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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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sich Tausende von Menschen Jahr aus, Jahr ein oben erhalten
konnten. Dorthin nun hatten sich viele Indier des flachen Landes
geflüchtet, voll Vertrauen auf die Sicherheit dieses Königssteines,
von dessen Uneinnehmbarkeit mannigfache Sagen im Schwange
waren 28). Desto nothwendiger war es für Alexander, diesen
Felsen zu erobern; er mußte den moralischen Eindruck berechnen,
den eine glückliche Unternehmung gegen Aornos auf seine Truppen
und auf die Indier zu machen nicht verfehlen konnte, er mußte
vor Allem darauf Rücksicht nehmen, daß dieser wichtige Punkt in
Feindeshand den gefährlichsten Bewegungen in seinem Rücken An-
laß und Anhalt werden konnte. Jetzt, nachdem das flache Land
umher unterworfen, nachdem es durch die feste Stellung am Indus
möglich geworden war, das Belagerungsheer stets, wie lange auch
die Belagerung währen mochte, mit Vorräthen zu versorgen, be-
gann Alexander seine eben so verwegenen wie gefährlichen Opera-
tionen. Sein unerschütterlicher Wille, diese Feste zu nehmen, war
das Einzige, was einen glücklichen Erfolg denkbar machte. Er
rückte gegen den Felsen an und bezog am Fuße desselben ein La-
ger; aber nur ein Weg führte hinauf und dieser war so geschickt
angelegt, daß er an jedem Punkte leicht und vollkommen verthei-
digt werden konnte 29). Da kam ein Greis, von seinen zwei
Söhnen begleitet, zu Alexander; er hatte lange Jahre an dem
Felsen gewohnt, er erbot sich, geheime Wege zu zeigen, auf denen
man sich den Mauern der Feste nähern könne. Der Lagide Pto-
lemäus ging, von einem leichten Corps begleitet, mit dem Indier
ab, den Felsen zu ersteigen; auf rauhen und schwierigen Fußstei-
gen gelangte er, den Barbaren unbemerkt, zu der bezeichneten

28) Hier, erzählen die Maccdonier, hätten die Siege des He-
rakles ein Ende gehabt. -- Die Geschichtschreiber Alexanders stim-
men darin überein, daß Alexander nichts weiter beabsichtigt habe,
als die Thaten des Herakles zu überbieten; er hatte längst Größe-
res gethan. Aornos (Renas bei Bohlen 1. 143.) muß das Ostende jener
Berglinie sein, die sich längs dem linken Ufer des Kophen vom Sua-
stus bis Indus hinzicht, und nordwärts sich in die Ebene Tschumle
hinabsenkt, s. Elphinstone II. p. 9.
29) Diod. XVII. 85. Curt.
VIII. II.
3.

ſich Tauſende von Menſchen Jahr aus, Jahr ein oben erhalten
konnten. Dorthin nun hatten ſich viele Indier des flachen Landes
gefluͤchtet, voll Vertrauen auf die Sicherheit dieſes Koͤnigsſteines,
von deſſen Uneinnehmbarkeit mannigfache Sagen im Schwange
waren 28). Deſto nothwendiger war es fuͤr Alexander, dieſen
Felſen zu erobern; er mußte den moraliſchen Eindruck berechnen,
den eine gluͤckliche Unternehmung gegen Aornos auf ſeine Truppen
und auf die Indier zu machen nicht verfehlen konnte, er mußte
vor Allem darauf Ruͤckſicht nehmen, daß dieſer wichtige Punkt in
Feindeshand den gefaͤhrlichſten Bewegungen in ſeinem Ruͤcken An-
laß und Anhalt werden konnte. Jetzt, nachdem das flache Land
umher unterworfen, nachdem es durch die feſte Stellung am Indus
moͤglich geworden war, das Belagerungsheer ſtets, wie lange auch
die Belagerung waͤhren mochte, mit Vorraͤthen zu verſorgen, be-
gann Alexander ſeine eben ſo verwegenen wie gefaͤhrlichen Opera-
tionen. Sein unerſchuͤtterlicher Wille, dieſe Feſte zu nehmen, war
das Einzige, was einen gluͤcklichen Erfolg denkbar machte. Er
ruͤckte gegen den Felſen an und bezog am Fuße deſſelben ein La-
ger; aber nur ein Weg fuͤhrte hinauf und dieſer war ſo geſchickt
angelegt, daß er an jedem Punkte leicht und vollkommen verthei-
digt werden konnte 29). Da kam ein Greis, von ſeinen zwei
Soͤhnen begleitet, zu Alexander; er hatte lange Jahre an dem
Felſen gewohnt, er erbot ſich, geheime Wege zu zeigen, auf denen
man ſich den Mauern der Feſte naͤhern koͤnne. Der Lagide Pto-
lemaͤus ging, von einem leichten Corps begleitet, mit dem Indier
ab, den Felſen zu erſteigen; auf rauhen und ſchwierigen Fußſtei-
gen gelangte er, den Barbaren unbemerkt, zu der bezeichneten

28) Hier, erzaͤhlen die Maccdonier, haͤtten die Siege des He-
rakles ein Ende gehabt. — Die Geſchichtſchreiber Alexanders ſtim-
men darin uͤberein, daß Alexander nichts weiter beabſichtigt habe,
als die Thaten des Herakles zu uͤberbieten; er hatte laͤngſt Groͤße-
res gethan. Aornos (Renas bei Bohlen 1. 143.) muß das Oſtende jener
Berglinie ſein, die ſich laͤngs dem linken Ufer des Kophen vom Sua-
ſtus bis Indus hinzicht, und nordwaͤrts ſich in die Ebene Tſchumle
hinabſenkt, ſ. Elphinstone II. p. 9.
29) Diod. XVII. 85. Curt.
VIII. II.
3.
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[377/0391] ſich Tauſende von Menſchen Jahr aus, Jahr ein oben erhalten konnten. Dorthin nun hatten ſich viele Indier des flachen Landes gefluͤchtet, voll Vertrauen auf die Sicherheit dieſes Koͤnigsſteines, von deſſen Uneinnehmbarkeit mannigfache Sagen im Schwange waren 28). Deſto nothwendiger war es fuͤr Alexander, dieſen Felſen zu erobern; er mußte den moraliſchen Eindruck berechnen, den eine gluͤckliche Unternehmung gegen Aornos auf ſeine Truppen und auf die Indier zu machen nicht verfehlen konnte, er mußte vor Allem darauf Ruͤckſicht nehmen, daß dieſer wichtige Punkt in Feindeshand den gefaͤhrlichſten Bewegungen in ſeinem Ruͤcken An- laß und Anhalt werden konnte. Jetzt, nachdem das flache Land umher unterworfen, nachdem es durch die feſte Stellung am Indus moͤglich geworden war, das Belagerungsheer ſtets, wie lange auch die Belagerung waͤhren mochte, mit Vorraͤthen zu verſorgen, be- gann Alexander ſeine eben ſo verwegenen wie gefaͤhrlichen Opera- tionen. Sein unerſchuͤtterlicher Wille, dieſe Feſte zu nehmen, war das Einzige, was einen gluͤcklichen Erfolg denkbar machte. Er ruͤckte gegen den Felſen an und bezog am Fuße deſſelben ein La- ger; aber nur ein Weg fuͤhrte hinauf und dieſer war ſo geſchickt angelegt, daß er an jedem Punkte leicht und vollkommen verthei- digt werden konnte 29). Da kam ein Greis, von ſeinen zwei Soͤhnen begleitet, zu Alexander; er hatte lange Jahre an dem Felſen gewohnt, er erbot ſich, geheime Wege zu zeigen, auf denen man ſich den Mauern der Feſte naͤhern koͤnne. Der Lagide Pto- lemaͤus ging, von einem leichten Corps begleitet, mit dem Indier ab, den Felſen zu erſteigen; auf rauhen und ſchwierigen Fußſtei- gen gelangte er, den Barbaren unbemerkt, zu der bezeichneten 28) Hier, erzaͤhlen die Maccdonier, haͤtten die Siege des He- rakles ein Ende gehabt. — Die Geſchichtſchreiber Alexanders ſtim- men darin uͤberein, daß Alexander nichts weiter beabſichtigt habe, als die Thaten des Herakles zu uͤberbieten; er hatte laͤngſt Groͤße- res gethan. Aornos (Renas bei Bohlen 1. 143.) muß das Oſtende jener Berglinie ſein, die ſich laͤngs dem linken Ufer des Kophen vom Sua- ſtus bis Indus hinzicht, und nordwaͤrts ſich in die Ebene Tſchumle hinabſenkt, ſ. Elphinstone II. p. 9. 29) Diod. XVII. 85. Curt. VIII. II. 3.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/391>, abgerufen am 24.11.2024.