ten das nähere Anrecht, welches der noch lebende jüngste Sohn des Archelaos auf das Reich hatte, vergessen lassen.
Doch war die Zeit der Ruhe, so sehr das Land ihrer bedurfte, noch nicht gekommen; die Verwirrungen, die das Reich zu entkräf- ten und zur leichten Beute jedes kühnen Ueberfalls zu machen schie- nen, hatten die Illyrier an die Grenze gelockt, und vielleicht von den Gegnern des Amyntas aufgemuntert, fielen sie in das Land, besiegten ein königliches Heer und zwangen den König selbst zur Flucht aus seinem Reiche. Die zwei Jahre seiner Abwesenheit be- nutzte Archelaos jüngster Sohn Argäus zu einem Versuch, sich des väterlichen Reiches zu bemächtigen; aber mit Thessalischer Hülfe kam Amyntas zurück, und gewann in Kurzem das Verlorene wie- der. Die großen Gefahren und Zerrüttungen, welche die Parthei- ungen über das Land gebracht hatten, mochten empfindlich genug gezeigt haben, wie nothwendig Versöhnung und Eintracht sei; Amyn- tas vermählte sich mit Eurydice aus dem Lynkestischen Fürstenhause. Altes und Neues ward in Einklang gebracht, und zwanzig Jahre hindurch regierte Amyntas, wenn auch nicht in völligem Frieden, doch zum Wohl und zur Förderung seines Landes. Aber bei sei- nem Tode offenbarte sich, daß die Parthei der Lynkestier ihre alten Hoffnungen und Pläne noch nicht aufgegeben; sie fand in der Köni- gin Eurydice eine eben so kühne wie furchtbare Vertreterin. Als Amyntas Sohn und Nachfolger Alexander in Thessalien kämpfte, stand von ihr veranlaßt Ptolomäus von Alorus, mit dem sie schon lange ein heimliches Verhältniß pflegte, gegen den König auf, und kämpfte glücklich; ein Vergleich zwischen beiden schien nur ge- macht, um den König desto sicherer zu verderben; während eines festlichen Tanzes ward er ermordet 9), und dem Mörder Ptolomäus gab die Königin ihre Hand und den Thron. Jahr und Tag herrschte der Usurpator, bis Alexanders zweiter Bruder herangereift war; mit dem Morde des Ptolomäus bahnte er sich den Weg zum Throne. Seine Herrschaft währte zu kurze Zeit; mitten in der einflußreichsten Wirksamkeit für die Bildung und Erweiterung seines
9)Marsyas ap. Athen. XIV. p. 629 d.; Diod. XV. 71. 72. nennt ihn Bruder des Alexander, gegen das ausdrückliche Zeugniß des Dexip. ap. Syncell. p. 500. ed. Bonn.; cf. Aristot. Polit. V. 8. 12.
ten das nähere Anrecht, welches der noch lebende jüngſte Sohn des Archelaos auf das Reich hatte, vergeſſen laſſen.
Doch war die Zeit der Ruhe, ſo ſehr das Land ihrer bedurfte, noch nicht gekommen; die Verwirrungen, die das Reich zu entkräf- ten und zur leichten Beute jedes kühnen Ueberfalls zu machen ſchie- nen, hatten die Illyrier an die Grenze gelockt, und vielleicht von den Gegnern des Amyntas aufgemuntert, fielen ſie in das Land, beſiegten ein königliches Heer und zwangen den König ſelbſt zur Flucht aus ſeinem Reiche. Die zwei Jahre ſeiner Abweſenheit be- nutzte Archelaos jüngſter Sohn Argäus zu einem Verſuch, ſich des väterlichen Reiches zu bemächtigen; aber mit Theſſaliſcher Hülfe kam Amyntas zurück, und gewann in Kurzem das Verlorene wie- der. Die großen Gefahren und Zerrüttungen, welche die Parthei- ungen über das Land gebracht hatten, mochten empfindlich genug gezeigt haben, wie nothwendig Verſöhnung und Eintracht ſei; Amyn- tas vermählte ſich mit Eurydice aus dem Lynkeſtiſchen Fürſtenhauſe. Altes und Neues ward in Einklang gebracht, und zwanzig Jahre hindurch regierte Amyntas, wenn auch nicht in völligem Frieden, doch zum Wohl und zur Förderung ſeines Landes. Aber bei ſei- nem Tode offenbarte ſich, daß die Parthei der Lynkeſtier ihre alten Hoffnungen und Pläne noch nicht aufgegeben; ſie fand in der Köni- gin Eurydice eine eben ſo kühne wie furchtbare Vertreterin. Als Amyntas Sohn und Nachfolger Alexander in Theſſalien kämpfte, ſtand von ihr veranlaßt Ptolomäus von Alorus, mit dem ſie ſchon lange ein heimliches Verhältniß pflegte, gegen den König auf, und kämpfte glücklich; ein Vergleich zwiſchen beiden ſchien nur ge- macht, um den König deſto ſicherer zu verderben; während eines feſtlichen Tanzes ward er ermordet 9), und dem Mörder Ptolomäus gab die Königin ihre Hand und den Thron. Jahr und Tag herrſchte der Uſurpator, bis Alexanders zweiter Bruder herangereift war; mit dem Morde des Ptolomäus bahnte er ſich den Weg zum Throne. Seine Herrſchaft währte zu kurze Zeit; mitten in der einflußreichſten Wirkſamkeit für die Bildung und Erweiterung ſeines
9)Marsyas ap. Athen. XIV. p. 629 d.; Diod. XV. 71. 72. nennt ihn Bruder des Alexander, gegen das ausdrückliche Zeugniß des Dexip. ap. Syncell. p. 500. ed. Bonn.; cf. Aristot. Polit. V. 8. 12.
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ten das nähere Anrecht, welches der noch lebende jüngſte Sohn des
Archelaos auf das Reich hatte, vergeſſen laſſen.
Doch war die Zeit der Ruhe, ſo ſehr das Land ihrer bedurfte,
noch nicht gekommen; die Verwirrungen, die das Reich zu entkräf-
ten und zur leichten Beute jedes kühnen Ueberfalls zu machen ſchie-
nen, hatten die Illyrier an die Grenze gelockt, und vielleicht von
den Gegnern des Amyntas aufgemuntert, fielen ſie in das Land,
beſiegten ein königliches Heer und zwangen den König ſelbſt zur
Flucht aus ſeinem Reiche. Die zwei Jahre ſeiner Abweſenheit be-
nutzte Archelaos jüngſter Sohn Argäus zu einem Verſuch, ſich
des väterlichen Reiches zu bemächtigen; aber mit Theſſaliſcher Hülfe
kam Amyntas zurück, und gewann in Kurzem das Verlorene wie-
der. Die großen Gefahren und Zerrüttungen, welche die Parthei-
ungen über das Land gebracht hatten, mochten empfindlich genug
gezeigt haben, wie nothwendig Verſöhnung und Eintracht ſei; Amyn-
tas vermählte ſich mit Eurydice aus dem Lynkeſtiſchen Fürſtenhauſe.
Altes und Neues ward in Einklang gebracht, und zwanzig Jahre
hindurch regierte Amyntas, wenn auch nicht in völligem Frieden,
doch zum Wohl und zur Förderung ſeines Landes. Aber bei ſei-
nem Tode offenbarte ſich, daß die Parthei der Lynkeſtier ihre alten
Hoffnungen und Pläne noch nicht aufgegeben; ſie fand in der Köni-
gin Eurydice eine eben ſo kühne wie furchtbare Vertreterin. Als
Amyntas Sohn und Nachfolger Alexander in Theſſalien kämpfte,
ſtand von ihr veranlaßt Ptolomäus von Alorus, mit dem ſie
ſchon lange ein heimliches Verhältniß pflegte, gegen den König auf,
und kämpfte glücklich; ein Vergleich zwiſchen beiden ſchien nur ge-
macht, um den König deſto ſicherer zu verderben; während eines
feſtlichen Tanzes ward er ermordet 9), und dem Mörder Ptolomäus
gab die Königin ihre Hand und den Thron. Jahr und Tag
herrſchte der Uſurpator, bis Alexanders zweiter Bruder herangereift
war; mit dem Morde des Ptolomäus bahnte er ſich den Weg zum
Throne. Seine Herrſchaft währte zu kurze Zeit; mitten in der
einflußreichſten Wirkſamkeit für die Bildung und Erweiterung ſeines
9) Marsyas ap. Athen. XIV. p. 629 d.; Diod. XV. 71. 72. nennt
ihn Bruder des Alexander, gegen das ausdrückliche Zeugniß des
Dexip. ap. Syncell. p. 500. ed. Bonn.; cf. Aristot. Polit. V. 8. 12.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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