Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

daß Athen der strengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag,
und daß es jenen Weisen zum Giftbecher verdammte, der statt der
heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend
verführte, daß sie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre
zu folgen.

Das Ende des Peloponnesischen Krieges ist ein entschei-
dender Wendepunkt in der Geschichte Griechenlands; der lineare
Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa-
ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der
Bildung und des Bewußtseins ausgeschlossen hatte, mußte sich über
alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie sie der Zeit
entsprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor-
persischen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie-
ben war, desto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrschaft,
die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde
in dasselbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die
alte Spartanerstadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorsam waren die er-
sten Forderungen ihres großen Gesetzgebers gewesen; jetzt strömten
die reichen Tribute Joniens und der Inseln nach Sparta zusam-
men, jetzt herrschten die daheim zu blindem Gehorsam Gewöhnten
in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol-
lust, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs.
Sie kämpften gegen die Perser, aber nicht in dem großartigen In-
teresse der Hellenischen Freiheit, über die sie mit dem Golde der
Barbaren triumphirt hatten; sie sandten ein Söldnerheer, mit dem
der Empörer Cyrus gegen seinen Bruder und Herrn auszog; sie
sandten an die Asiatischen Städte, die sich in ihre Arme geworfen,
Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per-
sien zu verlieren; sie sandten endlich ihren hochfahrenden König
Agesilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinasiens, den
dieser voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von
Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg
aller Hellenen angesehen wissen wollte, obschon von den größeren
Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während seiner Ab-
wesenheit eine Reaktion aus, die um so bedenklicher war, je weni-
ger Sparta selbst auf seine alten Bundesgenossen rechnen konnte;
kaum hatte Agesilaus Zeit, aus Asien zurückzukehren, um in der

daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag,
und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der
heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend
verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre
zu folgen.

Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei-
dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare
Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa-
ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der
Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über
alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit
entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor-
perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie-
ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft,
die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde
in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die
alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er-
ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten
die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam-
men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten
in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol-
luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs.
Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In-
tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der
Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem
der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie
ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen,
Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per-
ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König
Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den
dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von
Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg
aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren
Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab-
weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni-
ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte;
kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="9"/>
daß Athen der &#x017F;trengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag,<lb/>
und daß es jenen Wei&#x017F;en zum Giftbecher verdammte, der &#x017F;tatt der<lb/>
heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend<lb/>
verführte, daß &#x017F;ie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre<lb/>
zu folgen.</p><lb/>
          <p>Das Ende des <hi rendition="#g">Peloponne&#x017F;i&#x017F;chen Krieges</hi> i&#x017F;t ein ent&#x017F;chei-<lb/>
dender Wendepunkt in der Ge&#x017F;chichte Griechenlands; der lineare<lb/>
Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa-<lb/>
ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der<lb/>
Bildung und des Bewußt&#x017F;eins ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte, mußte &#x017F;ich über<lb/>
alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie &#x017F;ie der Zeit<lb/>
ent&#x017F;prach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor-<lb/>
per&#x017F;i&#x017F;chen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie-<lb/>
ben war, de&#x017F;to unnatürlicher und drückender wurde eine Herr&#x017F;chaft,<lb/>
die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde<lb/>
in da&#x017F;&#x017F;elbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die<lb/>
alte Spartaner&#x017F;tadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehor&#x017F;am waren die er-<lb/>
&#x017F;ten Forderungen ihres großen Ge&#x017F;etzgebers gewe&#x017F;en; jetzt &#x017F;trömten<lb/>
die reichen Tribute Joniens und der In&#x017F;eln nach Sparta zu&#x017F;am-<lb/>
men, jetzt herr&#x017F;chten die daheim zu blindem Gehor&#x017F;am Gewöhnten<lb/>
in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol-<lb/>
lu&#x017F;t, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs.<lb/>
Sie kämpften gegen die Per&#x017F;er, aber nicht in dem großartigen In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e der Helleni&#x017F;chen Freiheit, über die &#x017F;ie mit dem Golde der<lb/>
Barbaren triumphirt hatten; &#x017F;ie &#x017F;andten ein Söldnerheer, mit dem<lb/>
der Empörer Cyrus gegen &#x017F;einen Bruder und Herrn auszog; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;andten an die A&#x017F;iati&#x017F;chen Städte, die &#x017F;ich in ihre Arme geworfen,<lb/>
Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per-<lb/>
&#x017F;ien zu verlieren; &#x017F;ie &#x017F;andten endlich ihren hochfahrenden König<lb/>
Age&#x017F;ilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleina&#x017F;iens, den<lb/>
die&#x017F;er voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von<lb/>
Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg<lb/>
aller Hellenen ange&#x017F;ehen wi&#x017F;&#x017F;en wollte, ob&#x017F;chon von den größeren<lb/>
Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während &#x017F;einer Ab-<lb/>
we&#x017F;enheit eine Reaktion aus, die um &#x017F;o bedenklicher war, je weni-<lb/>
ger Sparta &#x017F;elb&#x017F;t auf &#x017F;eine alten Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en rechnen konnte;<lb/>
kaum hatte Age&#x017F;ilaus Zeit, aus A&#x017F;ien zurückzukehren, um in der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0023] daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag, und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre zu folgen. Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei- dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa- ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor- perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie- ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft, die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er- ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam- men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol- luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs. Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In- tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen, Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per- ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab- weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni- ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte; kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/23
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/23>, abgerufen am 18.12.2024.