Sechstes Kapitel. Der Feldzug in Ariana und Turan.
Um die Zeit der Spartanischen Niederlage stand Alexander in Hyr- kanien, am Nordabhange jenes Gebirgwalles, der Iran und Turan von einander scheidet, vor ihm die Wege nach Baktrien und Indien, nach dem unbekannten Meere, das er jenseits beider Länder als Grenze seines Reiches zu finden hoffte, hinter ihm die Hälfte des Perserreichs, und Hunderte von Meilen rückwärts die Hellenische Hei- math. Er wußte von Agis Kämpfen, vom Abfall der Peloponnesischen Staaten, von der unsichern Stimmung im übrigen Griechenland, welche die Alternativen des Kriegsglückes doppelt gefährlich machte; er kannte die Macht seines Gegners und dessen Vorsicht, dessen Thätigkeit. Und doch ging er weiter und weiter gen Osten, ohne Unterstützung an Antipater abzusenden oder günstige Nachrichten abzuwarten. Wenn nun Agis gesiegt hätte? oder trotzte Alexander auf sein Glück? verachtete er die Gefahr, der er nicht mehr begeg- nen konnte? wagte er nicht, um Griechenland zu retten, die Königs- mörder mit halb soviel Truppen zu verfolgen, als zu den Siegen von Issus und Arbela hingereicht hatten? Nichts von alle dem; einst war freilich Griechenlands Ruhe und die Anerkenntniß der Macedo- nischen Hegemonie die wesentliche Grundlage seiner Macht und sei- ner Siege gewesen; jetzt garantirten ihm seine Siege die Ruhe Griechenlands, und der Besitz Asiens die Anerkenntniß einer Hege- monie, die ihm streitig zu machen mehr thöricht als gefährlich gewe- sen wäre. Unterlag Antipater, so waren die Satrapen in Lydien und Phrygien, in Syrien und Aegypten bereit, nicht Erde und Wasser, wohl aber Genugthuung für Treubruch und Verrath im
Sechstes Kapitel. Der Feldzug in Ariana und Turan.
Um die Zeit der Spartaniſchen Niederlage ſtand Alexander in Hyr- kanien, am Nordabhange jenes Gebirgwalles, der Iran und Turan von einander ſcheidet, vor ihm die Wege nach Baktrien und Indien, nach dem unbekannten Meere, das er jenſeits beider Länder als Grenze ſeines Reiches zu finden hoffte, hinter ihm die Hälfte des Perſerreichs, und Hunderte von Meilen rückwärts die Helleniſche Hei- math. Er wußte von Agis Kämpfen, vom Abfall der Peloponneſiſchen Staaten, von der unſichern Stimmung im übrigen Griechenland, welche die Alternativen des Kriegsglückes doppelt gefährlich machte; er kannte die Macht ſeines Gegners und deſſen Vorſicht, deſſen Thätigkeit. Und doch ging er weiter und weiter gen Oſten, ohne Unterſtützung an Antipater abzuſenden oder günſtige Nachrichten abzuwarten. Wenn nun Agis geſiegt hätte? oder trotzte Alexander auf ſein Glück? verachtete er die Gefahr, der er nicht mehr begeg- nen konnte? wagte er nicht, um Griechenland zu retten, die Königs- mörder mit halb ſoviel Truppen zu verfolgen, als zu den Siegen von Iſſus und Arbela hingereicht hatten? Nichts von alle dem; einſt war freilich Griechenlands Ruhe und die Anerkenntniß der Macedo- niſchen Hegemonie die weſentliche Grundlage ſeiner Macht und ſei- ner Siege geweſen; jetzt garantirten ihm ſeine Siege die Ruhe Griechenlands, und der Beſitz Aſiens die Anerkenntniß einer Hege- monie, die ihm ſtreitig zu machen mehr thöricht als gefährlich gewe- ſen wäre. Unterlag Antipater, ſo waren die Satrapen in Lydien und Phrygien, in Syrien und Aegypten bereit, nicht Erde und Waſſer, wohl aber Genugthuung für Treubruch und Verrath im
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0293"n="[279]"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Sechstes Kapitel</hi>.<lb/>
Der Feldzug in Ariana und Turan.</head><lb/><p><hirendition="#in">U</hi>m die Zeit der Spartaniſchen Niederlage ſtand Alexander in Hyr-<lb/>
kanien, am Nordabhange jenes Gebirgwalles, der Iran und Turan<lb/>
von einander ſcheidet, vor ihm die Wege nach Baktrien und Indien,<lb/>
nach dem unbekannten Meere, das er jenſeits beider Länder als<lb/>
Grenze ſeines Reiches zu finden hoffte, hinter ihm die Hälfte des<lb/>
Perſerreichs, und Hunderte von Meilen rückwärts die Helleniſche Hei-<lb/>
math. Er wußte von Agis Kämpfen, vom Abfall der Peloponneſiſchen<lb/>
Staaten, von der unſichern Stimmung im übrigen Griechenland,<lb/>
welche die Alternativen des Kriegsglückes doppelt gefährlich machte;<lb/>
er kannte die Macht ſeines Gegners und deſſen Vorſicht, deſſen<lb/>
Thätigkeit. Und doch ging er weiter und weiter gen Oſten, ohne<lb/>
Unterſtützung an Antipater abzuſenden oder günſtige Nachrichten<lb/>
abzuwarten. Wenn nun Agis geſiegt hätte? oder trotzte Alexander<lb/>
auf ſein Glück? verachtete er die Gefahr, der er nicht mehr begeg-<lb/>
nen konnte? wagte er nicht, um Griechenland zu retten, die Königs-<lb/>
mörder mit halb ſoviel Truppen zu verfolgen, als zu den Siegen<lb/>
von Iſſus und Arbela hingereicht hatten? Nichts von alle dem; einſt<lb/>
war freilich Griechenlands Ruhe und die Anerkenntniß der Macedo-<lb/>
niſchen Hegemonie die weſentliche Grundlage ſeiner Macht und ſei-<lb/>
ner Siege geweſen; jetzt garantirten ihm ſeine Siege die Ruhe<lb/>
Griechenlands, und der Beſitz Aſiens die Anerkenntniß einer Hege-<lb/>
monie, die ihm ſtreitig zu machen mehr thöricht als gefährlich gewe-<lb/>ſen wäre. Unterlag Antipater, ſo waren die Satrapen in Lydien<lb/>
und Phrygien, in Syrien und Aegypten bereit, nicht Erde und<lb/>
Waſſer, wohl aber Genugthuung für Treubruch und Verrath im<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[279]/0293]
Sechstes Kapitel.
Der Feldzug in Ariana und Turan.
Um die Zeit der Spartaniſchen Niederlage ſtand Alexander in Hyr-
kanien, am Nordabhange jenes Gebirgwalles, der Iran und Turan
von einander ſcheidet, vor ihm die Wege nach Baktrien und Indien,
nach dem unbekannten Meere, das er jenſeits beider Länder als
Grenze ſeines Reiches zu finden hoffte, hinter ihm die Hälfte des
Perſerreichs, und Hunderte von Meilen rückwärts die Helleniſche Hei-
math. Er wußte von Agis Kämpfen, vom Abfall der Peloponneſiſchen
Staaten, von der unſichern Stimmung im übrigen Griechenland,
welche die Alternativen des Kriegsglückes doppelt gefährlich machte;
er kannte die Macht ſeines Gegners und deſſen Vorſicht, deſſen
Thätigkeit. Und doch ging er weiter und weiter gen Oſten, ohne
Unterſtützung an Antipater abzuſenden oder günſtige Nachrichten
abzuwarten. Wenn nun Agis geſiegt hätte? oder trotzte Alexander
auf ſein Glück? verachtete er die Gefahr, der er nicht mehr begeg-
nen konnte? wagte er nicht, um Griechenland zu retten, die Königs-
mörder mit halb ſoviel Truppen zu verfolgen, als zu den Siegen
von Iſſus und Arbela hingereicht hatten? Nichts von alle dem; einſt
war freilich Griechenlands Ruhe und die Anerkenntniß der Macedo-
niſchen Hegemonie die weſentliche Grundlage ſeiner Macht und ſei-
ner Siege geweſen; jetzt garantirten ihm ſeine Siege die Ruhe
Griechenlands, und der Beſitz Aſiens die Anerkenntniß einer Hege-
monie, die ihm ſtreitig zu machen mehr thöricht als gefährlich gewe-
ſen wäre. Unterlag Antipater, ſo waren die Satrapen in Lydien
und Phrygien, in Syrien und Aegypten bereit, nicht Erde und
Waſſer, wohl aber Genugthuung für Treubruch und Verrath im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. [279]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/293>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.