über den Körper, dem diese Hand angehört, und dem sie ihre Kraft und Sicherheit dankt, fast ganz im Dunkeln; das verführeri- sche Gold, das sie dieselbe Hand zeigen und zur rechten Zeit spen- den läßt, erscheint fast als das einzige oder doch größte Mittel, durch welches Philipp seine Erfolge errungen. Aber faßt man das innere Leben des Reiches näher ins Auge, so treten deutlich zwei Momente hervor, die, schon früher angeregt, aber durch Philipp erst zu voller Kraft entwickelt, die Basis seiner Macht wurden.
Das Macedonische Volk hatte allerdings schon früher Kriege mannigfacher Art zu bestehen gehabt, und nach dem alten Brauch war dann jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung des Krieges wieder zu seinem Pfluge oder zu seiner Heerde zurück- zukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung über- nahm, die Kämpfe, welche namentlich die ersten Jahre seines Kö- nigthums fast unablässig fortwährten, gaben die Veranlassung, jene Kriegspflichtigkeit der Macedonier zur Bildung eines stehenden Natio- nalheeres zu benutzen, das, anfangs zehntausend Mann Fußvolk und sechshundert Ritter stark, bald genug auf das Doppelte gebracht wurde. Die Erfolge dieser Einrichtung mußten außerordentlich sein; sie bewirkte, daß sich die verschiedenen Landschaften des Reiches als ein Ganzes, als eine Nation fühlen lernten; sie machte es mög- lich, daß die neu erworbenen Thracischen, Päonischen, Agriani- schen Völkerschaften, wenn sie auch ihre einheimischen Fürsten behielten, mit dem Macedonischen Volke zu einem Ganzen ver- schmolzen; vor allem aber gab sie in dieser Einheit und in der kriegerischen Tendenz, die fortan vorherrschend wurde, dem Volke schnell und durchgreifend jene höhere ethische Kraft und jenes stolze Gefühl des geschichtlichen Lebens, dessen höchstes Ziel der Ruhm ist. Ein Heer dieser Art mußte den Söldnerschaaren der Griechischen Staaten, eine Nationalität von dieser Jugendfrische und diesem Selbstgefühl dem überbildeten, durch geistige und körperliche Ge- nüsse bis zur Fieberhaftigkeit oder Gleichgültigkeit überreizten Grie- chenthume überlegen sein. Die Gunst des Schicksals hatte in Ma- cedonien die Weise einer alten und urkräftigen Zeit so lange bestehen lassen, bis es mit ihr in das geschichtliche Leben eintreten sollte, sie hatte im Kampf des Königthums mit dem Adel nicht, wie in Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenstande, sondern dem
über den Körper, dem dieſe Hand angehört, und dem ſie ihre Kraft und Sicherheit dankt, faſt ganz im Dunkeln; das verführeri- ſche Gold, das ſie dieſelbe Hand zeigen und zur rechten Zeit ſpen- den läßt, erſcheint faſt als das einzige oder doch größte Mittel, durch welches Philipp ſeine Erfolge errungen. Aber faßt man das innere Leben des Reiches näher ins Auge, ſo treten deutlich zwei Momente hervor, die, ſchon früher angeregt, aber durch Philipp erſt zu voller Kraft entwickelt, die Baſis ſeiner Macht wurden.
Das Macedoniſche Volk hatte allerdings ſchon früher Kriege mannigfacher Art zu beſtehen gehabt, und nach dem alten Brauch war dann jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung des Krieges wieder zu ſeinem Pfluge oder zu ſeiner Heerde zurück- zukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung über- nahm, die Kämpfe, welche namentlich die erſten Jahre ſeines Kö- nigthums faſt unabläſſig fortwährten, gaben die Veranlaſſung, jene Kriegspflichtigkeit der Macedonier zur Bildung eines ſtehenden Natio- nalheeres zu benutzen, das, anfangs zehntauſend Mann Fußvolk und ſechshundert Ritter ſtark, bald genug auf das Doppelte gebracht wurde. Die Erfolge dieſer Einrichtung mußten außerordentlich ſein; ſie bewirkte, daß ſich die verſchiedenen Landſchaften des Reiches als ein Ganzes, als eine Nation fühlen lernten; ſie machte es mög- lich, daß die neu erworbenen Thraciſchen, Päoniſchen, Agriani- ſchen Völkerſchaften, wenn ſie auch ihre einheimiſchen Fürſten behielten, mit dem Macedoniſchen Volke zu einem Ganzen ver- ſchmolzen; vor allem aber gab ſie in dieſer Einheit und in der kriegeriſchen Tendenz, die fortan vorherrſchend wurde, dem Volke ſchnell und durchgreifend jene höhere ethiſche Kraft und jenes ſtolze Gefühl des geſchichtlichen Lebens, deſſen höchſtes Ziel der Ruhm iſt. Ein Heer dieſer Art mußte den Söldnerſchaaren der Griechiſchen Staaten, eine Nationalität von dieſer Jugendfriſche und dieſem Selbſtgefühl dem überbildeten, durch geiſtige und körperliche Ge- nüſſe bis zur Fieberhaftigkeit oder Gleichgültigkeit überreizten Grie- chenthume überlegen ſein. Die Gunſt des Schickſals hatte in Ma- cedonien die Weiſe einer alten und urkräftigen Zeit ſo lange beſtehen laſſen, bis es mit ihr in das geſchichtliche Leben eintreten ſollte, ſie hatte im Kampf des Königthums mit dem Adel nicht, wie in Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenſtande, ſondern dem
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über den Körper, dem dieſe Hand angehört, und dem ſie ihre
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den läßt, erſcheint faſt als das einzige oder doch größte Mittel,
durch welches Philipp ſeine Erfolge errungen. Aber faßt man das
innere Leben des Reiches näher ins Auge, ſo treten deutlich zwei
Momente hervor, die, ſchon früher angeregt, aber durch Philipp erſt
zu voller Kraft entwickelt, die Baſis ſeiner Macht wurden.
Das Macedoniſche Volk hatte allerdings ſchon früher Kriege
mannigfacher Art zu beſtehen gehabt, und nach dem alten Brauch
war dann jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung
des Krieges wieder zu ſeinem Pfluge oder zu ſeiner Heerde zurück-
zukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung über-
nahm, die Kämpfe, welche namentlich die erſten Jahre ſeines Kö-
nigthums faſt unabläſſig fortwährten, gaben die Veranlaſſung, jene
Kriegspflichtigkeit der Macedonier zur Bildung eines ſtehenden Natio-
nalheeres zu benutzen, das, anfangs zehntauſend Mann Fußvolk und
ſechshundert Ritter ſtark, bald genug auf das Doppelte gebracht
wurde. Die Erfolge dieſer Einrichtung mußten außerordentlich ſein;
ſie bewirkte, daß ſich die verſchiedenen Landſchaften des Reiches als
ein Ganzes, als eine Nation fühlen lernten; ſie machte es mög-
lich, daß die neu erworbenen Thraciſchen, Päoniſchen, Agriani-
ſchen Völkerſchaften, wenn ſie auch ihre einheimiſchen Fürſten
behielten, mit dem Macedoniſchen Volke zu einem Ganzen ver-
ſchmolzen; vor allem aber gab ſie in dieſer Einheit und in der
kriegeriſchen Tendenz, die fortan vorherrſchend wurde, dem Volke
ſchnell und durchgreifend jene höhere ethiſche Kraft und jenes ſtolze
Gefühl des geſchichtlichen Lebens, deſſen höchſtes Ziel der Ruhm iſt.
Ein Heer dieſer Art mußte den Söldnerſchaaren der Griechiſchen
Staaten, eine Nationalität von dieſer Jugendfriſche und dieſem
Selbſtgefühl dem überbildeten, durch geiſtige und körperliche Ge-
nüſſe bis zur Fieberhaftigkeit oder Gleichgültigkeit überreizten Grie-
chenthume überlegen ſein. Die Gunſt des Schickſals hatte in Ma-
cedonien die Weiſe einer alten und urkräftigen Zeit ſo lange beſtehen
laſſen, bis es mit ihr in das geſchichtliche Leben eintreten ſollte,
ſie hatte im Kampf des Königthums mit dem Adel nicht, wie in
Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenſtande, ſondern dem
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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