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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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Abgeschlossene Entwickelung der Inseln.
Arten eine wichtige Rolle spielen, ist der Grundsatz
herrschend geworden, dass die endemischen Inselfloren
eine Transformation der kontinentalen Hauptstämme aus
den zugehörigen Florenreichen mit Einschluss fremder Ein-
wanderungen seien. Was Grisebach dagegen anzuführen
unternahm (Abh. S. 337), ist mehr geeignet, die Schwie-
rigkeiten einer einheitlichen Erklärung zu erläutern und
vor gewissen einseitigen Uebertreibungen zu warnen, als
dass es ein wirklich neues Moment hinzugefügt hätte.
Das Hauptmoment aber, was durch vergleichende Unter-
suchungen erfahrener Floristen allmählich klarer zum
Bewusstsein gekommen ist, liegt darin, dass die Flora
der Inseln nicht etwa nur als Transmutation der jetzt
lebenden Kontinentalfloren erfasst werden darf, sondern
dass auf vielen Inseln unzweifelhaft eine Weiterentwicke-
lung alter, vielleicht den Charakter irgend einer älteren
tertiären Periode repräsentierender Stammfloren statt-
gefunden hat, welche sich hier im Schutze der Abge-
schiedenheit fern von dem Einfluss kontinentaler Um-
wälzungserscheinungen sicher erhalten konnten. Durch
diesen Charakter zeichnen sich auch die Inselfloren vor
den oft mit ihnen in Bezug auf reiche Entfaltung des
Endemismus verglichenen Hochgebirgsfloren aus, deren
Vertreter viel weniger selten einen direkt verwandtschaft-
lichen Anschluss an Formen der kontinentalen Tiefländer
zeigen.

Durch diese Hinzufügung wird die theoretische Lösung
für das reiche Bild der gesammelten und einander oft
scheinbar widersinnigen Beobachtungen zwar ermöglicht,
die Erklärung einer einzelnen Inselflora in ihrem gegen-
wärtigen Zustande aber erschwert. Denn wir sehen die
Einwanderungsfähigkeit vieler kontinentaler Arten durch
besondere weitwirkende Verbreitungsmittel (s. oben S. 121)
vor unseren Augen; dieselbe Einwanderungsfähigkeit an-
derer, älterer Arten muss in den vergangenen Erdperioden
ebenfalls bestanden haben und hat dann einen ganz
anderen Grundstock geliefert; es können aber damals die
Einwanderungswege durch veränderte Windrichtung,
Meeresströme, Gestalt und Ausdehnung der Kontinente

Abgeschlossene Entwickelung der Inseln.
Arten eine wichtige Rolle spielen, ist der Grundsatz
herrschend geworden, dass die endemischen Inselfloren
eine Transformation der kontinentalen Hauptstämme aus
den zugehörigen Florenreichen mit Einschluss fremder Ein-
wanderungen seien. Was Grisebach dagegen anzuführen
unternahm (Abh. S. 337), ist mehr geeignet, die Schwie-
rigkeiten einer einheitlichen Erklärung zu erläutern und
vor gewissen einseitigen Uebertreibungen zu warnen, als
dass es ein wirklich neues Moment hinzugefügt hätte.
Das Hauptmoment aber, was durch vergleichende Unter-
suchungen erfahrener Floristen allmählich klarer zum
Bewusstsein gekommen ist, liegt darin, dass die Flora
der Inseln nicht etwa nur als Transmutation der jetzt
lebenden Kontinentalfloren erfasst werden darf, sondern
dass auf vielen Inseln unzweifelhaft eine Weiterentwicke-
lung alter, vielleicht den Charakter irgend einer älteren
tertiären Periode repräsentierender Stammfloren statt-
gefunden hat, welche sich hier im Schutze der Abge-
schiedenheit fern von dem Einfluss kontinentaler Um-
wälzungserscheinungen sicher erhalten konnten. Durch
diesen Charakter zeichnen sich auch die Inselfloren vor
den oft mit ihnen in Bezug auf reiche Entfaltung des
Endemismus verglichenen Hochgebirgsfloren aus, deren
Vertreter viel weniger selten einen direkt verwandtschaft-
lichen Anschluss an Formen der kontinentalen Tiefländer
zeigen.

Durch diese Hinzufügung wird die theoretische Lösung
für das reiche Bild der gesammelten und einander oft
scheinbar widersinnigen Beobachtungen zwar ermöglicht,
die Erklärung einer einzelnen Inselflora in ihrem gegen-
wärtigen Zustande aber erschwert. Denn wir sehen die
Einwanderungsfähigkeit vieler kontinentaler Arten durch
besondere weitwirkende Verbreitungsmittel (s. oben S. 121)
vor unseren Augen; dieselbe Einwanderungsfähigkeit an-
derer, älterer Arten muss in den vergangenen Erdperioden
ebenfalls bestanden haben und hat dann einen ganz
anderen Grundstock geliefert; es können aber damals die
Einwanderungswege durch veränderte Windrichtung,
Meeresströme, Gestalt und Ausdehnung der Kontinente

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[128/0150] Abgeschlossene Entwickelung der Inseln. Arten eine wichtige Rolle spielen, ist der Grundsatz herrschend geworden, dass die endemischen Inselfloren eine Transformation der kontinentalen Hauptstämme aus den zugehörigen Florenreichen mit Einschluss fremder Ein- wanderungen seien. Was Grisebach dagegen anzuführen unternahm (Abh. S. 337), ist mehr geeignet, die Schwie- rigkeiten einer einheitlichen Erklärung zu erläutern und vor gewissen einseitigen Uebertreibungen zu warnen, als dass es ein wirklich neues Moment hinzugefügt hätte. Das Hauptmoment aber, was durch vergleichende Unter- suchungen erfahrener Floristen allmählich klarer zum Bewusstsein gekommen ist, liegt darin, dass die Flora der Inseln nicht etwa nur als Transmutation der jetzt lebenden Kontinentalfloren erfasst werden darf, sondern dass auf vielen Inseln unzweifelhaft eine Weiterentwicke- lung alter, vielleicht den Charakter irgend einer älteren tertiären Periode repräsentierender Stammfloren statt- gefunden hat, welche sich hier im Schutze der Abge- schiedenheit fern von dem Einfluss kontinentaler Um- wälzungserscheinungen sicher erhalten konnten. Durch diesen Charakter zeichnen sich auch die Inselfloren vor den oft mit ihnen in Bezug auf reiche Entfaltung des Endemismus verglichenen Hochgebirgsfloren aus, deren Vertreter viel weniger selten einen direkt verwandtschaft- lichen Anschluss an Formen der kontinentalen Tiefländer zeigen. Durch diese Hinzufügung wird die theoretische Lösung für das reiche Bild der gesammelten und einander oft scheinbar widersinnigen Beobachtungen zwar ermöglicht, die Erklärung einer einzelnen Inselflora in ihrem gegen- wärtigen Zustande aber erschwert. Denn wir sehen die Einwanderungsfähigkeit vieler kontinentaler Arten durch besondere weitwirkende Verbreitungsmittel (s. oben S. 121) vor unseren Augen; dieselbe Einwanderungsfähigkeit an- derer, älterer Arten muss in den vergangenen Erdperioden ebenfalls bestanden haben und hat dann einen ganz anderen Grundstock geliefert; es können aber damals die Einwanderungswege durch veränderte Windrichtung, Meeresströme, Gestalt und Ausdehnung der Kontinente

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/150>, abgerufen am 22.11.2024.