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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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den waren. Denn die edlen Dorischen Geschlechter in Macedonien
hatten keinesweges, wie etwa die Spartaner und andere Dorier,
die alten Landesbewohner zu Penesten und Heloten erniedrigt; wie
dürftig auch die Nachrichten über das innere Leben Macedoniens
sind, so viel steht fest, daß das Volk frei, daß Jeder des Volks
trotz dem edelsten Herakliden Macedonier war, daß er das Recht
zu freiem und unabhängigem Besitz, und Zutritt in die Volksver-
sammlung hatte, daß endlich die Volksversammlung selbst zu Ge-
richt und Berathung dem Könige zur Seite war, um durch lauten
Zuruf zu billigen oder zu verwerfen. Indem das freie Volk zu glei-
cher Zeit die Masse des Heeres bildete, so konnte sich nicht im
Adel des Landes eine einseitige Vorliebe für den Krieg hervorbil-
den, und der ritterliche Dienst, zu dem er im Falle eines Krieges
verpflichtet war, ließ den Heerdienst des Fußvolks in gleichem
Maaße ehrenvoll und selbstständig. Der Adel selbst war kaum
als Herrenstand zu bezeichnen; was ihn auszeichnete, waren nicht
Privilegien auf Kosten des Volkes, sondern größeres Besitzthum,
die Erinnerungen edler Abstammung, nähere Beziehung zu der Per-
son des Königs, der treue Dienste mit Ehren und Geschenken be-
lohnte. Selbst die Familien von fürstlichem Adel, die früher in den
benachbarten Landschaften Orestis, Lynkestis, Stymphäa und anderen
selbstständig geherrscht, und, nachdem sie von den mächtigeren Köni-
gen Macedoniens abhängig geworden, doch den Besitz ihrer frühern
Herrschaft behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volke in die
Verhältnisse ein, welche für das übrige Macedonien galten.

Man muß gestehen, daß die alterthümliche Einfachheit der
Verhältnisse, wie sie die Grundlage des in den Homerischen Ge-
sängen geschilderten Lebens bildet, und Jahrhunderte lang in Macedo-
nien bestand, in der That einst allen Hellenen gemeinsam gewesen,
aber im Kampf der Jahrhunderte untergegangen war. Freilich
dankte das Griechenthum diesen Kämpfen die hohe Bildung, die es,
wenn auch auf Kosten des Glückes und der Tugend, erreicht hat,
und Macedonien war mit seiner alterthümlichen Rauheit und Ein-
falt weit hinter der Zeit zurückgeblieben; aber dafür konnte es auch,
glücklich und umsichtig geleitet, die Resultate jener langen und mü-
hevollen Entwickelung, bei der Griechenland seine Kraft erschöpft
hatte, mit ungeschwächter Kraft aufnehmen; es konnte die Gedan-

den waren. Denn die edlen Doriſchen Geſchlechter in Macedonien
hatten keinesweges, wie etwa die Spartaner und andere Dorier,
die alten Landesbewohner zu Peneſten und Heloten erniedrigt; wie
dürftig auch die Nachrichten über das innere Leben Macedoniens
ſind, ſo viel ſteht feſt, daß das Volk frei, daß Jeder des Volks
trotz dem edelſten Herakliden Macedonier war, daß er das Recht
zu freiem und unabhängigem Beſitz, und Zutritt in die Volksver-
ſammlung hatte, daß endlich die Volksverſammlung ſelbſt zu Ge-
richt und Berathung dem Könige zur Seite war, um durch lauten
Zuruf zu billigen oder zu verwerfen. Indem das freie Volk zu glei-
cher Zeit die Maſſe des Heeres bildete, ſo konnte ſich nicht im
Adel des Landes eine einſeitige Vorliebe für den Krieg hervorbil-
den, und der ritterliche Dienſt, zu dem er im Falle eines Krieges
verpflichtet war, ließ den Heerdienſt des Fußvolks in gleichem
Maaße ehrenvoll und ſelbſtſtändig. Der Adel ſelbſt war kaum
als Herrenſtand zu bezeichnen; was ihn auszeichnete, waren nicht
Privilegien auf Koſten des Volkes, ſondern größeres Beſitzthum,
die Erinnerungen edler Abſtammung, nähere Beziehung zu der Per-
ſon des Königs, der treue Dienſte mit Ehren und Geſchenken be-
lohnte. Selbſt die Familien von fürſtlichem Adel, die früher in den
benachbarten Landſchaften Oreſtis, Lynkeſtis, Stymphäa und anderen
ſelbſtſtändig geherrſcht, und, nachdem ſie von den mächtigeren Köni-
gen Macedoniens abhängig geworden, doch den Beſitz ihrer frühern
Herrſchaft behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volke in die
Verhältniſſe ein, welche für das übrige Macedonien galten.

Man muß geſtehen, daß die alterthümliche Einfachheit der
Verhältniſſe, wie ſie die Grundlage des in den Homeriſchen Ge-
ſängen geſchilderten Lebens bildet, und Jahrhunderte lang in Macedo-
nien beſtand, in der That einſt allen Hellenen gemeinſam geweſen,
aber im Kampf der Jahrhunderte untergegangen war. Freilich
dankte das Griechenthum dieſen Kämpfen die hohe Bildung, die es,
wenn auch auf Koſten des Glückes und der Tugend, erreicht hat,
und Macedonien war mit ſeiner alterthümlichen Rauheit und Ein-
falt weit hinter der Zeit zurückgeblieben; aber dafür konnte es auch,
glücklich und umſichtig geleitet, die Reſultate jener langen und mü-
hevollen Entwickelung, bei der Griechenland ſeine Kraft erſchöpft
hatte, mit ungeſchwächter Kraft aufnehmen; es konnte die Gedan-

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[36/0050] den waren. Denn die edlen Doriſchen Geſchlechter in Macedonien hatten keinesweges, wie etwa die Spartaner und andere Dorier, die alten Landesbewohner zu Peneſten und Heloten erniedrigt; wie dürftig auch die Nachrichten über das innere Leben Macedoniens ſind, ſo viel ſteht feſt, daß das Volk frei, daß Jeder des Volks trotz dem edelſten Herakliden Macedonier war, daß er das Recht zu freiem und unabhängigem Beſitz, und Zutritt in die Volksver- ſammlung hatte, daß endlich die Volksverſammlung ſelbſt zu Ge- richt und Berathung dem Könige zur Seite war, um durch lauten Zuruf zu billigen oder zu verwerfen. Indem das freie Volk zu glei- cher Zeit die Maſſe des Heeres bildete, ſo konnte ſich nicht im Adel des Landes eine einſeitige Vorliebe für den Krieg hervorbil- den, und der ritterliche Dienſt, zu dem er im Falle eines Krieges verpflichtet war, ließ den Heerdienſt des Fußvolks in gleichem Maaße ehrenvoll und ſelbſtſtändig. Der Adel ſelbſt war kaum als Herrenſtand zu bezeichnen; was ihn auszeichnete, waren nicht Privilegien auf Koſten des Volkes, ſondern größeres Beſitzthum, die Erinnerungen edler Abſtammung, nähere Beziehung zu der Per- ſon des Königs, der treue Dienſte mit Ehren und Geſchenken be- lohnte. Selbſt die Familien von fürſtlichem Adel, die früher in den benachbarten Landſchaften Oreſtis, Lynkeſtis, Stymphäa und anderen ſelbſtſtändig geherrſcht, und, nachdem ſie von den mächtigeren Köni- gen Macedoniens abhängig geworden, doch den Beſitz ihrer frühern Herrſchaft behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volke in die Verhältniſſe ein, welche für das übrige Macedonien galten. Man muß geſtehen, daß die alterthümliche Einfachheit der Verhältniſſe, wie ſie die Grundlage des in den Homeriſchen Ge- ſängen geſchilderten Lebens bildet, und Jahrhunderte lang in Macedo- nien beſtand, in der That einſt allen Hellenen gemeinſam geweſen, aber im Kampf der Jahrhunderte untergegangen war. Freilich dankte das Griechenthum dieſen Kämpfen die hohe Bildung, die es, wenn auch auf Koſten des Glückes und der Tugend, erreicht hat, und Macedonien war mit ſeiner alterthümlichen Rauheit und Ein- falt weit hinter der Zeit zurückgeblieben; aber dafür konnte es auch, glücklich und umſichtig geleitet, die Reſultate jener langen und mü- hevollen Entwickelung, bei der Griechenland ſeine Kraft erſchöpft hatte, mit ungeſchwächter Kraft aufnehmen; es konnte die Gedan-

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/50>, abgerufen am 23.11.2024.