sen Vorbedeutung meiden, er wollte über den Strom gehen, und gen Morgen schauend, in seine Residenz einziehen. Darum ließ er das Heer am ersten Tage am Ostufer des Euphrat lagern, am folgenden Tage zog er auf dieser Seite des Stromes hinab, um dann hinüber zu gehen und von Westen her in die Stadt einzuziehen; aber die sumpfigen Ufer des Stromes hemmten ihn; nur innerhalb der Stadt waren Brücken; es hätte weiter Um- wege bedurft, um zu den westlichen Quartieren von Babylon zu gelangen. Damals, heißt es, kam der Sophist Anaxarchus zum Könige und bekämpfte mit philosophischen Gründen des Königs Aberglauben; 25) glaublicher ist, daß Alexander, bald Herr des ersten Eindruckes, die Sache für weiteren Zeitverlust und größere Umwege zu unbedeutend anzusehen suchte, daß er die Folgen, welche die zu große Besorglichkeit von seiner Seite im Heer und Volk hätte hervorbringen müssen, mehr scheute als die etwanige Gefahr, daß er endlich nicht zweifelhaft sein konnte, wie guten Grund die Chaldäer hatten, seine Anwesenheit in Babylon nicht eben zu wünschen. Er hatte im Jahre 330 bereits den Befehl gegeben, den Würfelthurm des Belus, der seit Xerxes Zeit als Ruine da stand, wieder herzustellen; aber während seiner Abwe- senheit war der Bau gänzlich vernachlässigt worden, und die Chal- däer hatten eher zu hemmen als zu fördern gesucht, denn sie mußten besorgen, daß der Genuß der reichen Tempelgüter und des heiligen Ackers, den sie jetzt ausschließlich hatten, ihnen, so- bald der Bau beendet war, entzogen werden würde. So war es begreiflich, wenn die Sterne dem Könige den Eintritt in Ba- bylon untersagten oder möglichst erschwerten; wider den Rath der Chaldäer rückte Alexander an der Spitze seines Heeres von Mor- gen her in die östlichen Quartiere der Stadt ein; er ward von
25) Diese Angabe hat Diod. XVII. 112. Plutarch sagt, der König habe auf die Warnung der Chaldäer gar nicht geachtet; als er sich aber der Mauer genahet, habe er eine Menge von Ra- ben mit einander im heftigen Kampfe gesehen, von denen mehrere todt neben ihn niederfielen. Justin sagt, das sei in Borsippa ge- wesen; doch lag diese heilige Stadt auf dem Westufer des Euphrat.
ſen Vorbedeutung meiden, er wollte uͤber den Strom gehen, und gen Morgen ſchauend, in ſeine Reſidenz einziehen. Darum ließ er das Heer am erſten Tage am Oſtufer des Euphrat lagern, am folgenden Tage zog er auf dieſer Seite des Stromes hinab, um dann hinuͤber zu gehen und von Weſten her in die Stadt einzuziehen; aber die ſumpfigen Ufer des Stromes hemmten ihn; nur innerhalb der Stadt waren Bruͤcken; es haͤtte weiter Um- wege bedurft, um zu den weſtlichen Quartieren von Babylon zu gelangen. Damals, heißt es, kam der Sophiſt Anaxarchus zum Koͤnige und bekaͤmpfte mit philoſophiſchen Gruͤnden des Koͤnigs Aberglauben; 25) glaublicher iſt, daß Alexander, bald Herr des erſten Eindruckes, die Sache fuͤr weiteren Zeitverluſt und groͤßere Umwege zu unbedeutend anzuſehen ſuchte, daß er die Folgen, welche die zu große Beſorglichkeit von ſeiner Seite im Heer und Volk haͤtte hervorbringen muͤſſen, mehr ſcheute als die etwanige Gefahr, daß er endlich nicht zweifelhaft ſein konnte, wie guten Grund die Chaldaͤer hatten, ſeine Anweſenheit in Babylon nicht eben zu wuͤnſchen. Er hatte im Jahre 330 bereits den Befehl gegeben, den Wuͤrfelthurm des Belus, der ſeit Xerxes Zeit als Ruine da ſtand, wieder herzuſtellen; aber waͤhrend ſeiner Abwe- ſenheit war der Bau gaͤnzlich vernachlaͤſſigt worden, und die Chal- daͤer hatten eher zu hemmen als zu foͤrdern geſucht, denn ſie mußten beſorgen, daß der Genuß der reichen Tempelguͤter und des heiligen Ackers, den ſie jetzt ausſchließlich hatten, ihnen, ſo- bald der Bau beendet war, entzogen werden wuͤrde. So war es begreiflich, wenn die Sterne dem Koͤnige den Eintritt in Ba- bylon unterſagten oder moͤglichſt erſchwerten; wider den Rath der Chaldaͤer ruͤckte Alexander an der Spitze ſeines Heeres von Mor- gen her in die oͤſtlichen Quartiere der Stadt ein; er ward von
25) Dieſe Angabe hat Diod. XVII. 112. Plutarch ſagt, der Koͤnig habe auf die Warnung der Chaldaͤer gar nicht geachtet; als er ſich aber der Mauer genahet, habe er eine Menge von Ra- ben mit einander im heftigen Kampfe geſehen, von denen mehrere todt neben ihn niederfielen. Juſtin ſagt, das ſei in Borſippa ge- weſen; doch lag dieſe heilige Stadt auf dem Weſtufer des Euphrat.
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ſen Vorbedeutung meiden, er wollte uͤber den Strom gehen, und
gen Morgen ſchauend, in ſeine Reſidenz einziehen. Darum ließ
er das Heer am erſten Tage am Oſtufer des Euphrat lagern,
am folgenden Tage zog er auf dieſer Seite des Stromes hinab,
um dann hinuͤber zu gehen und von Weſten her in die Stadt
einzuziehen; aber die ſumpfigen Ufer des Stromes hemmten ihn;
nur innerhalb der Stadt waren Bruͤcken; es haͤtte weiter Um-
wege bedurft, um zu den weſtlichen Quartieren von Babylon zu
gelangen. Damals, heißt es, kam der Sophiſt Anaxarchus zum
Koͤnige und bekaͤmpfte mit philoſophiſchen Gruͤnden des Koͤnigs
Aberglauben; 25) glaublicher iſt, daß Alexander, bald Herr des
erſten Eindruckes, die Sache fuͤr weiteren Zeitverluſt und groͤßere
Umwege zu unbedeutend anzuſehen ſuchte, daß er die Folgen,
welche die zu große Beſorglichkeit von ſeiner Seite im Heer und
Volk haͤtte hervorbringen muͤſſen, mehr ſcheute als die etwanige
Gefahr, daß er endlich nicht zweifelhaft ſein konnte, wie guten
Grund die Chaldaͤer hatten, ſeine Anweſenheit in Babylon nicht
eben zu wuͤnſchen. Er hatte im Jahre 330 bereits den Befehl
gegeben, den Wuͤrfelthurm des Belus, der ſeit Xerxes Zeit als
Ruine da ſtand, wieder herzuſtellen; aber waͤhrend ſeiner Abwe-
ſenheit war der Bau gaͤnzlich vernachlaͤſſigt worden, und die Chal-
daͤer hatten eher zu hemmen als zu foͤrdern geſucht, denn ſie
mußten beſorgen, daß der Genuß der reichen Tempelguͤter und
des heiligen Ackers, den ſie jetzt ausſchließlich hatten, ihnen, ſo-
bald der Bau beendet war, entzogen werden wuͤrde. So war
es begreiflich, wenn die Sterne dem Koͤnige den Eintritt in Ba-
bylon unterſagten oder moͤglichſt erſchwerten; wider den Rath der
Chaldaͤer ruͤckte Alexander an der Spitze ſeines Heeres von Mor-
gen her in die oͤſtlichen Quartiere der Stadt ein; er ward von
25) Dieſe Angabe hat Diod. XVII. 112. Plutarch ſagt, der
Koͤnig habe auf die Warnung der Chaldaͤer gar nicht geachtet;
als er ſich aber der Mauer genahet, habe er eine Menge von Ra-
ben mit einander im heftigen Kampfe geſehen, von denen mehrere
todt neben ihn niederfielen. Juſtin ſagt, das ſei in Borſippa ge-
weſen; doch lag dieſe heilige Stadt auf dem Weſtufer des Euphrat.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/582>, abgerufen am 22.11.2024.
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