opferte; sein Beispiel wirkte in weiten und weiteren Kreisen, man begann Götter der Fremde heimisch zu machen und fand heimath- liche Götter in der Fremde wieder, man begann die Sagenkreise und Theogonien der verschiedenen Völker mit einander zu verglei- chen und in Einklang zu bringen, man begann sich zu überzeugen, daß alle Völker mehr oder minder dieselben Gottheiten verehrten, und daß die Unterschiede ihrer Namen, Attribute und Dienste nur zufällig und äußerlich seien. So offenbarte es sich, daß die Zeit nationeller, das heißt heidnischer Religionen vorüber, daß die Menschheit einer einigen und allgemeinen Religion bedürftig sei; die Theokrasie war selbst nichts als ein Versuch, durch Vermi- schung aller jener nationaler Religionssysteme eine Einheit hervor- zubringen, welche in ihr doch nimmer erreicht werden konnte. Es war die Arbeit der Hellenistischen Jahrhunderte, die Elemente ei- ner höheren und wahrhafteren Einigung zu entwickeln, das Ge- fühl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Bedürfniß der Buße und des Trostes, die Kraft der tiefsten Demuth und der Erhebung zur Freiheit in Gott zu erwecken; es sind die Jahrhunderte der Gott- losigkeit, der tiefsten Zerknirschung, des immer lauteren Rufes nach dem Erlösenden. In Alexander hatte sich der Anthropomorphismus des Griechischen Heidenthums erfüllt, der Mensch war Gott, Göt- ter nicht mehr; sein, des Gottes, war das Reich dieser Welt, in ihm der Mensch erhöht zu der letzten Höhe der Endlichkeit, durch ihn die Menschheit erniedrigt vor dem anzubeten, der der Sterblichgeborenen einer war.
opferte; ſein Beiſpiel wirkte in weiten und weiteren Kreiſen, man begann Goͤtter der Fremde heimiſch zu machen und fand heimath- liche Goͤtter in der Fremde wieder, man begann die Sagenkreiſe und Theogonien der verſchiedenen Voͤlker mit einander zu verglei- chen und in Einklang zu bringen, man begann ſich zu uͤberzeugen, daß alle Voͤlker mehr oder minder dieſelben Gottheiten verehrten, und daß die Unterſchiede ihrer Namen, Attribute und Dienſte nur zufaͤllig und aͤußerlich ſeien. So offenbarte es ſich, daß die Zeit nationeller, das heißt heidniſcher Religionen voruͤber, daß die Menſchheit einer einigen und allgemeinen Religion beduͤrftig ſei; die Theokraſie war ſelbſt nichts als ein Verſuch, durch Vermi- ſchung aller jener nationaler Religionsſyſteme eine Einheit hervor- zubringen, welche in ihr doch nimmer erreicht werden konnte. Es war die Arbeit der Helleniſtiſchen Jahrhunderte, die Elemente ei- ner hoͤheren und wahrhafteren Einigung zu entwickeln, das Ge- fuͤhl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Beduͤrfniß der Buße und des Troſtes, die Kraft der tiefſten Demuth und der Erhebung zur Freiheit in Gott zu erwecken; es ſind die Jahrhunderte der Gott- loſigkeit, der tiefſten Zerknirſchung, des immer lauteren Rufes nach dem Erloͤſenden. In Alexander hatte ſich der Anthropomorphismus des Griechiſchen Heidenthums erfuͤllt, der Menſch war Gott, Goͤt- ter nicht mehr; ſein, des Gottes, war das Reich dieſer Welt, in ihm der Menſch erhoͤht zu der letzten Hoͤhe der Endlichkeit, durch ihn die Menſchheit erniedrigt vor dem anzubeten, der der Sterblichgeborenen einer war.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0565"n="551"/>
opferte; ſein Beiſpiel wirkte in weiten und weiteren Kreiſen, man<lb/>
begann Goͤtter der Fremde heimiſch zu machen und fand heimath-<lb/>
liche Goͤtter in der Fremde wieder, man begann die Sagenkreiſe<lb/>
und Theogonien der verſchiedenen Voͤlker mit einander zu verglei-<lb/>
chen und in Einklang zu bringen, man begann ſich zu uͤberzeugen,<lb/>
daß alle Voͤlker mehr oder minder dieſelben Gottheiten verehrten,<lb/>
und daß die Unterſchiede ihrer Namen, Attribute und Dienſte<lb/>
nur zufaͤllig und aͤußerlich ſeien. So offenbarte es ſich, daß die<lb/>
Zeit nationeller, das heißt heidniſcher Religionen voruͤber, daß die<lb/>
Menſchheit einer einigen und allgemeinen Religion beduͤrftig ſei;<lb/>
die Theokraſie war ſelbſt nichts als ein Verſuch, durch Vermi-<lb/>ſchung aller jener nationaler Religionsſyſteme eine Einheit hervor-<lb/>
zubringen, welche in ihr doch nimmer erreicht werden konnte. Es<lb/>
war die Arbeit der Helleniſtiſchen Jahrhunderte, die Elemente ei-<lb/>
ner hoͤheren und wahrhafteren Einigung zu entwickeln, das Ge-<lb/>
fuͤhl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Beduͤrfniß der Buße und<lb/>
des Troſtes, die Kraft der tiefſten Demuth und der Erhebung zur<lb/>
Freiheit in Gott zu erwecken; es ſind die Jahrhunderte der Gott-<lb/>
loſigkeit, der tiefſten Zerknirſchung, des immer lauteren Rufes nach<lb/>
dem Erloͤſenden. In Alexander hatte ſich der Anthropomorphismus<lb/>
des Griechiſchen Heidenthums erfuͤllt, der Menſch war Gott, Goͤt-<lb/>
ter nicht mehr; ſein, des Gottes, war das Reich dieſer Welt, in<lb/>
ihm der Menſch erhoͤht zu der letzten Hoͤhe der Endlichkeit, durch<lb/>
ihn die Menſchheit erniedrigt vor dem anzubeten, der der<lb/>
Sterblichgeborenen einer war.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[551/0565]
opferte; ſein Beiſpiel wirkte in weiten und weiteren Kreiſen, man
begann Goͤtter der Fremde heimiſch zu machen und fand heimath-
liche Goͤtter in der Fremde wieder, man begann die Sagenkreiſe
und Theogonien der verſchiedenen Voͤlker mit einander zu verglei-
chen und in Einklang zu bringen, man begann ſich zu uͤberzeugen,
daß alle Voͤlker mehr oder minder dieſelben Gottheiten verehrten,
und daß die Unterſchiede ihrer Namen, Attribute und Dienſte
nur zufaͤllig und aͤußerlich ſeien. So offenbarte es ſich, daß die
Zeit nationeller, das heißt heidniſcher Religionen voruͤber, daß die
Menſchheit einer einigen und allgemeinen Religion beduͤrftig ſei;
die Theokraſie war ſelbſt nichts als ein Verſuch, durch Vermi-
ſchung aller jener nationaler Religionsſyſteme eine Einheit hervor-
zubringen, welche in ihr doch nimmer erreicht werden konnte. Es
war die Arbeit der Helleniſtiſchen Jahrhunderte, die Elemente ei-
ner hoͤheren und wahrhafteren Einigung zu entwickeln, das Ge-
fuͤhl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Beduͤrfniß der Buße und
des Troſtes, die Kraft der tiefſten Demuth und der Erhebung zur
Freiheit in Gott zu erwecken; es ſind die Jahrhunderte der Gott-
loſigkeit, der tiefſten Zerknirſchung, des immer lauteren Rufes nach
dem Erloͤſenden. In Alexander hatte ſich der Anthropomorphismus
des Griechiſchen Heidenthums erfuͤllt, der Menſch war Gott, Goͤt-
ter nicht mehr; ſein, des Gottes, war das Reich dieſer Welt, in
ihm der Menſch erhoͤht zu der letzten Hoͤhe der Endlichkeit, durch
ihn die Menſchheit erniedrigt vor dem anzubeten, der der
Sterblichgeborenen einer war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/565>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.