niel und die überschwengliche Pracht des Hofes, die der Morgen- länder als das "Gewand des Staates" (Libas-i-daulet) an seinem Gebieter zu sehn fordert, darum endlich das Mährchen von des Königs göttlicher Abstammung, über die er selbst mit seinen Ver- trauten scherzte; es war dieß eine ähnliche Illusion, wie die heroi- sche Abstammung altgriechischer, wie das "von Gottes Gnaden" der christlichen Könige. Die Macedonier ihrer Seits hatten längst über die Reichthümer Asiens, über das neue wunderreiche Leben, das sich mit jedem Tage herrlicher erschloß, über die stete Mühe des Heerdienstes und den steten Taumel des Sieges, des Ruhmes und der Herrschaft jene altväterische Einfalt aufgegeben, die vor einem Jahrzehent noch der Spott der Attischen Rednerbühne ge- wesen war; die Begeisterung für ihren König, der nach wie vor unter ihnen kämpfte, der wunderbare Glanz seiner Herrlichkeit, in deren Wiederschein sie sich sonnten, der unendliche Reiz des Herr- seins, das jedem in seiner Sphäre hohes Selbstgefühl und die Be- gier zu neuen Thaten gab, hatte sie längst vergessen lassen, daß sie friedliche Bürger in der Heimath sein konnten. Und in der Hei- math das Macedonische Volk, in schnellem Aufschwung auf der Höhe des geschichtlichen Lebens, es hörte der Heimkehrenden wun- derbare Erzählungen, es sah die Reichthümer Asiens dem Vater- lande zuströmen, es fühlte sich als das erste Volk der Welt, und die Hoheit des Königthums, das einst nah und vertraulich auf Einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und Indien, ins Unendliche. -- Was das Griechenthum anlangt, so mußte es als Volk im Verhältniß des ungeheueren Reiches ver- schwinden; desto wichtiger war es, wie sich die Griechische Bildung, der Alexander die Wege nach Asien öffnete, zu dem Neuen ver- hielt; ihr Charakter war der der Aufklärung, längst war die alte Religiosität, der Glaube an Orakel, Opfer und Götter erschüt- tert; gebildet zu sein galt höher, als tugendhaft sein; Frivolität, Selbstsucht und die Begierde, sich irgendwie hervorzuthun, das wa- ren die bewegenden und maaßgebenden Richtungen in dem Leben der Einzelnen, das die Leidenschaften, die so lange jede Vereinigung ge- hindert und die Zerwürfnisse immerfort gesteigert hatten, bis Ale- xanders Züge jeder Kraft und jeder Begierde ein unendliches Feld
niel und die uͤberſchwengliche Pracht des Hofes, die der Morgen- laͤnder als das „Gewand des Staates“ (Libas-i-daulet) an ſeinem Gebieter zu ſehn fordert, darum endlich das Maͤhrchen von des Koͤnigs goͤttlicher Abſtammung, uͤber die er ſelbſt mit ſeinen Ver- trauten ſcherzte; es war dieß eine aͤhnliche Illuſion, wie die heroi- ſche Abſtammung altgriechiſcher, wie das „von Gottes Gnaden“ der chriſtlichen Koͤnige. Die Macedonier ihrer Seits hatten laͤngſt uͤber die Reichthuͤmer Aſiens, uͤber das neue wunderreiche Leben, das ſich mit jedem Tage herrlicher erſchloß, uͤber die ſtete Muͤhe des Heerdienſtes und den ſteten Taumel des Sieges, des Ruhmes und der Herrſchaft jene altvaͤteriſche Einfalt aufgegeben, die vor einem Jahrzehent noch der Spott der Attiſchen Rednerbuͤhne ge- weſen war; die Begeiſterung fuͤr ihren Koͤnig, der nach wie vor unter ihnen kaͤmpfte, der wunderbare Glanz ſeiner Herrlichkeit, in deren Wiederſchein ſie ſich ſonnten, der unendliche Reiz des Herr- ſeins, das jedem in ſeiner Sphaͤre hohes Selbſtgefuͤhl und die Be- gier zu neuen Thaten gab, hatte ſie laͤngſt vergeſſen laſſen, daß ſie friedliche Buͤrger in der Heimath ſein konnten. Und in der Hei- math das Macedoniſche Volk, in ſchnellem Aufſchwung auf der Hoͤhe des geſchichtlichen Lebens, es hoͤrte der Heimkehrenden wun- derbare Erzaͤhlungen, es ſah die Reichthuͤmer Aſiens dem Vater- lande zuſtroͤmen, es fuͤhlte ſich als das erſte Volk der Welt, und die Hoheit des Koͤnigthums, das einſt nah und vertraulich auf Einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und Indien, ins Unendliche. — Was das Griechenthum anlangt, ſo mußte es als Volk im Verhaͤltniß des ungeheueren Reiches ver- ſchwinden; deſto wichtiger war es, wie ſich die Griechiſche Bildung, der Alexander die Wege nach Aſien oͤffnete, zu dem Neuen ver- hielt; ihr Charakter war der der Aufklaͤrung, laͤngſt war die alte Religioſitaͤt, der Glaube an Orakel, Opfer und Goͤtter erſchuͤt- tert; gebildet zu ſein galt hoͤher, als tugendhaft ſein; Frivolitaͤt, Selbſtſucht und die Begierde, ſich irgendwie hervorzuthun, das wa- ren die bewegenden und maaßgebenden Richtungen in dem Leben der Einzelnen, das die Leidenſchaften, die ſo lange jede Vereinigung ge- hindert und die Zerwuͤrfniſſe immerfort geſteigert hatten, bis Ale- xanders Zuͤge jeder Kraft und jeder Begierde ein unendliches Feld
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0361"n="347"/>
niel und die uͤberſchwengliche Pracht des Hofes, die der Morgen-<lb/>
laͤnder als das „Gewand des Staates“ (Libas-i-daulet) an ſeinem<lb/>
Gebieter zu ſehn fordert, darum endlich das Maͤhrchen von des<lb/>
Koͤnigs goͤttlicher Abſtammung, uͤber die er ſelbſt mit ſeinen Ver-<lb/>
trauten ſcherzte; es war dieß eine aͤhnliche Illuſion, wie die heroi-<lb/>ſche Abſtammung altgriechiſcher, wie das „von Gottes Gnaden“<lb/>
der chriſtlichen Koͤnige. Die Macedonier ihrer Seits hatten laͤngſt<lb/>
uͤber die Reichthuͤmer Aſiens, uͤber das neue wunderreiche Leben,<lb/>
das ſich mit jedem Tage herrlicher erſchloß, uͤber die ſtete Muͤhe<lb/>
des Heerdienſtes und den ſteten Taumel des Sieges, des Ruhmes<lb/>
und der Herrſchaft jene altvaͤteriſche Einfalt aufgegeben, die vor<lb/>
einem Jahrzehent noch der Spott der Attiſchen Rednerbuͤhne ge-<lb/>
weſen war; die Begeiſterung fuͤr ihren Koͤnig, der nach wie vor<lb/>
unter ihnen kaͤmpfte, der wunderbare Glanz ſeiner Herrlichkeit, in<lb/>
deren Wiederſchein ſie ſich ſonnten, der unendliche Reiz des Herr-<lb/>ſeins, das jedem in ſeiner Sphaͤre hohes Selbſtgefuͤhl und die Be-<lb/>
gier zu neuen Thaten gab, hatte ſie laͤngſt vergeſſen laſſen, daß ſie<lb/>
friedliche Buͤrger in der Heimath ſein konnten. Und in der Hei-<lb/>
math das Macedoniſche Volk, in ſchnellem Aufſchwung auf der<lb/>
Hoͤhe des geſchichtlichen Lebens, es hoͤrte der Heimkehrenden wun-<lb/>
derbare Erzaͤhlungen, es ſah die Reichthuͤmer Aſiens dem Vater-<lb/>
lande zuſtroͤmen, es fuͤhlte ſich als das erſte Volk der Welt,<lb/>
und die Hoheit des Koͤnigthums, das einſt nah und vertraulich<lb/>
auf Einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die<lb/>
Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und<lb/>
Indien, ins Unendliche. — Was das Griechenthum anlangt, ſo<lb/>
mußte es als Volk im Verhaͤltniß des ungeheueren Reiches ver-<lb/>ſchwinden; deſto wichtiger war es, wie ſich die Griechiſche Bildung,<lb/>
der Alexander die Wege nach Aſien oͤffnete, zu dem Neuen ver-<lb/>
hielt; ihr Charakter war der der Aufklaͤrung, laͤngſt war die alte<lb/>
Religioſitaͤt, der Glaube an Orakel, Opfer und Goͤtter erſchuͤt-<lb/>
tert; gebildet zu ſein galt hoͤher, als tugendhaft ſein; Frivolitaͤt,<lb/>
Selbſtſucht und die Begierde, ſich irgendwie hervorzuthun, das wa-<lb/>
ren die bewegenden und maaßgebenden Richtungen in dem Leben der<lb/>
Einzelnen, das die Leidenſchaften, die ſo lange jede Vereinigung ge-<lb/>
hindert und die Zerwuͤrfniſſe immerfort geſteigert hatten, bis Ale-<lb/>
xanders Zuͤge jeder Kraft und jeder Begierde ein unendliches Feld<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[347/0361]
niel und die uͤberſchwengliche Pracht des Hofes, die der Morgen-
laͤnder als das „Gewand des Staates“ (Libas-i-daulet) an ſeinem
Gebieter zu ſehn fordert, darum endlich das Maͤhrchen von des
Koͤnigs goͤttlicher Abſtammung, uͤber die er ſelbſt mit ſeinen Ver-
trauten ſcherzte; es war dieß eine aͤhnliche Illuſion, wie die heroi-
ſche Abſtammung altgriechiſcher, wie das „von Gottes Gnaden“
der chriſtlichen Koͤnige. Die Macedonier ihrer Seits hatten laͤngſt
uͤber die Reichthuͤmer Aſiens, uͤber das neue wunderreiche Leben,
das ſich mit jedem Tage herrlicher erſchloß, uͤber die ſtete Muͤhe
des Heerdienſtes und den ſteten Taumel des Sieges, des Ruhmes
und der Herrſchaft jene altvaͤteriſche Einfalt aufgegeben, die vor
einem Jahrzehent noch der Spott der Attiſchen Rednerbuͤhne ge-
weſen war; die Begeiſterung fuͤr ihren Koͤnig, der nach wie vor
unter ihnen kaͤmpfte, der wunderbare Glanz ſeiner Herrlichkeit, in
deren Wiederſchein ſie ſich ſonnten, der unendliche Reiz des Herr-
ſeins, das jedem in ſeiner Sphaͤre hohes Selbſtgefuͤhl und die Be-
gier zu neuen Thaten gab, hatte ſie laͤngſt vergeſſen laſſen, daß ſie
friedliche Buͤrger in der Heimath ſein konnten. Und in der Hei-
math das Macedoniſche Volk, in ſchnellem Aufſchwung auf der
Hoͤhe des geſchichtlichen Lebens, es hoͤrte der Heimkehrenden wun-
derbare Erzaͤhlungen, es ſah die Reichthuͤmer Aſiens dem Vater-
lande zuſtroͤmen, es fuͤhlte ſich als das erſte Volk der Welt,
und die Hoheit des Koͤnigthums, das einſt nah und vertraulich
auf Einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die
Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und
Indien, ins Unendliche. — Was das Griechenthum anlangt, ſo
mußte es als Volk im Verhaͤltniß des ungeheueren Reiches ver-
ſchwinden; deſto wichtiger war es, wie ſich die Griechiſche Bildung,
der Alexander die Wege nach Aſien oͤffnete, zu dem Neuen ver-
hielt; ihr Charakter war der der Aufklaͤrung, laͤngſt war die alte
Religioſitaͤt, der Glaube an Orakel, Opfer und Goͤtter erſchuͤt-
tert; gebildet zu ſein galt hoͤher, als tugendhaft ſein; Frivolitaͤt,
Selbſtſucht und die Begierde, ſich irgendwie hervorzuthun, das wa-
ren die bewegenden und maaßgebenden Richtungen in dem Leben der
Einzelnen, das die Leidenſchaften, die ſo lange jede Vereinigung ge-
hindert und die Zerwuͤrfniſſe immerfort geſteigert hatten, bis Ale-
xanders Zuͤge jeder Kraft und jeder Begierde ein unendliches Feld
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/361>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.