kam ein unerwarteter Umstand hinzu, der, gehörig benutzt, die Macht der Athener bedeutend zu heben und ihrer Weigerung Nach- druck zu geben versprach.
Harpalus nemlich, der flüchtige Großschatzmeister Alexanders, hatte sich, wie oben erzählt worden, auf der Küste Kleinasiens mit dreißig Schiffen, sechstausend Söldnern und den ungeheueren Schätzen, die ihm anvertraut gewesen waren, gen Attika hin ein- geschifft, und war glücklich auf der Rhede von Munychia angelangt. Der Strateg Philokles, der die Hafenwache commandirte, war leicht gewonnen, es waren bald mit den vornehmsten Führern des Volks Verbindungen angeknüpft, und Aristogiton, Mörokles, De- mon, Kallisthenes, Aristonikon, Cephisophon widerstanden dem Golde nicht 73b); selbst Demades glaubte ein Geschenk von sechstausend Stateren mit seinen anderweitigen Verhältnissen zu Macedonien ver- einbaren zu können, und Charikles, des ehenwerthen Phocion Schwiegersohn, war bereits durch die dreißig Talente, die er dem Harpalus für das Grabmal der Pythionice am heiligen Wege hatte in Rechnung bringen dürfen, verpflichtet. Im Vertrauen auf diese Freunde glaubte der Großschatzmeister, Athen zu seinen Aufenthaltsorte wählen zu können; er trug bei dem Volke darauf an, sich mit seinen Schätzen und Schiffen in ihren Schutz bege- ben zu dürfen; die einverstandenen Redner thaten alles Mögliche, sein Gesuch zu unterstützen: die Athener seien ihm wegen frühe- rer Getraidespende allen Dank schuldig, es sei ja ihre schöne Ge- wohnheit, Schutzflehenden barmherzig zu sein, sie hätten ihm be- reits früher das Bürgerrecht der Stadt gegeben. Demosthenes aber erklärte sich offen dagegen: man müsse den Harpalus nicht aufnehmen, um nicht die Stadt in einen unnöthigen und unge- rechten Krieg zu stürzen; auch Phocion, den Harpalus umsonst zu gewinnen versucht hatte, widersprach der Aufnahme, und das Volk wies des Harpalus Gesuch zurück 74). Indeß gab dieser
73b)Athen. VIII. p. 591., Dionys. Hal. Din. c. 11.
74)Plutarch Phoc. 21. Die Zeit dürfte sich daraus bestimmen, daß Philokles als Strateg verklagt wird, also nach dem Anfange des Attischen Jahres (Juli 324) den Hafen öffnete.
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kam ein unerwarteter Umſtand hinzu, der, gehoͤrig benutzt, die Macht der Athener bedeutend zu heben und ihrer Weigerung Nach- druck zu geben verſprach.
Harpalus nemlich, der fluͤchtige Großſchatzmeiſter Alexanders, hatte ſich, wie oben erzaͤhlt worden, auf der Kuͤſte Kleinaſiens mit dreißig Schiffen, ſechstauſend Soͤldnern und den ungeheueren Schaͤtzen, die ihm anvertraut geweſen waren, gen Attika hin ein- geſchifft, und war gluͤcklich auf der Rhede von Munychia angelangt. Der Strateg Philokles, der die Hafenwache commandirte, war leicht gewonnen, es waren bald mit den vornehmſten Fuͤhrern des Volks Verbindungen angeknuͤpft, und Ariſtogiton, Moͤrokles, De- mon, Kalliſthenes, Ariſtonikon, Cephiſophon widerſtanden dem Golde nicht 73b); ſelbſt Demades glaubte ein Geſchenk von ſechstauſend Stateren mit ſeinen anderweitigen Verhaͤltniſſen zu Macedonien ver- einbaren zu koͤnnen, und Charikles, des ehenwerthen Phocion Schwiegerſohn, war bereits durch die dreißig Talente, die er dem Harpalus fuͤr das Grabmal der Pythionice am heiligen Wege hatte in Rechnung bringen duͤrfen, verpflichtet. Im Vertrauen auf dieſe Freunde glaubte der Großſchatzmeiſter, Athen zu ſeinen Aufenthaltsorte waͤhlen zu koͤnnen; er trug bei dem Volke darauf an, ſich mit ſeinen Schaͤtzen und Schiffen in ihren Schutz bege- ben zu duͤrfen; die einverſtandenen Redner thaten alles Moͤgliche, ſein Geſuch zu unterſtuͤtzen: die Athener ſeien ihm wegen fruͤhe- rer Getraideſpende allen Dank ſchuldig, es ſei ja ihre ſchoͤne Ge- wohnheit, Schutzflehenden barmherzig zu ſein, ſie haͤtten ihm be- reits fruͤher das Buͤrgerrecht der Stadt gegeben. Demoſthenes aber erklaͤrte ſich offen dagegen: man muͤſſe den Harpalus nicht aufnehmen, um nicht die Stadt in einen unnoͤthigen und unge- rechten Krieg zu ſtuͤrzen; auch Phocion, den Harpalus umſonſt zu gewinnen verſucht hatte, widerſprach der Aufnahme, und das Volk wies des Harpalus Geſuch zuruͤck 74). Indeß gab dieſer
73b)Athen. VIII. p. 591., Dionys. Hal. Din. c. 11.
74)Plutarch Phoc. 21. Die Zeit duͤrfte ſich daraus beſtimmen, daß Philokles als Strateg verklagt wird, alſo nach dem Anfange des Attiſchen Jahres (Juli 324) den Hafen oͤffnete.
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Harpalus nemlich, der fluͤchtige Großſchatzmeiſter Alexanders,
hatte ſich, wie oben erzaͤhlt worden, auf der Kuͤſte Kleinaſiens
mit dreißig Schiffen, ſechstauſend Soͤldnern und den ungeheueren
Schaͤtzen, die ihm anvertraut geweſen waren, gen Attika hin ein-
geſchifft, und war gluͤcklich auf der Rhede von Munychia angelangt.
Der Strateg Philokles, der die Hafenwache commandirte, war
leicht gewonnen, es waren bald mit den vornehmſten Fuͤhrern des
Volks Verbindungen angeknuͤpft, und Ariſtogiton, Moͤrokles, De-
mon, Kalliſthenes, Ariſtonikon, Cephiſophon widerſtanden dem Golde
nicht 73b); ſelbſt Demades glaubte ein Geſchenk von ſechstauſend
Stateren mit ſeinen anderweitigen Verhaͤltniſſen zu Macedonien ver-
einbaren zu koͤnnen, und Charikles, des ehenwerthen Phocion
Schwiegerſohn, war bereits durch die dreißig Talente, die er dem
Harpalus fuͤr das Grabmal der Pythionice am heiligen Wege
hatte in Rechnung bringen duͤrfen, verpflichtet. Im Vertrauen
auf dieſe Freunde glaubte der Großſchatzmeiſter, Athen zu ſeinen
Aufenthaltsorte waͤhlen zu koͤnnen; er trug bei dem Volke darauf
an, ſich mit ſeinen Schaͤtzen und Schiffen in ihren Schutz bege-
ben zu duͤrfen; die einverſtandenen Redner thaten alles Moͤgliche,
ſein Geſuch zu unterſtuͤtzen: die Athener ſeien ihm wegen fruͤhe-
rer Getraideſpende allen Dank ſchuldig, es ſei ja ihre ſchoͤne Ge-
wohnheit, Schutzflehenden barmherzig zu ſein, ſie haͤtten ihm be-
reits fruͤher das Buͤrgerrecht der Stadt gegeben. Demoſthenes
aber erklaͤrte ſich offen dagegen: man muͤſſe den Harpalus nicht
aufnehmen, um nicht die Stadt in einen unnoͤthigen und unge-
rechten Krieg zu ſtuͤrzen; auch Phocion, den Harpalus umſonſt
zu gewinnen verſucht hatte, widerſprach der Aufnahme, und das
Volk wies des Harpalus Geſuch zuruͤck 74). Indeß gab dieſer
73b) Athen. VIII. p. 591., Dionys. Hal. Din. c. 11.
74) Plutarch Phoc. 21. Die Zeit duͤrfte ſich daraus beſtimmen, daß
Philokles als Strateg verklagt wird, alſo nach dem Anfange des
Attiſchen Jahres (Juli 324) den Hafen oͤffnete.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/543>, abgerufen am 22.11.2024.
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