Wind von Süden her und staute die Wasser des Stromes auf, daß die Wellen hohl gingen und sich brandend brachen, und mehr als ein Schiff unterging, andere bedeutend beschädigt wurden; man eilte das Ufer zu gewinnen, um den Schaden so schnell und so gut wie möglich auszubessern, zugleich schickte Alexander Leicht- bewaffnete aus, um von den geflüchteten Uferanwohnern einige einfangen zu lassen, die der Gegend kundig wären. Mit diesen fuhr man am nächsten Morgen weiter; immer breiter ergoß sich der mächtige Strom zwischen den flachen und öden Ufern, und man begann die kühlere Seeluft zu spüren; der Wellenschlag im Strome wurde heftiger und das Rudern beschwerlicher, ein schar- fer Seewind wehte entgegen; es schien, von ihm zurückgedrängt, die wachsende Fluth gefährlich zu werden, und die Schiffe lenkten in einen Kanal ein, den die am vorigen Tage aufgefangenen Fi- scher zeigten. Immer schneller und mächtiger schwollen die Was- ser und mit Mühe vermochte man, die Schiffe rasch genug an Land zu bringen. Kaum aber waren die Schiffe angelegt, so be- gann der Strom eben so schnell zu fallen; die Fahrzeuge blieben zum größten Theile auf dem Trockenen oder senkten sich in den Uferschlamm; Alexander und seine Leute waren voll Staunen und Rathlosigkeit. So vergingen einige Stunden, endlich wollte man daran gehen, die Schiffe wieder flott zu machen und wo möglich das Fahrwasser zu gewinnen; siehe, da begann das gefährliche Schauspiel von Neuem, rauschend schwoll die Fluth, überfluthete den schlammigen Moor und hob die eingesunkenen Fahrzeuge mit sich empor; und immer schneller wachsend brandete sie gegen die festeren Ufer, riß die Fahrzeuge, die dorthin sich gerettet, nieder, so daß viele umstürzten, viele zerschellten und versanken; ohne Ordnung und Rettung trieben die Schiffe auf der bösen Fluth bald gegen das Land, bald gegen einander, und ihr Zusammensto- ßen war um so gefährlicher, je heftiger die schwellende Bewegung des Gewässers. Mit so vielen Gefahren und Verlusten erkaufte Alex- ander die erste Erfahrung von der Oceanischen Ebbe und Fluth, die hier, wohl noch zehn Meilen von der eigentlichen Strommün- dung, um so gewaltiger war, da sie mit der ungeheueren, gegen sie andrängenden Wassersäule des Indus zu kämpfen hatte, dessen
Wind von Suͤden her und ſtaute die Waſſer des Stromes auf, daß die Wellen hohl gingen und ſich brandend brachen, und mehr als ein Schiff unterging, andere bedeutend beſchaͤdigt wurden; man eilte das Ufer zu gewinnen, um den Schaden ſo ſchnell und ſo gut wie moͤglich auszubeſſern, zugleich ſchickte Alexander Leicht- bewaffnete aus, um von den gefluͤchteten Uferanwohnern einige einfangen zu laſſen, die der Gegend kundig waͤren. Mit dieſen fuhr man am naͤchſten Morgen weiter; immer breiter ergoß ſich der maͤchtige Strom zwiſchen den flachen und oͤden Ufern, und man begann die kuͤhlere Seeluft zu ſpuͤren; der Wellenſchlag im Strome wurde heftiger und das Rudern beſchwerlicher, ein ſchar- fer Seewind wehte entgegen; es ſchien, von ihm zuruͤckgedraͤngt, die wachſende Fluth gefaͤhrlich zu werden, und die Schiffe lenkten in einen Kanal ein, den die am vorigen Tage aufgefangenen Fi- ſcher zeigten. Immer ſchneller und maͤchtiger ſchwollen die Waſ- ſer und mit Muͤhe vermochte man, die Schiffe raſch genug an Land zu bringen. Kaum aber waren die Schiffe angelegt, ſo be- gann der Strom eben ſo ſchnell zu fallen; die Fahrzeuge blieben zum groͤßten Theile auf dem Trockenen oder ſenkten ſich in den Uferſchlamm; Alexander und ſeine Leute waren voll Staunen und Rathloſigkeit. So vergingen einige Stunden, endlich wollte man daran gehen, die Schiffe wieder flott zu machen und wo moͤglich das Fahrwaſſer zu gewinnen; ſiehe, da begann das gefaͤhrliche Schauſpiel von Neuem, rauſchend ſchwoll die Fluth, uͤberfluthete den ſchlammigen Moor und hob die eingeſunkenen Fahrzeuge mit ſich empor; und immer ſchneller wachſend brandete ſie gegen die feſteren Ufer, riß die Fahrzeuge, die dorthin ſich gerettet, nieder, ſo daß viele umſtuͤrzten, viele zerſchellten und verſanken; ohne Ordnung und Rettung trieben die Schiffe auf der boͤſen Fluth bald gegen das Land, bald gegen einander, und ihr Zuſammenſto- ßen war um ſo gefaͤhrlicher, je heftiger die ſchwellende Bewegung des Gewaͤſſers. Mit ſo vielen Gefahren und Verluſten erkaufte Alex- ander die erſte Erfahrung von der Oceaniſchen Ebbe und Fluth, die hier, wohl noch zehn Meilen von der eigentlichen Strommuͤn- dung, um ſo gewaltiger war, da ſie mit der ungeheueren, gegen ſie andraͤngenden Waſſerſaͤule des Indus zu kaͤmpfen hatte, deſſen
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Wind von Suͤden her und ſtaute die Waſſer des Stromes auf,
daß die Wellen hohl gingen und ſich brandend brachen, und mehr
als ein Schiff unterging, andere bedeutend beſchaͤdigt wurden;
man eilte das Ufer zu gewinnen, um den Schaden ſo ſchnell und
ſo gut wie moͤglich auszubeſſern, zugleich ſchickte Alexander Leicht-
bewaffnete aus, um von den gefluͤchteten Uferanwohnern einige
einfangen zu laſſen, die der Gegend kundig waͤren. Mit dieſen
fuhr man am naͤchſten Morgen weiter; immer breiter ergoß ſich
der maͤchtige Strom zwiſchen den flachen und oͤden Ufern, und
man begann die kuͤhlere Seeluft zu ſpuͤren; der Wellenſchlag im
Strome wurde heftiger und das Rudern beſchwerlicher, ein ſchar-
fer Seewind wehte entgegen; es ſchien, von ihm zuruͤckgedraͤngt,
die wachſende Fluth gefaͤhrlich zu werden, und die Schiffe lenkten
in einen Kanal ein, den die am vorigen Tage aufgefangenen Fi-
ſcher zeigten. Immer ſchneller und maͤchtiger ſchwollen die Waſ-
ſer und mit Muͤhe vermochte man, die Schiffe raſch genug an
Land zu bringen. Kaum aber waren die Schiffe angelegt, ſo be-
gann der Strom eben ſo ſchnell zu fallen; die Fahrzeuge blieben
zum groͤßten Theile auf dem Trockenen oder ſenkten ſich in den
Uferſchlamm; Alexander und ſeine Leute waren voll Staunen und
Rathloſigkeit. So vergingen einige Stunden, endlich wollte man
daran gehen, die Schiffe wieder flott zu machen und wo moͤglich
das Fahrwaſſer zu gewinnen; ſiehe, da begann das gefaͤhrliche
Schauſpiel von Neuem, rauſchend ſchwoll die Fluth, uͤberfluthete
den ſchlammigen Moor und hob die eingeſunkenen Fahrzeuge mit
ſich empor; und immer ſchneller wachſend brandete ſie gegen die
feſteren Ufer, riß die Fahrzeuge, die dorthin ſich gerettet, nieder,
ſo daß viele umſtuͤrzten, viele zerſchellten und verſanken; ohne
Ordnung und Rettung trieben die Schiffe auf der boͤſen Fluth
bald gegen das Land, bald gegen einander, und ihr Zuſammenſto-
ßen war um ſo gefaͤhrlicher, je heftiger die ſchwellende Bewegung
des Gewaͤſſers. Mit ſo vielen Gefahren und Verluſten erkaufte Alex-
ander die erſte Erfahrung von der Oceaniſchen Ebbe und Fluth,
die hier, wohl noch zehn Meilen von der eigentlichen Strommuͤn-
dung, um ſo gewaltiger war, da ſie mit der ungeheueren, gegen
ſie andraͤngenden Waſſerſaͤule des Indus zu kaͤmpfen hatte, deſſen
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/472>, abgerufen am 22.11.2024.
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