die aus Sangala Geflüchteten hatten die gräßlichsten Berichte von Alexanders Grausamkeit und dem Blutdurst seiner Soldaten mit- gebracht; an die freundlichen Worte des Eroberers glaubte niemand, man suchte sich zu retten, ehe es zu spät sei; so zogen denn die Einwohner der beiden Städte in eiliger Flucht hinweg, indem sie ihr Hab und Gut, so viel sie konnten, mit sich nahmen. Auf die Nachricht hiervon brach Alexander selbst schleunig aus Sangala auf und verfolgte die Fliehenden; aber sie hatten zu weiten Vorsprung, nur einige hundert, die vor Ermattung zurückgeblieben waren, fielen in seine Hände und büßten mit dem Leben die Widersetzlichkeit und den panischen Schrecken ihrer Mitbürger. Nach einer langen und ermüdenden Verfolgung kehrte der König nach Sangala zu- rück; die Stadt wurde dem Erdboden gleich gemacht, das Ge- biet derselben an die benachbarten Stämme, die sich freiwillig un- terworfen hatten, namentlich an die Adraisten vertheilt. Porus, der während der Belagerung von Sangala mit fünftausend Indiern und seinen Elephanten eingetroffen war, erhielt den Befehl, dieje- nigen Distrikte, die sich freiwillig unterworfen hatten, in Besitz zu nehmen und Besatzungen in ihre Städte zu legen; Alexander selbst ging in mehr südlicher Richtung vor; die übertriebenen Gerüchte von seiner Grausamkeit und von der Barbarei seiner Soldaten, welche seit dem Untergange von Sangala Alles mit Schrecken er- füllt und mehr als eine Ortschaft zu dem Entschluß, lieber käm- pfend zu sterben als sich zu unterwerfen, gebracht hatten, gaben dem Könige erwünschte Gelegenheit, seine Nachsicht und Großmuth desto erfreu- licher und siegreicher wirken zu lassen 67). Bald bedurfte es kei- nes weiteren Kampfes; wohin Alexander kam, unterwarf sich ihm die Bevölkerung. Dann betrat er das Gebiet des Fürsten Sopei- thes, dessen Herrschaft sich über die ersten Bergketten des Imaus und in die Reviere der Steinsalzlager an den Hyphasisquellen er- streckte. Das Heer nahte sich der fürstlichen Residenz, in der, man wußte es, sich Sopeithes befand; die Thore waren geschlossen, die Zinnen der Mauern und Thürme ohne Bewaffnete; man zweifelte, ob die Stadt verlassen oder Verrath zu fürchten sei. Da öffneten sich die Thore; in dem bunten und flimmernden Staate eines In-
67)Curt. IX. 1, 22. Polyän. l. c. --
die aus Sangala Gefluͤchteten hatten die graͤßlichſten Berichte von Alexanders Grauſamkeit und dem Blutdurſt ſeiner Soldaten mit- gebracht; an die freundlichen Worte des Eroberers glaubte niemand, man ſuchte ſich zu retten, ehe es zu ſpaͤt ſei; ſo zogen denn die Einwohner der beiden Staͤdte in eiliger Flucht hinweg, indem ſie ihr Hab und Gut, ſo viel ſie konnten, mit ſich nahmen. Auf die Nachricht hiervon brach Alexander ſelbſt ſchleunig aus Sangala auf und verfolgte die Fliehenden; aber ſie hatten zu weiten Vorſprung, nur einige hundert, die vor Ermattung zuruͤckgeblieben waren, fielen in ſeine Haͤnde und buͤßten mit dem Leben die Widerſetzlichkeit und den paniſchen Schrecken ihrer Mitbuͤrger. Nach einer langen und ermuͤdenden Verfolgung kehrte der Koͤnig nach Sangala zu- ruͤck; die Stadt wurde dem Erdboden gleich gemacht, das Ge- biet derſelben an die benachbarten Staͤmme, die ſich freiwillig un- terworfen hatten, namentlich an die Adraiſten vertheilt. Porus, der waͤhrend der Belagerung von Sangala mit fuͤnftauſend Indiern und ſeinen Elephanten eingetroffen war, erhielt den Befehl, dieje- nigen Diſtrikte, die ſich freiwillig unterworfen hatten, in Beſitz zu nehmen und Beſatzungen in ihre Staͤdte zu legen; Alexander ſelbſt ging in mehr ſuͤdlicher Richtung vor; die uͤbertriebenen Geruͤchte von ſeiner Grauſamkeit und von der Barbarei ſeiner Soldaten, welche ſeit dem Untergange von Sangala Alles mit Schrecken er- fuͤllt und mehr als eine Ortſchaft zu dem Entſchluß, lieber kaͤm- pfend zu ſterben als ſich zu unterwerfen, gebracht hatten, gaben dem Koͤnige erwuͤnſchte Gelegenheit, ſeine Nachſicht und Großmuth deſto erfreu- licher und ſiegreicher wirken zu laſſen 67). Bald bedurfte es kei- nes weiteren Kampfes; wohin Alexander kam, unterwarf ſich ihm die Bevoͤlkerung. Dann betrat er das Gebiet des Fuͤrſten Sopei- thes, deſſen Herrſchaft ſich uͤber die erſten Bergketten des Imaus und in die Reviere der Steinſalzlager an den Hyphaſisquellen er- ſtreckte. Das Heer nahte ſich der fuͤrſtlichen Reſidenz, in der, man wußte es, ſich Sopeithes befand; die Thore waren geſchloſſen, die Zinnen der Mauern und Thuͤrme ohne Bewaffnete; man zweifelte, ob die Stadt verlaſſen oder Verrath zu fuͤrchten ſei. Da oͤffneten ſich die Thore; in dem bunten und flimmernden Staate eines In-
67)Curt. IX. 1, 22. Polyän. l. c. —
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die aus Sangala Gefluͤchteten hatten die graͤßlichſten Berichte von
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gebracht; an die freundlichen Worte des Eroberers glaubte niemand,
man ſuchte ſich zu retten, ehe es zu ſpaͤt ſei; ſo zogen denn die
Einwohner der beiden Staͤdte in eiliger Flucht hinweg, indem ſie
ihr Hab und Gut, ſo viel ſie konnten, mit ſich nahmen. Auf die
Nachricht hiervon brach Alexander ſelbſt ſchleunig aus Sangala auf
und verfolgte die Fliehenden; aber ſie hatten zu weiten Vorſprung,
nur einige hundert, die vor Ermattung zuruͤckgeblieben waren, fielen
in ſeine Haͤnde und buͤßten mit dem Leben die Widerſetzlichkeit
und den paniſchen Schrecken ihrer Mitbuͤrger. Nach einer langen
und ermuͤdenden Verfolgung kehrte der Koͤnig nach Sangala zu-
ruͤck; die Stadt wurde dem Erdboden gleich gemacht, das Ge-
biet derſelben an die benachbarten Staͤmme, die ſich freiwillig un-
terworfen hatten, namentlich an die Adraiſten vertheilt. Porus, der
waͤhrend der Belagerung von Sangala mit fuͤnftauſend Indiern
und ſeinen Elephanten eingetroffen war, erhielt den Befehl, dieje-
nigen Diſtrikte, die ſich freiwillig unterworfen hatten, in Beſitz zu
nehmen und Beſatzungen in ihre Staͤdte zu legen; Alexander ſelbſt
ging in mehr ſuͤdlicher Richtung vor; die uͤbertriebenen Geruͤchte
von ſeiner Grauſamkeit und von der Barbarei ſeiner Soldaten,
welche ſeit dem Untergange von Sangala Alles mit Schrecken er-
fuͤllt und mehr als eine Ortſchaft zu dem Entſchluß, lieber kaͤm-
pfend zu ſterben als ſich zu unterwerfen, gebracht hatten, gaben dem Koͤnige
erwuͤnſchte Gelegenheit, ſeine Nachſicht und Großmuth deſto erfreu-
licher und ſiegreicher wirken zu laſſen 67). Bald bedurfte es kei-
nes weiteren Kampfes; wohin Alexander kam, unterwarf ſich ihm
die Bevoͤlkerung. Dann betrat er das Gebiet des Fuͤrſten Sopei-
thes, deſſen Herrſchaft ſich uͤber die erſten Bergketten des Imaus
und in die Reviere der Steinſalzlager an den Hyphaſisquellen er-
ſtreckte. Das Heer nahte ſich der fuͤrſtlichen Reſidenz, in der, man
wußte es, ſich Sopeithes befand; die Thore waren geſchloſſen, die
Zinnen der Mauern und Thuͤrme ohne Bewaffnete; man zweifelte,
ob die Stadt verlaſſen oder Verrath zu fuͤrchten ſei. Da oͤffneten
ſich die Thore; in dem bunten und flimmernden Staate eines In-
67) Curt. IX. 1, 22. Polyän. l. c. —
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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