Provinzen, die er dorthin beordert, zu treffen hoffte. Es mochte Anfang December sein; von der Flotte und ihren Schicksalen hatte man nicht die geringste Nachricht; war die dem hochherzigen Nearch übertragene Expedition schon an sich gefahrvoll, und die gänzliche Ungewißheit über den Fortgang höchst beunruhigend, so mochte Alexander durch die jüngsten Erlebnisse und ihre unbe- schreibliche Furchtbarkeit, eher Alles zu fürchten, als das Gelingen eines großen Planes zu hoffen geneigt sein; jene Küste, die dem größten Theil seines Heeres den elendesten Untergang gebracht hatte, war für die Flotte die letzte und einzige Zuflucht; und öde, flachsandig, hafenlos wie sie war, schien sie eher die unberechenba- ren Wechselfälle von Wind und Wetter gefährlicher zu machen, als vor ihnen retten zu können; ein Orkan, und Flotte und Heer konnte spurlos vernichtet sein, eine unvorsichtige Fahrt, und der Ocean war weit genug zu endlosem Irren und rettungslosem Treiben.
Da kam der Hyparch der Seeküste Karamaniens zum Könige mit der Nachricht, fünf Tage südwärts, an der Mün- dung des Flusses Anamis sei Nearch wohlbehalten mit der Flotte gelandet, habe auf die Nachricht, daß sich der König im oberen Lande befände, sein Heer sich hinter Wall und Graben lagern lassen, und werde demnächst persönlich vor Alexander erscheinen. Des Königs Freude war im ersten Augenblick außerordentlich, bald genug sank sie in Ungeduld, in Zweifel, in größere Beküm- merniß zurück; umsonst erwartete man Nearchs Ankunft, es ver- strich ein Tag nach dem andern; Boten auf Boten wurden aus- gesandt, aber die Einen kamen zurück mit dem Bericht, sie hätten nirgend Macedonier der Flotte gesehen, nirgend von ihnen Kunde erhalten; andere Boten blieben ganz aus; endlich befahl Alexan- der, den Hyparchen, der treulose Mährchen geschmiedet und mit der Trauer des Heeres und des Königs Spott getrieben, fest zu neh- men und in Ketten zu legen; er selbst aber war trauriger denn zuvor, und von Leiden des Körpers und der Seele bleich.
Indeß hatte der Hyparch die volle Wahrheit gesagt: wirklich war Nearch mit seiner Flotte an der Karamanischen Küste; glück- lich hatte er ein Unternehmen, dem an Gefahren und Wundern schon an sich nichts ähnlich war, und das überdieß durch das Zu-
Provinzen, die er dorthin beordert, zu treffen hoffte. Es mochte Anfang December ſein; von der Flotte und ihren Schickſalen hatte man nicht die geringſte Nachricht; war die dem hochherzigen Nearch uͤbertragene Expedition ſchon an ſich gefahrvoll, und die gaͤnzliche Ungewißheit uͤber den Fortgang hoͤchſt beunruhigend, ſo mochte Alexander durch die juͤngſten Erlebniſſe und ihre unbe- ſchreibliche Furchtbarkeit, eher Alles zu fuͤrchten, als das Gelingen eines großen Planes zu hoffen geneigt ſein; jene Kuͤſte, die dem groͤßten Theil ſeines Heeres den elendeſten Untergang gebracht hatte, war fuͤr die Flotte die letzte und einzige Zuflucht; und oͤde, flachſandig, hafenlos wie ſie war, ſchien ſie eher die unberechenba- ren Wechſelfaͤlle von Wind und Wetter gefaͤhrlicher zu machen, als vor ihnen retten zu koͤnnen; ein Orkan, und Flotte und Heer konnte ſpurlos vernichtet ſein, eine unvorſichtige Fahrt, und der Ocean war weit genug zu endloſem Irren und rettungsloſem Treiben.
Da kam der Hyparch der Seekuͤſte Karamaniens zum Koͤnige mit der Nachricht, fuͤnf Tage ſuͤdwaͤrts, an der Muͤn- dung des Fluſſes Anamis ſei Nearch wohlbehalten mit der Flotte gelandet, habe auf die Nachricht, daß ſich der Koͤnig im oberen Lande befaͤnde, ſein Heer ſich hinter Wall und Graben lagern laſſen, und werde demnaͤchſt perſoͤnlich vor Alexander erſcheinen. Des Koͤnigs Freude war im erſten Augenblick außerordentlich, bald genug ſank ſie in Ungeduld, in Zweifel, in groͤßere Bekuͤm- merniß zuruͤck; umſonſt erwartete man Nearchs Ankunft, es ver- ſtrich ein Tag nach dem andern; Boten auf Boten wurden aus- geſandt, aber die Einen kamen zuruͤck mit dem Bericht, ſie haͤtten nirgend Macedonier der Flotte geſehen, nirgend von ihnen Kunde erhalten; andere Boten blieben ganz aus; endlich befahl Alexan- der, den Hyparchen, der treuloſe Maͤhrchen geſchmiedet und mit der Trauer des Heeres und des Koͤnigs Spott getrieben, feſt zu neh- men und in Ketten zu legen; er ſelbſt aber war trauriger denn zuvor, und von Leiden des Koͤrpers und der Seele bleich.
Indeß hatte der Hyparch die volle Wahrheit geſagt: wirklich war Nearch mit ſeiner Flotte an der Karamaniſchen Kuͤſte; gluͤck- lich hatte er ein Unternehmen, dem an Gefahren und Wundern ſchon an ſich nichts aͤhnlich war, und das uͤberdieß durch das Zu-
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[477/0491]
Provinzen, die er dorthin beordert, zu treffen hoffte. Es mochte
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Nearch uͤbertragene Expedition ſchon an ſich gefahrvoll, und die
gaͤnzliche Ungewißheit uͤber den Fortgang hoͤchſt beunruhigend, ſo
mochte Alexander durch die juͤngſten Erlebniſſe und ihre unbe-
ſchreibliche Furchtbarkeit, eher Alles zu fuͤrchten, als das Gelingen
eines großen Planes zu hoffen geneigt ſein; jene Kuͤſte, die dem
groͤßten Theil ſeines Heeres den elendeſten Untergang gebracht
hatte, war fuͤr die Flotte die letzte und einzige Zuflucht; und oͤde,
flachſandig, hafenlos wie ſie war, ſchien ſie eher die unberechenba-
ren Wechſelfaͤlle von Wind und Wetter gefaͤhrlicher zu machen,
als vor ihnen retten zu koͤnnen; ein Orkan, und Flotte und Heer
konnte ſpurlos vernichtet ſein, eine unvorſichtige Fahrt, und der
Ocean war weit genug zu endloſem Irren und rettungsloſem
Treiben.
Da kam der Hyparch der Seekuͤſte Karamaniens zum Koͤnige
mit der Nachricht, fuͤnf Tage ſuͤdwaͤrts, an der Muͤn-
dung des Fluſſes Anamis ſei Nearch wohlbehalten mit der Flotte
gelandet, habe auf die Nachricht, daß ſich der Koͤnig im oberen
Lande befaͤnde, ſein Heer ſich hinter Wall und Graben lagern
laſſen, und werde demnaͤchſt perſoͤnlich vor Alexander erſcheinen.
Des Koͤnigs Freude war im erſten Augenblick außerordentlich,
bald genug ſank ſie in Ungeduld, in Zweifel, in groͤßere Bekuͤm-
merniß zuruͤck; umſonſt erwartete man Nearchs Ankunft, es ver-
ſtrich ein Tag nach dem andern; Boten auf Boten wurden aus-
geſandt, aber die Einen kamen zuruͤck mit dem Bericht, ſie haͤtten
nirgend Macedonier der Flotte geſehen, nirgend von ihnen Kunde
erhalten; andere Boten blieben ganz aus; endlich befahl Alexan-
der, den Hyparchen, der treuloſe Maͤhrchen geſchmiedet und mit der
Trauer des Heeres und des Koͤnigs Spott getrieben, feſt zu neh-
men und in Ketten zu legen; er ſelbſt aber war trauriger denn
zuvor, und von Leiden des Koͤrpers und der Seele bleich.
Indeß hatte der Hyparch die volle Wahrheit geſagt: wirklich
war Nearch mit ſeiner Flotte an der Karamaniſchen Kuͤſte; gluͤck-
lich hatte er ein Unternehmen, dem an Gefahren und Wundern
ſchon an ſich nichts aͤhnlich war, und das uͤberdieß durch das Zu-
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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