lung mit seiner Tochter schien das sicherste Mittel, die hohe Familie der Lynkestier zu gewinnen; seine Söhne Kassander, Archias und Jollas erhielten erst später Bedeutung. --
So der Hof, so die Nation, wie sie durch Philipp gestaltet waren; man darf hinzufügen, daß das monarchische Element in dem Macedonischen Staatsleben eben so durch die geschichtliche Stellung des Volkes, wie durch die Persönlichkeit Philipps ein entschiedenes Uebergewicht erhalten mußte. Erst in dem Ganzen dieses Zusam- menhanges ist des Königs Charakter und Handlungsweise begreif- lich. In dem Mittelpunkte von Widersprüchen und Gegensätzen der eigenthümlichsten Art, Grieche im Verhältniß zu seinem Volke, Macedonier für die Griechen, übertraf er jene wieder an Macedo- nischer Treuherzigkeit und Fröhlichkeit, diese an Griechischer Feinheit und Hinterlist, beide an Klarheit des Bewußtseins und an Ge- wandtheit nie so zu scheinen, wie man erwarten mußte; sein Cha- rakter war, keinen Charakter zu haben, sondern Zwecke; Frivolität und Offenheit verbarg seine Absichten, die feinste gesellige Bildung die Laster und Verbrechen, die man ihm vorwirft; von Natur zu Wollust und Genuß geneigt, war er in seinen Neigungen eben so unbeständig wie glücklich, in seinen Leidenschaften eben so zügellos wie vorsichtig; über beide schien er Herr zu sein, um sich ihnen ganz hinzugeben, und man kann zweifeln, ob seine Tugenden oder seine Fehler für erkünstelt zu halten seien; jedenfalls stellt sich in ihm die sophistische Bildung seines Zeitalters, ihre Klugheit und Gesinnungslosigkeit und die Einseitigkeit des vollendeten Egoismus auf das Bestimmteste dar.
Das entschiedene Gegentheil von ihm war seine Gemahlin Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemus, aus dem Geschlechte Achills; Philipp hatte sie in seinen jüngeren Jahren bei der Mysterienfeier auf Samothrace kennen gelernt und mit Ein- willigung ihres Vormundes und Oheims Arymbas geheirathet 21). Schön, verschlossen und voll glühender Leidenschaftlichkeit, war sie dem geheimnißvollen Dienste des Orpheus und Bacchus und den dunklen Zauberkünsten der Thracischen Weiber eifrigst ergeben; in den nächtlichen Orgien sah man sie vor Allen in wilder Begeiste-
21)Plut. Alex. 2.
lung mit ſeiner Tochter ſchien das ſicherſte Mittel, die hohe Familie der Lynkeſtier zu gewinnen; ſeine Söhne Kaſſander, Archias und Jollas erhielten erſt ſpäter Bedeutung. —
So der Hof, ſo die Nation, wie ſie durch Philipp geſtaltet waren; man darf hinzufügen, daß das monarchiſche Element in dem Macedoniſchen Staatsleben eben ſo durch die geſchichtliche Stellung des Volkes, wie durch die Perſönlichkeit Philipps ein entſchiedenes Uebergewicht erhalten mußte. Erſt in dem Ganzen dieſes Zuſam- menhanges iſt des Königs Charakter und Handlungsweiſe begreif- lich. In dem Mittelpunkte von Widerſprüchen und Gegenſätzen der eigenthümlichſten Art, Grieche im Verhältniß zu ſeinem Volke, Macedonier für die Griechen, übertraf er jene wieder an Macedo- niſcher Treuherzigkeit und Fröhlichkeit, dieſe an Griechiſcher Feinheit und Hinterliſt, beide an Klarheit des Bewußtſeins und an Ge- wandtheit nie ſo zu ſcheinen, wie man erwarten mußte; ſein Cha- rakter war, keinen Charakter zu haben, ſondern Zwecke; Frivolität und Offenheit verbarg ſeine Abſichten, die feinſte geſellige Bildung die Laſter und Verbrechen, die man ihm vorwirft; von Natur zu Wolluſt und Genuß geneigt, war er in ſeinen Neigungen eben ſo unbeſtändig wie glücklich, in ſeinen Leidenſchaften eben ſo zügellos wie vorſichtig; über beide ſchien er Herr zu ſein, um ſich ihnen ganz hinzugeben, und man kann zweifeln, ob ſeine Tugenden oder ſeine Fehler für erkünſtelt zu halten ſeien; jedenfalls ſtellt ſich in ihm die ſophiſtiſche Bildung ſeines Zeitalters, ihre Klugheit und Geſinnungsloſigkeit und die Einſeitigkeit des vollendeten Egoismus auf das Beſtimmteſte dar.
Das entſchiedene Gegentheil von ihm war ſeine Gemahlin Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemus, aus dem Geſchlechte Achills; Philipp hatte ſie in ſeinen jüngeren Jahren bei der Myſterienfeier auf Samothrace kennen gelernt und mit Ein- willigung ihres Vormundes und Oheims Arymbas geheirathet 21). Schön, verſchloſſen und voll glühender Leidenſchaftlichkeit, war ſie dem geheimnißvollen Dienſte des Orpheus und Bacchus und den dunklen Zauberkünſten der Thraciſchen Weiber eifrigſt ergeben; in den nächtlichen Orgien ſah man ſie vor Allen in wilder Begeiſte-
21)Plut. Alex. 2.
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[45/0059]
lung mit ſeiner Tochter ſchien das ſicherſte Mittel, die hohe Familie
der Lynkeſtier zu gewinnen; ſeine Söhne Kaſſander, Archias und
Jollas erhielten erſt ſpäter Bedeutung. —
So der Hof, ſo die Nation, wie ſie durch Philipp geſtaltet
waren; man darf hinzufügen, daß das monarchiſche Element in dem
Macedoniſchen Staatsleben eben ſo durch die geſchichtliche Stellung
des Volkes, wie durch die Perſönlichkeit Philipps ein entſchiedenes
Uebergewicht erhalten mußte. Erſt in dem Ganzen dieſes Zuſam-
menhanges iſt des Königs Charakter und Handlungsweiſe begreif-
lich. In dem Mittelpunkte von Widerſprüchen und Gegenſätzen
der eigenthümlichſten Art, Grieche im Verhältniß zu ſeinem Volke,
Macedonier für die Griechen, übertraf er jene wieder an Macedo-
niſcher Treuherzigkeit und Fröhlichkeit, dieſe an Griechiſcher Feinheit
und Hinterliſt, beide an Klarheit des Bewußtſeins und an Ge-
wandtheit nie ſo zu ſcheinen, wie man erwarten mußte; ſein Cha-
rakter war, keinen Charakter zu haben, ſondern Zwecke; Frivolität
und Offenheit verbarg ſeine Abſichten, die feinſte geſellige Bildung
die Laſter und Verbrechen, die man ihm vorwirft; von Natur zu
Wolluſt und Genuß geneigt, war er in ſeinen Neigungen eben ſo
unbeſtändig wie glücklich, in ſeinen Leidenſchaften eben ſo zügellos
wie vorſichtig; über beide ſchien er Herr zu ſein, um ſich ihnen
ganz hinzugeben, und man kann zweifeln, ob ſeine Tugenden oder
ſeine Fehler für erkünſtelt zu halten ſeien; jedenfalls ſtellt ſich in
ihm die ſophiſtiſche Bildung ſeines Zeitalters, ihre Klugheit und
Geſinnungsloſigkeit und die Einſeitigkeit des vollendeten Egoismus
auf das Beſtimmteſte dar.
Das entſchiedene Gegentheil von ihm war ſeine Gemahlin
Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemus, aus dem
Geſchlechte Achills; Philipp hatte ſie in ſeinen jüngeren Jahren bei
der Myſterienfeier auf Samothrace kennen gelernt und mit Ein-
willigung ihres Vormundes und Oheims Arymbas geheirathet 21).
Schön, verſchloſſen und voll glühender Leidenſchaftlichkeit, war ſie
dem geheimnißvollen Dienſte des Orpheus und Bacchus und den
dunklen Zauberkünſten der Thraciſchen Weiber eifrigſt ergeben; in
den nächtlichen Orgien ſah man ſie vor Allen in wilder Begeiſte-
21) Plut. Alex. 2.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/59>, abgerufen am 23.11.2024.
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