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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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schaft der Geschichte glaubt", wie er selbst, und sie durch die An-
wendung der naturwissenschaftlichen Methode begründet zu haben ge-
wiss ist, konnte der übersehen, dass er damit die Geschichte nicht
sowohl zu einer Wissenschaft erhoben, als vielmehr in den Kreis der
Naturwissenschaften gestellt hat? Auch andere Wissenschaften, die
Theologie, die Philosophie haben zu Zeiten, wo ihre Methoden für die
allein wissenschaftlichen galten, die Geschichte, die Natur in ihre
Competenz ziehen zu müssen geglaubt; aber weder die Erkenntniss
der Natur noch die der Geschichte hatte in dem Maas grösseren Ge-
winn, als sie orthodoxer oder speculativer gesucht wurde. Giebt es
denn immer nur Einen Weg, Eine Methode des Erkennens? sind die
Methoden nicht je nach ihren Objecten andere und andere, wie die
Sinneswerkzeuge für die verschiedenen Formen sinnlicher Wahrnehmung,
wie die Organe für ihre verschiedengearteten Functionen?

"Wer an die Möglichkeit einer Wissenschaft der Geschichte glaubt,"
der müsste nach unserer Deutschen Art, logisch und sachgemäss zu
denken, nicht die Richtigkeit dieses seines Glaubens dadurch beweisen
wollen, dass er uns überzeugt, man könne auch mit den Händen gehen
und mit den Füssen verdauen, man könne auch Töne sehen und Far-
ben hören. Gewiss kann die Schwingungen einer Saite, die das Ohr
als einen tiefen Ton vernimmt, auch das Auge sehn; aber es sieht
Schwingungen, deren Eigenschaft, auch als Ton vernommen zu werden,
doch nur dem Ohr und seiner Methode der Wahrnehmung zugänglich
ist. Gewiss ist in den Bereichen, mit denen die "Wissenschaft der
Geschichte" zu thun hat, Vieles, was auch der naturwissenschaftlichen
Methode, Vieles, was andern und andern Formen wissenschaftlicher
Erkenntniss auch zuständig oder zugänglich ist; aber nur wenn da
Erscheinungen, wie viele oder wenige es denn sein mögen, wenn da
Gesichtspunkte, Beziehungen übrig bleiben, die keiner der sonstigen
Erkenntnissarten zugänglich sind, ist es angezeigt, dass es für sie noch
eine andere, eine eigene und besondere Methode geben müsse. Wenn
es eine "Wissenschaft der Geschichte", an die auch wir glauben, geben
soll, so ist damit gesagt, dass es einen Kreis von Erscheinungen gebe,
für die weder die theologische noch die philosophische, weder die
mathematische noch die physikalische Betrachtungsweise geeignet ist,
dass es Fragen gebe, auf die weder die Speculation Antwort giebt,

schaft der Geschichte glaubt“, wie er selbst, und sie durch die An-
wendung der naturwissenschaftlichen Methode begründet zu haben ge-
wiss ist, konnte der übersehen, dass er damit die Geschichte nicht
sowohl zu einer Wissenschaft erhoben, als vielmehr in den Kreis der
Naturwissenschaften gestellt hat? Auch andere Wissenschaften, die
Theologie, die Philosophie haben zu Zeiten, wo ihre Methoden für die
allein wissenschaftlichen galten, die Geschichte, die Natur in ihre
Competenz ziehen zu müssen geglaubt; aber weder die Erkenntniss
der Natur noch die der Geschichte hatte in dem Maas grösseren Ge-
winn, als sie orthodoxer oder speculativer gesucht wurde. Giebt es
denn immer nur Einen Weg, Eine Methode des Erkennens? sind die
Methoden nicht je nach ihren Objecten andere und andere, wie die
Sinneswerkzeuge für die verschiedenen Formen sinnlicher Wahrnehmung,
wie die Organe für ihre verschiedengearteten Functionen?

„Wer an die Möglichkeit einer Wissenschaft der Geschichte glaubt,“
der müsste nach unserer Deutschen Art, logisch und sachgemäss zu
denken, nicht die Richtigkeit dieses seines Glaubens dadurch beweisen
wollen, dass er uns überzeugt, man könne auch mit den Händen gehen
und mit den Füssen verdauen, man könne auch Töne sehen und Far-
ben hören. Gewiss kann die Schwingungen einer Saite, die das Ohr
als einen tiefen Ton vernimmt, auch das Auge sehn; aber es sieht
Schwingungen, deren Eigenschaft, auch als Ton vernommen zu werden,
doch nur dem Ohr und seiner Methode der Wahrnehmung zugänglich
ist. Gewiss ist in den Bereichen, mit denen die „Wissenschaft der
Geschichte“ zu thun hat, Vieles, was auch der naturwissenschaftlichen
Methode, Vieles, was andern und andern Formen wissenschaftlicher
Erkenntniss auch zuständig oder zugänglich ist; aber nur wenn da
Erscheinungen, wie viele oder wenige es denn sein mögen, wenn da
Gesichtspunkte, Beziehungen übrig bleiben, die keiner der sonstigen
Erkenntnissarten zugänglich sind, ist es angezeigt, dass es für sie noch
eine andere, eine eigene und besondere Methode geben müsse. Wenn
es eine „Wissenschaft der Geschichte“, an die auch wir glauben, geben
soll, so ist damit gesagt, dass es einen Kreis von Erscheinungen gebe,
für die weder die theologische noch die philosophische, weder die
mathematische noch die physikalische Betrachtungsweise geeignet ist,
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[47/0056] schaft der Geschichte glaubt“, wie er selbst, und sie durch die An- wendung der naturwissenschaftlichen Methode begründet zu haben ge- wiss ist, konnte der übersehen, dass er damit die Geschichte nicht sowohl zu einer Wissenschaft erhoben, als vielmehr in den Kreis der Naturwissenschaften gestellt hat? Auch andere Wissenschaften, die Theologie, die Philosophie haben zu Zeiten, wo ihre Methoden für die allein wissenschaftlichen galten, die Geschichte, die Natur in ihre Competenz ziehen zu müssen geglaubt; aber weder die Erkenntniss der Natur noch die der Geschichte hatte in dem Maas grösseren Ge- winn, als sie orthodoxer oder speculativer gesucht wurde. Giebt es denn immer nur Einen Weg, Eine Methode des Erkennens? sind die Methoden nicht je nach ihren Objecten andere und andere, wie die Sinneswerkzeuge für die verschiedenen Formen sinnlicher Wahrnehmung, wie die Organe für ihre verschiedengearteten Functionen? „Wer an die Möglichkeit einer Wissenschaft der Geschichte glaubt,“ der müsste nach unserer Deutschen Art, logisch und sachgemäss zu denken, nicht die Richtigkeit dieses seines Glaubens dadurch beweisen wollen, dass er uns überzeugt, man könne auch mit den Händen gehen und mit den Füssen verdauen, man könne auch Töne sehen und Far- ben hören. Gewiss kann die Schwingungen einer Saite, die das Ohr als einen tiefen Ton vernimmt, auch das Auge sehn; aber es sieht Schwingungen, deren Eigenschaft, auch als Ton vernommen zu werden, doch nur dem Ohr und seiner Methode der Wahrnehmung zugänglich ist. Gewiss ist in den Bereichen, mit denen die „Wissenschaft der Geschichte“ zu thun hat, Vieles, was auch der naturwissenschaftlichen Methode, Vieles, was andern und andern Formen wissenschaftlicher Erkenntniss auch zuständig oder zugänglich ist; aber nur wenn da Erscheinungen, wie viele oder wenige es denn sein mögen, wenn da Gesichtspunkte, Beziehungen übrig bleiben, die keiner der sonstigen Erkenntnissarten zugänglich sind, ist es angezeigt, dass es für sie noch eine andere, eine eigene und besondere Methode geben müsse. Wenn es eine „Wissenschaft der Geschichte“, an die auch wir glauben, geben soll, so ist damit gesagt, dass es einen Kreis von Erscheinungen gebe, für die weder die theologische noch die philosophische, weder die mathematische noch die physikalische Betrachtungsweise geeignet ist, dass es Fragen gebe, auf die weder die Speculation Antwort giebt,

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/56>, abgerufen am 22.11.2024.