bahn zu beginnen; sie waren im Felde seine Begleitung, sie hat- ten die Nachtwache vor dem Königszelte, sie führten ihm das Pferd vor und huben ihn in den Bügel, sie waren um ihn bei Tafel und auf der Jagd; sie standen unmittelbar unter seiner Obhut, und nur er durfte sie strafen; er sorgte ihrer hohen Geburt und den hohen Anforderungen ihrer künftigen Stellung angemessen für ihre wissen- schaftliche Ausbildung, und namentlich für sie waren berühmte Griechische Gelehrte im königlichen Gefolge. Unter diesen jungen Adlichen war Hermolaus, der Sohn des Sopolis, des Befehlshe- bers vom Amphivolitischen Geschwader, desselben, der von Nau- taka aus auf Werbung nach Macedonien gesandt war 86). Her- molaus, ein eifriger Verehrer des Kallisthenes und seiner Philoso- phie, hatte, so scheint es, die strengen Ansichten und republikanischen Theorien seines Lehrers mit Begeisterung aufgefaßt, mit jugendlichen Unwillen sah er diese Vermischung des Persischen und Macedoni- schen Wesens, deren Nothwendigkeit er nicht begriff; das Selbstge- fühl besserer Einsicht und der Trotz des unterdrückten Rechtes ver- leiteten ihn zu einer eben so unbesonnenen wie zwecklosen That. Bei einer Jagd, als ein Eber auf die Wildbahn kam, und den Könige, der nach der Hofsitte den ersten Wurf hatte, vor den Speer rannte, erlaubte sich der junge Mann den ersten Wurf und erlegte das Thier; ein Dienstvergehen, das Alexander unter anderen Umständen vielleicht nicht beachtet hätte, bei Hermolaus aber als absichtlich ansah und demgemäß bestrafte, indem er ihn züchtigen und ihm sein Pferd nehmen ließ. Hermolaus war auf das Hes- tigste empört; Kallisthenes schürte das Feuer seines Ingrimms mit dem bitteren Troste: er sei ja ein Mann; dann sprach er ihm von dem Ruhme des Harmodius, der den einen Tyrannen ermordet habe 87); und der auf goldenem Bette ruhe, sei ein Mensch ver-
86) Eines Effektes Willen läßt Curtius den Sopolis nicht ab- gereiset sein, wie doch Arrian ausdrücklich berichtet.
87) Diese auf verschiedene Namen erzählte Geschichte paßt hierher eben so gut wie auf Philipps Mörder Pausanias. Wenn nach Plutarch Kallisthe- nes diese Aeusserung gegen Philotas that, so ist natürlich nicht Parmenions Sohn, sondern der Thracier gemeint. Cf. Diog Laert. IV. 2. 6. c. intpp.
bahn zu beginnen; ſie waren im Felde ſeine Begleitung, ſie hat- ten die Nachtwache vor dem Koͤnigszelte, ſie fuͤhrten ihm das Pferd vor und huben ihn in den Buͤgel, ſie waren um ihn bei Tafel und auf der Jagd; ſie ſtanden unmittelbar unter ſeiner Obhut, und nur er durfte ſie ſtrafen; er ſorgte ihrer hohen Geburt und den hohen Anforderungen ihrer kuͤnftigen Stellung angemeſſen fuͤr ihre wiſſen- ſchaftliche Ausbildung, und namentlich fuͤr ſie waren beruͤhmte Griechiſche Gelehrte im koͤniglichen Gefolge. Unter dieſen jungen Adlichen war Hermolaus, der Sohn des Sopolis, des Befehlshe- bers vom Amphivolitiſchen Geſchwader, deſſelben, der von Nau- taka aus auf Werbung nach Macedonien geſandt war 86). Her- molaus, ein eifriger Verehrer des Kalliſthenes und ſeiner Philoſo- phie, hatte, ſo ſcheint es, die ſtrengen Anſichten und republikaniſchen Theorien ſeines Lehrers mit Begeiſterung aufgefaßt, mit jugendlichen Unwillen ſah er dieſe Vermiſchung des Perſiſchen und Macedoni- ſchen Weſens, deren Nothwendigkeit er nicht begriff; das Selbſtge- fuͤhl beſſerer Einſicht und der Trotz des unterdruͤckten Rechtes ver- leiteten ihn zu einer eben ſo unbeſonnenen wie zweckloſen That. Bei einer Jagd, als ein Eber auf die Wildbahn kam, und den Koͤnige, der nach der Hofſitte den erſten Wurf hatte, vor den Speer rannte, erlaubte ſich der junge Mann den erſten Wurf und erlegte das Thier; ein Dienſtvergehen, das Alexander unter anderen Umſtaͤnden vielleicht nicht beachtet haͤtte, bei Hermolaus aber als abſichtlich anſah und demgemaͤß beſtrafte, indem er ihn zuͤchtigen und ihm ſein Pferd nehmen ließ. Hermolaus war auf das Heſ- tigſte empoͤrt; Kalliſthenes ſchuͤrte das Feuer ſeines Ingrimms mit dem bitteren Troſte: er ſei ja ein Mann; dann ſprach er ihm von dem Ruhme des Harmodius, der den einen Tyrannen ermordet habe 87); und der auf goldenem Bette ruhe, ſei ein Menſch ver-
86) Eines Effektes Willen laͤßt Curtius den Sopolis nicht ab- gereiſet ſein, wie doch Arrian ausdruͤcklich berichtet.
87) Dieſe auf verſchiedene Namen erzaͤhlte Geſchichte paßt hierher eben ſo gut wie auf Philipps Moͤrder Pauſanias. Wenn nach Plutarch Kalliſthe- nes dieſe Aeuſſerung gegen Philotas that, ſo iſt natuͤrlich nicht Parmenions Sohn, ſondern der Thracier gemeint. Cf. Diog Laert. IV. 2. 6. c. intpp.
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er durfte ſie ſtrafen; er ſorgte ihrer hohen Geburt und den hohen
Anforderungen ihrer kuͤnftigen Stellung angemeſſen fuͤr ihre wiſſen-
ſchaftliche Ausbildung, und namentlich fuͤr ſie waren beruͤhmte
Griechiſche Gelehrte im koͤniglichen Gefolge. Unter dieſen jungen
Adlichen war Hermolaus, der Sohn des Sopolis, des Befehlshe-
bers vom Amphivolitiſchen Geſchwader, deſſelben, der von Nau-
taka aus auf Werbung nach Macedonien geſandt war 86). Her-
molaus, ein eifriger Verehrer des Kalliſthenes und ſeiner Philoſo-
phie, hatte, ſo ſcheint es, die ſtrengen Anſichten und republikaniſchen
Theorien ſeines Lehrers mit Begeiſterung aufgefaßt, mit jugendlichen
Unwillen ſah er dieſe Vermiſchung des Perſiſchen und Macedoni-
ſchen Weſens, deren Nothwendigkeit er nicht begriff; das Selbſtge-
fuͤhl beſſerer Einſicht und der Trotz des unterdruͤckten Rechtes ver-
leiteten ihn zu einer eben ſo unbeſonnenen wie zweckloſen That.
Bei einer Jagd, als ein Eber auf die Wildbahn kam, und den
Koͤnige, der nach der Hofſitte den erſten Wurf hatte, vor den
Speer rannte, erlaubte ſich der junge Mann den erſten Wurf und
erlegte das Thier; ein Dienſtvergehen, das Alexander unter anderen
Umſtaͤnden vielleicht nicht beachtet haͤtte, bei Hermolaus aber als
abſichtlich anſah und demgemaͤß beſtrafte, indem er ihn zuͤchtigen
und ihm ſein Pferd nehmen ließ. Hermolaus war auf das Heſ-
tigſte empoͤrt; Kalliſthenes ſchuͤrte das Feuer ſeines Ingrimms mit
dem bitteren Troſte: er ſei ja ein Mann; dann ſprach er ihm von
dem Ruhme des Harmodius, der den einen Tyrannen ermordet
habe 87); und der auf goldenem Bette ruhe, ſei ein Menſch ver-
86) Eines Effektes Willen laͤßt Curtius den Sopolis nicht ab-
gereiſet ſein, wie doch Arrian ausdruͤcklich berichtet.
87) Dieſe
auf verſchiedene Namen erzaͤhlte Geſchichte paßt hierher eben ſo gut
wie auf Philipps Moͤrder Pauſanias. Wenn nach Plutarch Kalliſthe-
nes dieſe Aeuſſerung gegen Philotas that, ſo iſt natuͤrlich nicht
Parmenions Sohn, ſondern der Thracier gemeint. Cf. Diog Laert.
IV. 2. 6. c. intpp.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/368>, abgerufen am 29.11.2024.
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