Amphiktyonie die Abgeordneten der Völkerschaften nach den Ther- mopylen, und ließ sich durch gemeinsamen Beschluß die Hegemonie zuerkennen. In derselben Ansicht geschah es, daß der König gleich darnach an die Ambracioten, die sich demokratisirt hatten, Gesandte schickte, und in den freundlichsten Ausdrücken Erneuerung der alten Verträge antragen ließ; er bestätigte ihnen die Freiheit und Selbst- ständigkeit, die sie zu gründen ihm nur zuvorgekommen seien 45).
Mit wie prunkenden Beschlüssen indeß die anderen Hellenen die Hegemonie Macedoniens anerkannt hatten, die beiden wichtig- sten Stimmen der Dorier und Jonier hatten im Amphiktyonenrathe gefehlt, und mit Sparta und Athen war Theben durch seine tumul- tuarischen Dekrete vielleicht ein Aeußerstes zu wagen genöthigt. Freilich gerüstet waren sie nicht; Sparta hatte, seit Epaminondas am Eurotas gelagert, sich nicht erholen, Theben der Macedonischen Besatzung in der Kadmea noch nicht frei werden können, in Athen war wie immer, viel deklamirt und wenig gethan 46); selbst als die Nachricht kam, daß der König bereits in Thessalien sei, daß er mit den Thessaliern vereint in Hellas einrücken werde, daß er sich über die Verblendung der Athener sehr erzürnt geäußert habe, wa- ren, obschon Demosthenes nicht aufgehört hatte den Krieg zu predi- gen, die Rüstungen nicht eifriger betrieben worden 47). Alexander rückte indeß aus den Thermopylen in die Böotischen Ebenen hinab und lagerte sich unter den Mauern der Kadmea; von Widerstand der Thebaner war keine Rede. Als man in Athen erfuhr, daß Theben in Alexanders Händen sei, so daß jetzt ein Marsch von zwei Tagen den Feind vor die Thore der Stadt bringen konnte, so erwachte das Volk aus seinem Freiheitstaumel plötzlich zu der Muthlosigkeit, wie sie der Nähe des zürnenden Königs und der eigenen Ohnmacht angemessen war; es wurde beschlossen, in Eile die Mauern in Vertheidigungsstand zu setzen, alles bewegliche Gut vom Lande in die Stadt zu flüchten, falls Alexander, wie fast zu erwarten, sie seinen ganzen Zorn fühlen zu lassen Willens sei 48), zugleich aber auf Demosthenes Antrag bestimmt, Gesandte entgegen zu schicken, die seinen Zorn besänftigen, und dafür um Verzeihung bitten
45)Diod. Justin.
46)Demades p. 489.
47)Aeschin. adv. Ctes. p. 436.
48)Demades l. c.
Amphiktyonie die Abgeordneten der Völkerſchaften nach den Ther- mopylen, und ließ ſich durch gemeinſamen Beſchluß die Hegemonie zuerkennen. In derſelben Anſicht geſchah es, daß der König gleich darnach an die Ambracioten, die ſich demokratiſirt hatten, Geſandte ſchickte, und in den freundlichſten Ausdrücken Erneuerung der alten Verträge antragen ließ; er beſtätigte ihnen die Freiheit und Selbſt- ſtändigkeit, die ſie zu gründen ihm nur zuvorgekommen ſeien 45).
Mit wie prunkenden Beſchlüſſen indeß die anderen Hellenen die Hegemonie Macedoniens anerkannt hatten, die beiden wichtig- ſten Stimmen der Dorier und Jonier hatten im Amphiktyonenrathe gefehlt, und mit Sparta und Athen war Theben durch ſeine tumul- tuariſchen Dekrete vielleicht ein Aeußerſtes zu wagen genöthigt. Freilich gerüſtet waren ſie nicht; Sparta hatte, ſeit Epaminondas am Eurotas gelagert, ſich nicht erholen, Theben der Macedoniſchen Beſatzung in der Kadmea noch nicht frei werden können, in Athen war wie immer, viel deklamirt und wenig gethan 46); ſelbſt als die Nachricht kam, daß der König bereits in Theſſalien ſei, daß er mit den Theſſaliern vereint in Hellas einrücken werde, daß er ſich über die Verblendung der Athener ſehr erzürnt geäußert habe, wa- ren, obſchon Demoſthenes nicht aufgehört hatte den Krieg zu predi- gen, die Rüſtungen nicht eifriger betrieben worden 47). Alexander rückte indeß aus den Thermopylen in die Böotiſchen Ebenen hinab und lagerte ſich unter den Mauern der Kadmea; von Widerſtand der Thebaner war keine Rede. Als man in Athen erfuhr, daß Theben in Alexanders Händen ſei, ſo daß jetzt ein Marſch von zwei Tagen den Feind vor die Thore der Stadt bringen konnte, ſo erwachte das Volk aus ſeinem Freiheitstaumel plötzlich zu der Muthloſigkeit, wie ſie der Nähe des zürnenden Königs und der eigenen Ohnmacht angemeſſen war; es wurde beſchloſſen, in Eile die Mauern in Vertheidigungsſtand zu ſetzen, alles bewegliche Gut vom Lande in die Stadt zu flüchten, falls Alexander, wie faſt zu erwarten, ſie ſeinen ganzen Zorn fühlen zu laſſen Willens ſei 48), zugleich aber auf Demoſthenes Antrag beſtimmt, Geſandte entgegen zu ſchicken, die ſeinen Zorn beſänftigen, und dafür um Verzeihung bitten
45)Diod. Justin.
46)Demades p. 489.
47)Aeschin. adv. Ctes. p. 436.
48)Demades l. c.
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[60/0074]
Amphiktyonie die Abgeordneten der Völkerſchaften nach den Ther-
mopylen, und ließ ſich durch gemeinſamen Beſchluß die Hegemonie
zuerkennen. In derſelben Anſicht geſchah es, daß der König gleich
darnach an die Ambracioten, die ſich demokratiſirt hatten, Geſandte
ſchickte, und in den freundlichſten Ausdrücken Erneuerung der alten
Verträge antragen ließ; er beſtätigte ihnen die Freiheit und Selbſt-
ſtändigkeit, die ſie zu gründen ihm nur zuvorgekommen ſeien 45).
Mit wie prunkenden Beſchlüſſen indeß die anderen Hellenen
die Hegemonie Macedoniens anerkannt hatten, die beiden wichtig-
ſten Stimmen der Dorier und Jonier hatten im Amphiktyonenrathe
gefehlt, und mit Sparta und Athen war Theben durch ſeine tumul-
tuariſchen Dekrete vielleicht ein Aeußerſtes zu wagen genöthigt.
Freilich gerüſtet waren ſie nicht; Sparta hatte, ſeit Epaminondas
am Eurotas gelagert, ſich nicht erholen, Theben der Macedoniſchen
Beſatzung in der Kadmea noch nicht frei werden können, in Athen
war wie immer, viel deklamirt und wenig gethan 46); ſelbſt als
die Nachricht kam, daß der König bereits in Theſſalien ſei, daß er
mit den Theſſaliern vereint in Hellas einrücken werde, daß er ſich
über die Verblendung der Athener ſehr erzürnt geäußert habe, wa-
ren, obſchon Demoſthenes nicht aufgehört hatte den Krieg zu predi-
gen, die Rüſtungen nicht eifriger betrieben worden 47). Alexander
rückte indeß aus den Thermopylen in die Böotiſchen Ebenen hinab
und lagerte ſich unter den Mauern der Kadmea; von Widerſtand
der Thebaner war keine Rede. Als man in Athen erfuhr, daß
Theben in Alexanders Händen ſei, ſo daß jetzt ein Marſch von
zwei Tagen den Feind vor die Thore der Stadt bringen konnte,
ſo erwachte das Volk aus ſeinem Freiheitstaumel plötzlich zu der
Muthloſigkeit, wie ſie der Nähe des zürnenden Königs und der
eigenen Ohnmacht angemeſſen war; es wurde beſchloſſen, in Eile
die Mauern in Vertheidigungsſtand zu ſetzen, alles bewegliche Gut
vom Lande in die Stadt zu flüchten, falls Alexander, wie faſt zu
erwarten, ſie ſeinen ganzen Zorn fühlen zu laſſen Willens ſei 48),
zugleich aber auf Demoſthenes Antrag beſtimmt, Geſandte entgegen zu
ſchicken, die ſeinen Zorn beſänftigen, und dafür um Verzeihung bitten
45) Diod. Justin.
46) Demades p. 489.
47) Aeschin.
adv. Ctes. p. 436.
48) Demades l. c.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/74>, abgerufen am 23.11.2024.
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