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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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sich in diesem Moment handelt; und so bis zu den kleinen und klein-
sten "Handlungen der Menschen" hinab, sie alle vollziehen sich in dem
unabsehbar mannigfaltigen Zusammenhang von Interessen, Conflicten,
Geschäften, von Motiven, Leidenschaften, Kräften und Hemmungen,
deren Gesammtheit man wohl die sittliche Welt genannt hat. Man
wird diese unter sehr verschiedenartigen Gesichtspunkten betrachten
können, praktischen, technischen, rechtlichen, socialen u. s. w.; end-
lich auch eine Betrachtungsweise der sittlichen Welt ist die ge-
schichtliche.

Ich versage es mir die Consequenzen dieser Erörterungen darzu-
legen; Consequenzen, welche uns, wie der aufmerksame Leser sich
selber sagen wird, zu demjenigen Punkte führen würden, an dem sich
ergiebt, wie, wenn ich so sagen darf, aus den Geschäften Geschichte
wird, von welcher Art die auf solche Materialien begründete, in solchem
Bereich anwendbare Erkenntnissweise beschaffen sein wird, was sie
leisten und nicht leisten kann, wie beschaffen die Gewissheit ist, die
sie zu geben, die Wahrheit, die sie zu finden im Stande ist.

Buckle hat die Güte anzuerkennen, dass der Glaube an den Werth
der Geschichte weit verbreitet, dass ein Stoff gesammelt sei, der im
Ganzen ein reiches und Achtung gebietendendes Ansehn habe; er
schildert in grossen Zügen, welche Menge von Forschungen und Ent-
deckungen auf dem historischen Gebiet bereits gemacht sei; aber, fügt
er hinzu, "wenn wir sagen sollen, wie dieser Stoff benutzt worden, so
müssen wir ein ganz anderes Gemälde entwerfen." Wie er benutzt
worden? muss denn alles exploitirt werden? ist denn die staunens-
würdige Tiefe mathematischer Erkenntniss nur darum wissenschaftlich,
weil der Feldmesser, der Mechaniker den einen oder andern Satz aus
ihr benutzen kann? Wenn die Propheten dem Volk Israel mahnend
und strafend das Bild seiner selbst vorhielten, wie anders fanden sie
es als in dem Nachweis, wie der Gott der Väter sich ihnen bezeugt
habe "von Aegypten her"; wenn Thukydides sein ktema eis aei
schrieb, sollte er mit diesem stolzen Worte die kunstreiche Form, in
der er schrieb, nicht das geschichtliche Drama, von dem er schrieb,
gemeint haben? Buckle's vorwurfsvolle Frage vergisst, dass die Arbeit
der Jahrhunderte das Fideicommiss jeder neuen Generation ist; worin
anders besteht die von ihm selbst so hochgefeierte Civilisation, als in

sich in diesem Moment handelt; und so bis zu den kleinen und klein-
sten „Handlungen der Menschen“ hinab, sie alle vollziehen sich in dem
unabsehbar mannigfaltigen Zusammenhang von Interessen, Conflicten,
Geschäften, von Motiven, Leidenschaften, Kräften und Hemmungen,
deren Gesammtheit man wohl die sittliche Welt genannt hat. Man
wird diese unter sehr verschiedenartigen Gesichtspunkten betrachten
können, praktischen, technischen, rechtlichen, socialen u. s. w.; end-
lich auch eine Betrachtungsweise der sittlichen Welt ist die ge-
schichtliche.

Ich versage es mir die Consequenzen dieser Erörterungen darzu-
legen; Consequenzen, welche uns, wie der aufmerksame Leser sich
selber sagen wird, zu demjenigen Punkte führen würden, an dem sich
ergiebt, wie, wenn ich so sagen darf, aus den Geschäften Geschichte
wird, von welcher Art die auf solche Materialien begründete, in solchem
Bereich anwendbare Erkenntnissweise beschaffen sein wird, was sie
leisten und nicht leisten kann, wie beschaffen die Gewissheit ist, die
sie zu geben, die Wahrheit, die sie zu finden im Stande ist.

Buckle hat die Güte anzuerkennen, dass der Glaube an den Werth
der Geschichte weit verbreitet, dass ein Stoff gesammelt sei, der im
Ganzen ein reiches und Achtung gebietendendes Ansehn habe; er
schildert in grossen Zügen, welche Menge von Forschungen und Ent-
deckungen auf dem historischen Gebiet bereits gemacht sei; aber, fügt
er hinzu, „wenn wir sagen sollen, wie dieser Stoff benutzt worden, so
müssen wir ein ganz anderes Gemälde entwerfen.“ Wie er benutzt
worden? muss denn alles exploitirt werden? ist denn die staunens-
würdige Tiefe mathematischer Erkenntniss nur darum wissenschaftlich,
weil der Feldmesser, der Mechaniker den einen oder andern Satz aus
ihr benutzen kann? Wenn die Propheten dem Volk Israel mahnend
und strafend das Bild seiner selbst vorhielten, wie anders fanden sie
es als in dem Nachweis, wie der Gott der Väter sich ihnen bezeugt
habe „von Aegypten her“; wenn Thukydides sein κτῆμα εἰς ἀεὶ
schrieb, sollte er mit diesem stolzen Worte die kunstreiche Form, in
der er schrieb, nicht das geschichtliche Drama, von dem er schrieb,
gemeint haben? Buckle’s vorwurfsvolle Frage vergisst, dass die Arbeit
der Jahrhunderte das Fideicommiss jeder neuen Generation ist; worin
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[50/0059] sich in diesem Moment handelt; und so bis zu den kleinen und klein- sten „Handlungen der Menschen“ hinab, sie alle vollziehen sich in dem unabsehbar mannigfaltigen Zusammenhang von Interessen, Conflicten, Geschäften, von Motiven, Leidenschaften, Kräften und Hemmungen, deren Gesammtheit man wohl die sittliche Welt genannt hat. Man wird diese unter sehr verschiedenartigen Gesichtspunkten betrachten können, praktischen, technischen, rechtlichen, socialen u. s. w.; end- lich auch eine Betrachtungsweise der sittlichen Welt ist die ge- schichtliche. Ich versage es mir die Consequenzen dieser Erörterungen darzu- legen; Consequenzen, welche uns, wie der aufmerksame Leser sich selber sagen wird, zu demjenigen Punkte führen würden, an dem sich ergiebt, wie, wenn ich so sagen darf, aus den Geschäften Geschichte wird, von welcher Art die auf solche Materialien begründete, in solchem Bereich anwendbare Erkenntnissweise beschaffen sein wird, was sie leisten und nicht leisten kann, wie beschaffen die Gewissheit ist, die sie zu geben, die Wahrheit, die sie zu finden im Stande ist. Buckle hat die Güte anzuerkennen, dass der Glaube an den Werth der Geschichte weit verbreitet, dass ein Stoff gesammelt sei, der im Ganzen ein reiches und Achtung gebietendendes Ansehn habe; er schildert in grossen Zügen, welche Menge von Forschungen und Ent- deckungen auf dem historischen Gebiet bereits gemacht sei; aber, fügt er hinzu, „wenn wir sagen sollen, wie dieser Stoff benutzt worden, so müssen wir ein ganz anderes Gemälde entwerfen.“ Wie er benutzt worden? muss denn alles exploitirt werden? ist denn die staunens- würdige Tiefe mathematischer Erkenntniss nur darum wissenschaftlich, weil der Feldmesser, der Mechaniker den einen oder andern Satz aus ihr benutzen kann? Wenn die Propheten dem Volk Israel mahnend und strafend das Bild seiner selbst vorhielten, wie anders fanden sie es als in dem Nachweis, wie der Gott der Väter sich ihnen bezeugt habe „von Aegypten her“; wenn Thukydides sein κτῆμα εἰς ἀεὶ schrieb, sollte er mit diesem stolzen Worte die kunstreiche Form, in der er schrieb, nicht das geschichtliche Drama, von dem er schrieb, gemeint haben? Buckle’s vorwurfsvolle Frage vergisst, dass die Arbeit der Jahrhunderte das Fideicommiss jeder neuen Generation ist; worin anders besteht die von ihm selbst so hochgefeierte Civilisation, als in

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/59>, abgerufen am 22.11.2024.