ihren Feldherrn, Alexander ihren König nennen; er war stolz dar- auf, in ihm einen Nachfolger zu haben, dem das Macedonische Reich zu klein sein, und der nicht wie er selbst, vieles, was nicht mehr zu ändern, zu bereuen haben würde 27).
Indeß währte dies Verhältniß zwischen Vater und Sohn nicht lange; Alexander sah seine Mutter von Philipp vernachlässigt, Thes- salische Tänzerinnen und Griechische Hetären ihr vorgezogen; dop- pelt gekränkt fühlte sich der Jüngling, als sein Vater sich eine zweite Gemahlin aus den edlen Töchtern des Landes, des Attalus Nichte Kleopatra, auserkohr. Das Beilager wurde nach Macedoni- scher Sitte glänzend und lärmend gefeiert; man trank und lachte, schon waren Alle vom Wein erhitzt; da rief Attalus, der jungen Königin Oheim: "Bittet die Götter, ihr Macedonier, daß sie un- serer Königin Schooß segnen und dem Lande einen rechtmäßigen Thronerben schenken mögen!" Alexander war zugegen; im heftig- sten Zorne schreit er: "Ich ein Bastard, Lästerer?" und schleudert den Pokal gegen ihn. Der König sieht es, springt wüthend auf, reißt das Schwert von der Seite, stürzt auf den Sohn zu, ihn zu durchbohren; aber der Wein, die Wuth, die Wunde von Chäronea machen seinen Schritt unsicher; er taumelt und sinkt zu Boden. Die Freunde eilen Alexander aus dem Saale zu entfernen; und hinausgehend weiset er mit bitterem Hohn auf den trunkenen Kö- nig: "Seht, liebe Freunde, mein Vater will von Europa nach Asien gehen, und kann nicht den Weg von Tisch zu Tisch vollen- den." Dann eilt er zur trauernden Mutter, sie beschließen Mace- donien zu verlassen, sie flüchten nach Epirus, dem Heimathlande Olympias. Man weiß nicht, was Alexanders Pläne waren; er selbst ging bald darauf nach Illyrien, wo er den Grenzen Macedo- niens näher war 28).
Nicht lange darnach kam Demaratus, der Gastfreund aus Ko- rinth, nach Pella an den Königshof; nach dem Gruße fragte der König, wie es unter den Griechen aussähe, und ob sie Fried' und Eintracht hielten? Mit edler Freimüthigkeit antwortete der Gast- freund: "O König, schön fragst du nach Fried' und Eintracht im
27)Plut. apophth.
28)Plut. Alex. 9. Justin. IX. 7. cf. Freinsheim suppl. ad Curt. I. 9. 8. Athen. XIII. p. 557.
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ihren Feldherrn, Alexander ihren König nennen; er war ſtolz dar- auf, in ihm einen Nachfolger zu haben, dem das Macedoniſche Reich zu klein ſein, und der nicht wie er ſelbſt, vieles, was nicht mehr zu ändern, zu bereuen haben würde 27).
Indeß währte dies Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn nicht lange; Alexander ſah ſeine Mutter von Philipp vernachläſſigt, Theſ- ſaliſche Tänzerinnen und Griechiſche Hetären ihr vorgezogen; dop- pelt gekränkt fühlte ſich der Jüngling, als ſein Vater ſich eine zweite Gemahlin aus den edlen Töchtern des Landes, des Attalus Nichte Kleopatra, auserkohr. Das Beilager wurde nach Macedoni- ſcher Sitte glänzend und lärmend gefeiert; man trank und lachte, ſchon waren Alle vom Wein erhitzt; da rief Attalus, der jungen Königin Oheim: „Bittet die Götter, ihr Macedonier, daß ſie un- ſerer Königin Schooß ſegnen und dem Lande einen rechtmäßigen Thronerben ſchenken mögen!“ Alexander war zugegen; im heftig- ſten Zorne ſchreit er: „Ich ein Baſtard, Läſterer?“ und ſchleudert den Pokal gegen ihn. Der König ſieht es, ſpringt wüthend auf, reißt das Schwert von der Seite, ſtürzt auf den Sohn zu, ihn zu durchbohren; aber der Wein, die Wuth, die Wunde von Chäronea machen ſeinen Schritt unſicher; er taumelt und ſinkt zu Boden. Die Freunde eilen Alexander aus dem Saale zu entfernen; und hinausgehend weiſet er mit bitterem Hohn auf den trunkenen Kö- nig: „Seht, liebe Freunde, mein Vater will von Europa nach Aſien gehen, und kann nicht den Weg von Tiſch zu Tiſch vollen- den.“ Dann eilt er zur trauernden Mutter, ſie beſchließen Mace- donien zu verlaſſen, ſie flüchten nach Epirus, dem Heimathlande Olympias. Man weiß nicht, was Alexanders Pläne waren; er ſelbſt ging bald darauf nach Illyrien, wo er den Grenzen Macedo- niens näher war 28).
Nicht lange darnach kam Demaratus, der Gaſtfreund aus Ko- rinth, nach Pella an den Königshof; nach dem Gruße fragte der König, wie es unter den Griechen ausſähe, und ob ſie Fried’ und Eintracht hielten? Mit edler Freimüthigkeit antwortete der Gaſt- freund: „O König, ſchön fragſt du nach Fried’ und Eintracht im
27)Plut. apophth.
28)Plut. Alex. 9. Justin. IX. 7. cf. Freinsheim suppl. ad Curt. I. 9. 8. Athen. XIII. p. 557.
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mehr zu ändern, zu bereuen haben würde 27).
Indeß währte dies Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn nicht
lange; Alexander ſah ſeine Mutter von Philipp vernachläſſigt, Theſ-
ſaliſche Tänzerinnen und Griechiſche Hetären ihr vorgezogen; dop-
pelt gekränkt fühlte ſich der Jüngling, als ſein Vater ſich eine
zweite Gemahlin aus den edlen Töchtern des Landes, des Attalus
Nichte Kleopatra, auserkohr. Das Beilager wurde nach Macedoni-
ſcher Sitte glänzend und lärmend gefeiert; man trank und lachte,
ſchon waren Alle vom Wein erhitzt; da rief Attalus, der jungen
Königin Oheim: „Bittet die Götter, ihr Macedonier, daß ſie un-
ſerer Königin Schooß ſegnen und dem Lande einen rechtmäßigen
Thronerben ſchenken mögen!“ Alexander war zugegen; im heftig-
ſten Zorne ſchreit er: „Ich ein Baſtard, Läſterer?“ und ſchleudert
den Pokal gegen ihn. Der König ſieht es, ſpringt wüthend auf,
reißt das Schwert von der Seite, ſtürzt auf den Sohn zu, ihn zu
durchbohren; aber der Wein, die Wuth, die Wunde von Chäronea
machen ſeinen Schritt unſicher; er taumelt und ſinkt zu Boden.
Die Freunde eilen Alexander aus dem Saale zu entfernen; und
hinausgehend weiſet er mit bitterem Hohn auf den trunkenen Kö-
nig: „Seht, liebe Freunde, mein Vater will von Europa nach
Aſien gehen, und kann nicht den Weg von Tiſch zu Tiſch vollen-
den.“ Dann eilt er zur trauernden Mutter, ſie beſchließen Mace-
donien zu verlaſſen, ſie flüchten nach Epirus, dem Heimathlande
Olympias. Man weiß nicht, was Alexanders Pläne waren; er
ſelbſt ging bald darauf nach Illyrien, wo er den Grenzen Macedo-
niens näher war 28).
Nicht lange darnach kam Demaratus, der Gaſtfreund aus Ko-
rinth, nach Pella an den Königshof; nach dem Gruße fragte der
König, wie es unter den Griechen ausſähe, und ob ſie Fried’ und
Eintracht hielten? Mit edler Freimüthigkeit antwortete der Gaſt-
freund: „O König, ſchön fragſt du nach Fried’ und Eintracht im
27) Plut. apophth.
28) Plut. Alex. 9. Justin. IX. 7. cf.
Freinsheim suppl. ad Curt. I. 9. 8. Athen. XIII. p. 557.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/63>, abgerufen am 23.11.2024.
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