beide bilden sonst aber die einzigen Formen dieser Gruppe im atlantischen Florengebiet der Jetztwelt; der einzige endemische Baum von Madeira, Clethra arborea, gehört zu einer unstreitig alttertiären, den Ericaceen nahestehenden Lebeform, deren Repräsentanten jetzt in Europa fehlen, in Amerika von Virginien bis Brasilien häufig sind. Hier haben wir einige Thatsachen, auf welche hin die Hypothese der „Atlantis“ als eines atlantischen, Westeuropa und Amerika auf Wanderungswegen verbindenden und jetzt versunkenen Festlandes von Unger 1850 ausgesprochen und von Heer 1855 scharfsinnig unterstützt wurde. In diesem ozeani- schen, von keiner Glacialzeit gestörten Klima hätten sich die Ab- kömmlinge der tertiären Mischflora viel reiner erhalten können, doch ist es selbstverständlich, dass ihre Artcharaktere im Kreise der gemeinsamen Gattungen, oft auch die letzteren selbst, reprä- sentativ geworden sind; der europäische Gesamtcharakter dagegen erklärte sich durch die geographische Lage und durch die viel länger bestehende Verbindung dieser Inseln mit Europa (vergl. „Oswald Heer, Lebensbild“ von Schröter, Zürich 1888, S. 313). Diese Idee der Atlantis ist in Rücksicht auf ein ganz anderes Floren- gebiet unhaltbar, mindestens unnötig, gemacht: Miquel hatte die grosse Verwandtschaft zwischen der Flora Japans und des öst- lichen Nordamerikas hervorgehoben, Asa Gray diese Thatsache in vorzüglicher Weise zur Grundlage pflanzengeographischer Betrach- tungen gemacht, und die damals gemachte Ableitung gilt auch heute, dass nämlich die Gemeinsamkeit nicht aus Wanderungen von Japan nach Carolina oder umgekehrt herrührt, sondern aus der altgeologischen Gemeinsamkeit der vom Norden her in beide völlig getrennte Ländergebiete einwandernden Besiedelungselemente, welche hier wie dort repräsentativ umgebildet sind. In diesem
Drude, Pflanzengeographie. 9
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Die Atlantis.
selbst im Vergleich mit der uns allein gut bekannten
Gegenwart andere gewesen sein, und es können die jetzigen
Inseln mehr oder weniger vollständig in Land- oder Insel-
reihenverbindung gestanden haben und dadurch dem
breiten Einwanderungswege einer ganz bestimmten Flora
eröffnet gewesen sein.
Für die Canaren, Madeira und Azoren, die an endemischen
Formen reiche makaronesische Inselgruppe mit vorwiegend medi-
terran-westeuropäischem Florencharakter, war wohl die Idee zuerst
aufgestellt und durch sichere Hinweise, den Vergleich ihrer jetzigen
Flora mit der westeuropäischen Tertiärflora, gestützt, dass diese
Endemismen von tertiärem Charakter seien. Die damals in Europa
verbreiteten Persea-, Phoebe- und Laurus-Arten, Arbutus etc., sind
seit jener Periode transformiert und repräsentativ zerstreut. Lau-
rus und Arbutus canariensis repräsentieren die jetzt mediterranen
Laurus nobilis und Arbutus Unedo, A. Andrachne; Persea und Phoebe
sind nur noch in Makaronesien; die Sapotacee Sideroxylon auf
Madeira ist wenigstens familiär mit Argania Sideroxylon in Ma-
rokko verwandt, beide bilden sonst aber die einzigen Formen
dieser Gruppe im atlantischen Florengebiet der Jetztwelt; der einzige
endemische Baum von Madeira, Clethra arborea, gehört zu einer
unstreitig alttertiären, den Ericaceen nahestehenden Lebeform, deren
Repräsentanten jetzt in Europa fehlen, in Amerika von Virginien
bis Brasilien häufig sind. Hier haben wir einige Thatsachen, auf
welche hin die Hypothese der „Atlantis“ als eines atlantischen,
Westeuropa und Amerika auf Wanderungswegen verbindenden und
jetzt versunkenen Festlandes von Unger 1850 ausgesprochen und
von Heer 1855 scharfsinnig unterstützt wurde. In diesem ozeani-
schen, von keiner Glacialzeit gestörten Klima hätten sich die Ab-
kömmlinge der tertiären Mischflora viel reiner erhalten können,
doch ist es selbstverständlich, dass ihre Artcharaktere im Kreise
der gemeinsamen Gattungen, oft auch die letzteren selbst, reprä-
sentativ geworden sind; der europäische Gesamtcharakter dagegen
erklärte sich durch die geographische Lage und durch die viel
länger bestehende Verbindung dieser Inseln mit Europa (vergl.
„Oswald Heer, Lebensbild“ von Schröter, Zürich 1888, S. 313).
Diese Idee der Atlantis ist in Rücksicht auf ein ganz anderes Floren-
gebiet unhaltbar, mindestens unnötig, gemacht: Miquel hatte die
grosse Verwandtschaft zwischen der Flora Japans und des öst-
lichen Nordamerikas hervorgehoben, Asa Gray diese Thatsache in
vorzüglicher Weise zur Grundlage pflanzengeographischer Betrach-
tungen gemacht, und die damals gemachte Ableitung gilt auch
heute, dass nämlich die Gemeinsamkeit nicht aus Wanderungen
von Japan nach Carolina oder umgekehrt herrührt, sondern aus
der altgeologischen Gemeinsamkeit der vom Norden her in beide
völlig getrennte Ländergebiete einwandernden Besiedelungselemente,
welche hier wie dort repräsentativ umgebildet sind. In diesem
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/151>, abgerufen am 22.11.2024.
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