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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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des vielbedrohten Reiches an Philipp habe abgeben müssen; nur
Philipps Trefflichkeit könne seine Usurpation entschuldigen, nach un-
verjährbarem Recht müsse Amyntas jetzt die Herrschaft erhalten,
deren er sich in langer Entsagung würdig gemacht habe. Dagegen
behaupteten die Lynkestier und ihr Anhang, wenn ältere Ansprüche
gegen Philipps Leibeserben geltend gemacht würden, so hätte vor
Amyntas Vorfahren ihr Vater und ihr Bruder das Reich besessen,
dessen sie nicht länger durch Usurpatoren beraubt bleiben dürften;
überdies seien Alexander und Amyntas fast noch Knaben, dieser von
Kindheit an der Kraft und Hoffnung zu herrschen entwöhnt, Alexan-
der unter dem Einfluß seiner rachedürstenden Mutter, durch Ueber-
muth, verkehrte Bildung im Geschmack des Tages, und Verachtung
der alten guten Sitte den Freiheiten des Landes gefährlicher, als
selbst sein Vater Philipp; sie dagegen seien Freunde des Landes
und aus jenem Geschlecht, das zu aller Zeit die alte Sitte aufrecht
zu erhalten gestrebt habe; ergraut unter den Macedoniern, mit den
Wünschen des Volkes vertraut, dem großen Könige in Susa be-
freundet, könnten sie allein das Land vor dessen Zorne schützen,
wenn er Genugthuung für den tollkühn begonnenen Krieg Philipps
zu fordern käme; zum Glücke sei das Land durch die Hand ihres
Freundes früh genug von einem Könige befreit, der das Recht, der des
Volkes Wohl, der Schwüre und Tugend für nichts geachtet 36).

So die Partheien; aber das Volk haßte die Königsmörder und
fürchtete den Krieg nicht; es vergaß Kleopatras Sohn, da der Ver-
treter seiner Parthei fern war; es kannte den Sohn des Perdikkas
nicht, dessen Thatlosigkeit Beweis genug für seine Unwürdigkeit
schien; auf Alexanders Seite war alles Recht und die Theilnahme,
die unverdiente Kränkungen erwecken, außerdem der Ruhm des Mä-
dischen Krieges und der Schlacht von Chäronea, der schönere Ruhm
der Bildung, Leutseligkeit und Hochherzigkeit; selbst den Geschäften
des Reiches hatte er schon oft mit Glück vorgestanden; er besaß
das Vertrauen und die Liebe des Volkes, namentlich des Heeres
war er sicher. Der Lynkestier Alexander erkannte, daß für ihn

36) Außer einzelnen mehr oder minder deutlichen Andeutungen,
s. besonders Justin. XI. 1. Plut. de fort. Alex. I.

des vielbedrohten Reiches an Philipp habe abgeben müſſen; nur
Philipps Trefflichkeit könne ſeine Uſurpation entſchuldigen, nach un-
verjährbarem Recht müſſe Amyntas jetzt die Herrſchaft erhalten,
deren er ſich in langer Entſagung würdig gemacht habe. Dagegen
behaupteten die Lynkeſtier und ihr Anhang, wenn ältere Anſprüche
gegen Philipps Leibeserben geltend gemacht würden, ſo hätte vor
Amyntas Vorfahren ihr Vater und ihr Bruder das Reich beſeſſen,
deſſen ſie nicht länger durch Uſurpatoren beraubt bleiben dürften;
überdies ſeien Alexander und Amyntas faſt noch Knaben, dieſer von
Kindheit an der Kraft und Hoffnung zu herrſchen entwöhnt, Alexan-
der unter dem Einfluß ſeiner rachedürſtenden Mutter, durch Ueber-
muth, verkehrte Bildung im Geſchmack des Tages, und Verachtung
der alten guten Sitte den Freiheiten des Landes gefährlicher, als
ſelbſt ſein Vater Philipp; ſie dagegen ſeien Freunde des Landes
und aus jenem Geſchlecht, das zu aller Zeit die alte Sitte aufrecht
zu erhalten geſtrebt habe; ergraut unter den Macedoniern, mit den
Wünſchen des Volkes vertraut, dem großen Könige in Suſa be-
freundet, könnten ſie allein das Land vor deſſen Zorne ſchützen,
wenn er Genugthuung für den tollkühn begonnenen Krieg Philipps
zu fordern käme; zum Glücke ſei das Land durch die Hand ihres
Freundes früh genug von einem Könige befreit, der das Recht, der des
Volkes Wohl, der Schwüre und Tugend für nichts geachtet 36).

So die Partheien; aber das Volk haßte die Königsmörder und
fürchtete den Krieg nicht; es vergaß Kleopatras Sohn, da der Ver-
treter ſeiner Parthei fern war; es kannte den Sohn des Perdikkas
nicht, deſſen Thatloſigkeit Beweis genug für ſeine Unwürdigkeit
ſchien; auf Alexanders Seite war alles Recht und die Theilnahme,
die unverdiente Kränkungen erwecken, außerdem der Ruhm des Mä-
diſchen Krieges und der Schlacht von Chäronea, der ſchönere Ruhm
der Bildung, Leutſeligkeit und Hochherzigkeit; ſelbſt den Geſchäften
des Reiches hatte er ſchon oft mit Glück vorgeſtanden; er beſaß
das Vertrauen und die Liebe des Volkes, namentlich des Heeres
war er ſicher. Der Lynkeſtier Alexander erkannte, daß für ihn

36) Außer einzelnen mehr oder minder deutlichen Andeutungen,
ſ. beſonders Justin. XI. 1. Plut. de fort. Alex. I.
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[54/0068] des vielbedrohten Reiches an Philipp habe abgeben müſſen; nur Philipps Trefflichkeit könne ſeine Uſurpation entſchuldigen, nach un- verjährbarem Recht müſſe Amyntas jetzt die Herrſchaft erhalten, deren er ſich in langer Entſagung würdig gemacht habe. Dagegen behaupteten die Lynkeſtier und ihr Anhang, wenn ältere Anſprüche gegen Philipps Leibeserben geltend gemacht würden, ſo hätte vor Amyntas Vorfahren ihr Vater und ihr Bruder das Reich beſeſſen, deſſen ſie nicht länger durch Uſurpatoren beraubt bleiben dürften; überdies ſeien Alexander und Amyntas faſt noch Knaben, dieſer von Kindheit an der Kraft und Hoffnung zu herrſchen entwöhnt, Alexan- der unter dem Einfluß ſeiner rachedürſtenden Mutter, durch Ueber- muth, verkehrte Bildung im Geſchmack des Tages, und Verachtung der alten guten Sitte den Freiheiten des Landes gefährlicher, als ſelbſt ſein Vater Philipp; ſie dagegen ſeien Freunde des Landes und aus jenem Geſchlecht, das zu aller Zeit die alte Sitte aufrecht zu erhalten geſtrebt habe; ergraut unter den Macedoniern, mit den Wünſchen des Volkes vertraut, dem großen Könige in Suſa be- freundet, könnten ſie allein das Land vor deſſen Zorne ſchützen, wenn er Genugthuung für den tollkühn begonnenen Krieg Philipps zu fordern käme; zum Glücke ſei das Land durch die Hand ihres Freundes früh genug von einem Könige befreit, der das Recht, der des Volkes Wohl, der Schwüre und Tugend für nichts geachtet 36). So die Partheien; aber das Volk haßte die Königsmörder und fürchtete den Krieg nicht; es vergaß Kleopatras Sohn, da der Ver- treter ſeiner Parthei fern war; es kannte den Sohn des Perdikkas nicht, deſſen Thatloſigkeit Beweis genug für ſeine Unwürdigkeit ſchien; auf Alexanders Seite war alles Recht und die Theilnahme, die unverdiente Kränkungen erwecken, außerdem der Ruhm des Mä- diſchen Krieges und der Schlacht von Chäronea, der ſchönere Ruhm der Bildung, Leutſeligkeit und Hochherzigkeit; ſelbſt den Geſchäften des Reiches hatte er ſchon oft mit Glück vorgeſtanden; er beſaß das Vertrauen und die Liebe des Volkes, namentlich des Heeres war er ſicher. Der Lynkeſtier Alexander erkannte, daß für ihn 36) Außer einzelnen mehr oder minder deutlichen Andeutungen, ſ. beſonders Justin. XI. 1. Plut. de fort. Alex. I.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/68>, abgerufen am 23.11.2024.