Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

aus Tarsus gehen, man müsse ihn angreifen, man werde ihn ver-
nichten. Vergebens widersprach der Macedonier Amyntas: Alexan-
der werde den Persern nur zu bald entgegenrücken, sein Säumen
sei nichts als ein Vorzeichen doppelter Gefahr, um keinen Preis
dürfe man sich in die engen Thäler Ciliciens hinabwagen; das
Feld von Onchä begünstige vor allen die Persische Macht, hier
könnte die Menge siegen oder besiegt sich retten. Aber Darius,
mistrauisch gegen den Fremdling, der seinen König verrathen, durch
die Schmeichelreden seiner Großen und durch die eigenen Wünsche
berauscht, endlich durch die Unruhe der Schwäche und durch sein
Verhängniß vorwärts getrieben, beschloß die Stellung von Onchä
aufzugeben und den Feind, der ihn meide, aufzusuchen. Das un-
nöthige Heergeräth, die Harems, der größte Theil des Schatzes, kurz
Alles, was den Zug hindern konnte, wurde unter Kophenes, dem
Bruder des Admirales Pharnabazus, nach Damaskus gesandt, wäh-
rend der König, um nicht den Umweg über Myriandrus nehmen
zu brauchen, durch die Amanischen Pässe nach Cilicien einrückte
und in Issus ankam. Dies geschah an demselben Tage, da Ale-
xander nach Myriandrus gezogen war. Die Perser fanden in Is-
sus die Kranken des Macedonischen Heeres, sie wurden unter grau-
samen Martern umgebracht; die frohlockenden Barbaren meinten,
Alexander fliehe vor ihnen, sie glaubten, er sei von der Heimath
abgeschnitten, sein Untergang gewiß. Ungesäumt brachen die Völ-
ker auf, die fliehenden zu verfolgen.

Allerdings war Alexander abgeschnitten; man hat ihn der Un-
vorsichtigkeit angeklagt, daß er die Amanischen Thore nicht besetzt,
daß er keine Besatzung in Issus zurückgelassen, sondern die zurück-
bleibenden Kranken einem grausamen Feinde Preis gegeben habe;
ja sein ganzes Heer, sagt man, hätte elend untergehen müssen, wenn
die Perser eine Schlacht vermieden, das Meer durch ihre Flotte,
die Rückzugslinie Alexanders durch eine hartnäckige Defensive ge-
sperrt, jedes Vorrücken durch ihre Reuterschwärme beunruhigt und
durch Verwüstungen, wie sie Memnon gerathen, doppelt gefährlich
gemacht hätten. Alexander kannte die Persische Kriegsmacht; er
wußte, daß die Verpflegung von so vielen Hunderttausenden auf sei-
ner Marschlinie und in dem engen Cilicien auf längere Zeit eine
Unmöglichkeit sei, daß jenes Heer, nichts weniger als ein organi-

sches

aus Tarſus gehen, man müſſe ihn angreifen, man werde ihn ver-
nichten. Vergebens widerſprach der Macedonier Amyntas: Alexan-
der werde den Perſern nur zu bald entgegenrücken, ſein Säumen
ſei nichts als ein Vorzeichen doppelter Gefahr, um keinen Preis
dürfe man ſich in die engen Thäler Ciliciens hinabwagen; das
Feld von Onchä begünſtige vor allen die Perſiſche Macht, hier
könnte die Menge ſiegen oder beſiegt ſich retten. Aber Darius,
mistrauiſch gegen den Fremdling, der ſeinen König verrathen, durch
die Schmeichelreden ſeiner Großen und durch die eigenen Wünſche
berauſcht, endlich durch die Unruhe der Schwäche und durch ſein
Verhängniß vorwärts getrieben, beſchloß die Stellung von Onchä
aufzugeben und den Feind, der ihn meide, aufzuſuchen. Das un-
nöthige Heergeräth, die Harems, der größte Theil des Schatzes, kurz
Alles, was den Zug hindern konnte, wurde unter Kophenes, dem
Bruder des Admirales Pharnabazus, nach Damaskus geſandt, wäh-
rend der König, um nicht den Umweg über Myriandrus nehmen
zu brauchen, durch die Amaniſchen Päſſe nach Cilicien einrückte
und in Iſſus ankam. Dies geſchah an demſelben Tage, da Ale-
xander nach Myriandrus gezogen war. Die Perſer fanden in Iſ-
ſus die Kranken des Macedoniſchen Heeres, ſie wurden unter grau-
ſamen Martern umgebracht; die frohlockenden Barbaren meinten,
Alexander fliehe vor ihnen, ſie glaubten, er ſei von der Heimath
abgeſchnitten, ſein Untergang gewiß. Ungeſäumt brachen die Völ-
ker auf, die fliehenden zu verfolgen.

Allerdings war Alexander abgeſchnitten; man hat ihn der Un-
vorſichtigkeit angeklagt, daß er die Amaniſchen Thore nicht beſetzt,
daß er keine Beſatzung in Iſſus zurückgelaſſen, ſondern die zurück-
bleibenden Kranken einem grauſamen Feinde Preis gegeben habe;
ja ſein ganzes Heer, ſagt man, hätte elend untergehen müſſen, wenn
die Perſer eine Schlacht vermieden, das Meer durch ihre Flotte,
die Rückzugslinie Alexanders durch eine hartnäckige Defenſive ge-
ſperrt, jedes Vorrücken durch ihre Reuterſchwärme beunruhigt und
durch Verwüſtungen, wie ſie Memnon gerathen, doppelt gefährlich
gemacht hätten. Alexander kannte die Perſiſche Kriegsmacht; er
wußte, daß die Verpflegung von ſo vielen Hunderttauſenden auf ſei-
ner Marſchlinie und in dem engen Cilicien auf längere Zeit eine
Unmöglichkeit ſei, daß jenes Heer, nichts weniger als ein organi-

ſches
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="160"/>
aus Tar&#x017F;us gehen, man mü&#x017F;&#x017F;e ihn angreifen, man werde ihn ver-<lb/>
nichten. Vergebens wider&#x017F;prach der Macedonier Amyntas: Alexan-<lb/>
der werde den Per&#x017F;ern nur zu bald entgegenrücken, &#x017F;ein Säumen<lb/>
&#x017F;ei nichts als ein Vorzeichen doppelter Gefahr, um keinen Preis<lb/>
dürfe man &#x017F;ich in die engen Thäler Ciliciens hinabwagen; das<lb/>
Feld von Onchä begün&#x017F;tige vor allen die Per&#x017F;i&#x017F;che Macht, hier<lb/>
könnte die Menge &#x017F;iegen oder be&#x017F;iegt &#x017F;ich retten. Aber Darius,<lb/>
mistraui&#x017F;ch gegen den Fremdling, der &#x017F;einen König verrathen, durch<lb/>
die Schmeichelreden &#x017F;einer Großen und durch die eigenen Wün&#x017F;che<lb/>
berau&#x017F;cht, endlich durch die Unruhe der Schwäche und durch &#x017F;ein<lb/>
Verhängniß vorwärts getrieben, be&#x017F;chloß die Stellung von Onchä<lb/>
aufzugeben und den Feind, der ihn meide, aufzu&#x017F;uchen. Das un-<lb/>
nöthige Heergeräth, die Harems, der größte Theil des Schatzes, kurz<lb/>
Alles, was den Zug hindern konnte, wurde unter Kophenes, dem<lb/>
Bruder des Admirales Pharnabazus, nach Damaskus ge&#x017F;andt, wäh-<lb/>
rend der König, um nicht den Umweg über Myriandrus nehmen<lb/>
zu brauchen, durch die Amani&#x017F;chen Pä&#x017F;&#x017F;e nach Cilicien einrückte<lb/>
und in I&#x017F;&#x017F;us ankam. Dies ge&#x017F;chah an dem&#x017F;elben Tage, da Ale-<lb/>
xander nach Myriandrus gezogen war. Die Per&#x017F;er fanden in I&#x017F;-<lb/>
&#x017F;us die Kranken des Macedoni&#x017F;chen Heeres, &#x017F;ie wurden unter grau-<lb/>
&#x017F;amen Martern umgebracht; die frohlockenden Barbaren meinten,<lb/>
Alexander fliehe vor ihnen, &#x017F;ie glaubten, er &#x017F;ei von der Heimath<lb/>
abge&#x017F;chnitten, &#x017F;ein Untergang gewiß. Unge&#x017F;äumt brachen die Völ-<lb/>
ker auf, die fliehenden zu verfolgen.</p><lb/>
          <p>Allerdings war Alexander abge&#x017F;chnitten; man hat ihn der Un-<lb/>
vor&#x017F;ichtigkeit angeklagt, daß er die Amani&#x017F;chen Thore nicht be&#x017F;etzt,<lb/>
daß er keine Be&#x017F;atzung in I&#x017F;&#x017F;us zurückgela&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern die zurück-<lb/>
bleibenden Kranken einem grau&#x017F;amen Feinde Preis gegeben habe;<lb/>
ja &#x017F;ein ganzes Heer, &#x017F;agt man, hätte elend untergehen mü&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
die Per&#x017F;er eine Schlacht vermieden, das Meer durch ihre Flotte,<lb/>
die Rückzugslinie Alexanders durch eine hartnäckige Defen&#x017F;ive ge-<lb/>
&#x017F;perrt, jedes Vorrücken durch ihre Reuter&#x017F;chwärme beunruhigt und<lb/>
durch Verwü&#x017F;tungen, wie &#x017F;ie Memnon gerathen, doppelt gefährlich<lb/>
gemacht hätten. Alexander kannte die Per&#x017F;i&#x017F;che Kriegsmacht; er<lb/>
wußte, daß die Verpflegung von &#x017F;o vielen Hunderttau&#x017F;enden auf &#x017F;ei-<lb/>
ner Mar&#x017F;chlinie und in dem engen Cilicien auf längere Zeit eine<lb/>
Unmöglichkeit &#x017F;ei, daß jenes Heer, nichts weniger als ein organi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ches</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0174] aus Tarſus gehen, man müſſe ihn angreifen, man werde ihn ver- nichten. Vergebens widerſprach der Macedonier Amyntas: Alexan- der werde den Perſern nur zu bald entgegenrücken, ſein Säumen ſei nichts als ein Vorzeichen doppelter Gefahr, um keinen Preis dürfe man ſich in die engen Thäler Ciliciens hinabwagen; das Feld von Onchä begünſtige vor allen die Perſiſche Macht, hier könnte die Menge ſiegen oder beſiegt ſich retten. Aber Darius, mistrauiſch gegen den Fremdling, der ſeinen König verrathen, durch die Schmeichelreden ſeiner Großen und durch die eigenen Wünſche berauſcht, endlich durch die Unruhe der Schwäche und durch ſein Verhängniß vorwärts getrieben, beſchloß die Stellung von Onchä aufzugeben und den Feind, der ihn meide, aufzuſuchen. Das un- nöthige Heergeräth, die Harems, der größte Theil des Schatzes, kurz Alles, was den Zug hindern konnte, wurde unter Kophenes, dem Bruder des Admirales Pharnabazus, nach Damaskus geſandt, wäh- rend der König, um nicht den Umweg über Myriandrus nehmen zu brauchen, durch die Amaniſchen Päſſe nach Cilicien einrückte und in Iſſus ankam. Dies geſchah an demſelben Tage, da Ale- xander nach Myriandrus gezogen war. Die Perſer fanden in Iſ- ſus die Kranken des Macedoniſchen Heeres, ſie wurden unter grau- ſamen Martern umgebracht; die frohlockenden Barbaren meinten, Alexander fliehe vor ihnen, ſie glaubten, er ſei von der Heimath abgeſchnitten, ſein Untergang gewiß. Ungeſäumt brachen die Völ- ker auf, die fliehenden zu verfolgen. Allerdings war Alexander abgeſchnitten; man hat ihn der Un- vorſichtigkeit angeklagt, daß er die Amaniſchen Thore nicht beſetzt, daß er keine Beſatzung in Iſſus zurückgelaſſen, ſondern die zurück- bleibenden Kranken einem grauſamen Feinde Preis gegeben habe; ja ſein ganzes Heer, ſagt man, hätte elend untergehen müſſen, wenn die Perſer eine Schlacht vermieden, das Meer durch ihre Flotte, die Rückzugslinie Alexanders durch eine hartnäckige Defenſive ge- ſperrt, jedes Vorrücken durch ihre Reuterſchwärme beunruhigt und durch Verwüſtungen, wie ſie Memnon gerathen, doppelt gefährlich gemacht hätten. Alexander kannte die Perſiſche Kriegsmacht; er wußte, daß die Verpflegung von ſo vielen Hunderttauſenden auf ſei- ner Marſchlinie und in dem engen Cilicien auf längere Zeit eine Unmöglichkeit ſei, daß jenes Heer, nichts weniger als ein organi- ſches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/174
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/174>, abgerufen am 24.11.2024.