schöner, dahin zu gehen, bevor sein körperliches Leiden ihn zwinge, seine bisherige Lebensregel zu verlassen. Und der König entgeg- nete ihm, er sähe nicht so krank, er würde sich um nichts hin- opfern; aber der Indische Büßer antwortete, bei ihm daheim gelte nichts unwürdiger, als wenn die Ruhe des Geistes durch Krank- heit gestört werde, es forderen die Gebräuche seines Glaubens, daß er den Scheiterhaufen besteige 40), er wolle sterben nach der Sitte seines Landes. Da befahl Alexander dem Lagiden, sei- nem Leibwächter, den Scheiterhaufen zu erbauen und den Flam- mentod des Indischen Heiligen mit aller Pracht zu feiern; er selbst mochte nicht zugegen sein, den Tod des theueren Greises mit anzusehen. Als nun der Tag gekommen war, so zog das Heer frühe Morgens im festlichen Zuge hinaus, vorauf die Reu- terei und das Fußvolk in vollem Waffenglanze, und die Kriegs- elephanten in ihrem Aufzuge, dann Schaaren Weihrauchtragen- der, dann Andere, die goldene und silberne Schaalen trugen und königliche Gewänder, um sie mit dem Weihrauch in die Flammen zu werfen; dann Kalanus selbst; ihm war, da er schon nicht mehr zu gehen vermochte, ein Nysäisches Roß gebracht worden, er konnte es nicht mehr besteigen; in einer Sänfte ward er hin- aus getragen. Und der Scheiterhaufen war aus köstlichem Holze errichtet, aus Myrrhen und Cypressen, aus Weihrauch und Ce- dern; als der Zug an den Fuß desselben angelangt war, stieg Kalanus aus seiner Sänfte, nahm mit einem Händedruck von jedem der Macedonier, die um ihn waren, Abschied, und bat sie, sie möchten zu seinem Gedächtniß den heutigen Tag in freudiger Feier mit ihrem Könige zubringen, bald werde er ihn in Babylon wiedersehen; dann schenkte er das Nysäische Roß dem edlen Lysi- machus, und die Schaalen und Gewänder den Umstehendrn. Dann ward ringsum feierliche Stille, und der fromme Greis be- gann sich zu weihen; er besprengte sich wie ein Opferthier, er schnitt eine Locke von seinem greisen Haupte und weihete sie der Gottheit, er kränzte sich nach heimathlicher Weise und stieg, indem er Indische Hymnen sang, den Scheiterhaufen hinan; dann sah
40)Strabo XV. p. 299.
ſchoͤner, dahin zu gehen, bevor ſein koͤrperliches Leiden ihn zwinge, ſeine bisherige Lebensregel zu verlaſſen. Und der Koͤnig entgeg- nete ihm, er ſaͤhe nicht ſo krank, er wuͤrde ſich um nichts hin- opfern; aber der Indiſche Buͤßer antwortete, bei ihm daheim gelte nichts unwuͤrdiger, als wenn die Ruhe des Geiſtes durch Krank- heit geſtoͤrt werde, es forderen die Gebraͤuche ſeines Glaubens, daß er den Scheiterhaufen beſteige 40), er wolle ſterben nach der Sitte ſeines Landes. Da befahl Alexander dem Lagiden, ſei- nem Leibwaͤchter, den Scheiterhaufen zu erbauen und den Flam- mentod des Indiſchen Heiligen mit aller Pracht zu feiern; er ſelbſt mochte nicht zugegen ſein, den Tod des theueren Greiſes mit anzuſehen. Als nun der Tag gekommen war, ſo zog das Heer fruͤhe Morgens im feſtlichen Zuge hinaus, vorauf die Reu- terei und das Fußvolk in vollem Waffenglanze, und die Kriegs- elephanten in ihrem Aufzuge, dann Schaaren Weihrauchtragen- der, dann Andere, die goldene und ſilberne Schaalen trugen und koͤnigliche Gewaͤnder, um ſie mit dem Weihrauch in die Flammen zu werfen; dann Kalanus ſelbſt; ihm war, da er ſchon nicht mehr zu gehen vermochte, ein Nyſaͤiſches Roß gebracht worden, er konnte es nicht mehr beſteigen; in einer Saͤnfte ward er hin- aus getragen. Und der Scheiterhaufen war aus koͤſtlichem Holze errichtet, aus Myrrhen und Cypreſſen, aus Weihrauch und Ce- dern; als der Zug an den Fuß deſſelben angelangt war, ſtieg Kalanus aus ſeiner Saͤnfte, nahm mit einem Haͤndedruck von jedem der Macedonier, die um ihn waren, Abſchied, und bat ſie, ſie moͤchten zu ſeinem Gedaͤchtniß den heutigen Tag in freudiger Feier mit ihrem Koͤnige zubringen, bald werde er ihn in Babylon wiederſehen; dann ſchenkte er das Nyſaͤiſche Roß dem edlen Lyſi- machus, und die Schaalen und Gewaͤnder den Umſtehendrn. Dann ward ringsum feierliche Stille, und der fromme Greis be- gann ſich zu weihen; er beſprengte ſich wie ein Opferthier, er ſchnitt eine Locke von ſeinem greiſen Haupte und weihete ſie der Gottheit, er kraͤnzte ſich nach heimathlicher Weiſe und ſtieg, indem er Indiſche Hymnen ſang, den Scheiterhaufen hinan; dann ſah
40)Strabo XV. p. 299.
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ſchoͤner, dahin zu gehen, bevor ſein koͤrperliches Leiden ihn zwinge,
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nichts unwuͤrdiger, als wenn die Ruhe des Geiſtes durch Krank-
heit geſtoͤrt werde, es forderen die Gebraͤuche ſeines Glaubens,
daß er den Scheiterhaufen beſteige 40), er wolle ſterben nach
der Sitte ſeines Landes. Da befahl Alexander dem Lagiden, ſei-
nem Leibwaͤchter, den Scheiterhaufen zu erbauen und den Flam-
mentod des Indiſchen Heiligen mit aller Pracht zu feiern; er
ſelbſt mochte nicht zugegen ſein, den Tod des theueren Greiſes
mit anzuſehen. Als nun der Tag gekommen war, ſo zog das
Heer fruͤhe Morgens im feſtlichen Zuge hinaus, vorauf die Reu-
terei und das Fußvolk in vollem Waffenglanze, und die Kriegs-
elephanten in ihrem Aufzuge, dann Schaaren Weihrauchtragen-
der, dann Andere, die goldene und ſilberne Schaalen trugen und
koͤnigliche Gewaͤnder, um ſie mit dem Weihrauch in die Flammen
zu werfen; dann Kalanus ſelbſt; ihm war, da er ſchon nicht
mehr zu gehen vermochte, ein Nyſaͤiſches Roß gebracht worden,
er konnte es nicht mehr beſteigen; in einer Saͤnfte ward er hin-
aus getragen. Und der Scheiterhaufen war aus koͤſtlichem Holze
errichtet, aus Myrrhen und Cypreſſen, aus Weihrauch und Ce-
dern; als der Zug an den Fuß deſſelben angelangt war, ſtieg
Kalanus aus ſeiner Saͤnfte, nahm mit einem Haͤndedruck von
jedem der Macedonier, die um ihn waren, Abſchied, und bat ſie,
ſie moͤchten zu ſeinem Gedaͤchtniß den heutigen Tag in freudiger
Feier mit ihrem Koͤnige zubringen, bald werde er ihn in Babylon
wiederſehen; dann ſchenkte er das Nyſaͤiſche Roß dem edlen Lyſi-
machus, und die Schaalen und Gewaͤnder den Umſtehendrn. Dann
ward ringsum feierliche Stille, und der fromme Greis be-
gann ſich zu weihen; er beſprengte ſich wie ein Opferthier, er
ſchnitt eine Locke von ſeinem greiſen Haupte und weihete ſie der
Gottheit, er kraͤnzte ſich nach heimathlicher Weiſe und ſtieg, indem
er Indiſche Hymnen ſang, den Scheiterhaufen hinan; dann ſah
40) Strabo XV. p. 299.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/516>, abgerufen am 22.11.2024.
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