Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Sein nächster Gang ist in die Kammer, wo Bei einem größern Lager steht ein kleines; Dort kramet er am Bettchen so und so, Als öffn' er eine Flasche edlen Weines, Und gießt dann, gießt, als sei es nie genug, Und stopft und legt wie Bissen an das Tuch, Dann stoßend scheint er an den Puls zu greifen, Gebückt, als lauschend schwachen Odems Pfeifen. Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus, Scheint tröpfelnd über Arzenei'n zu bücken; Er breitet schweigend eine Decke aus, Und einen Schrein scheint er herbei zu rücken, Er horcht, dann öffnet er das Fenster schnell, Das Fenster, wo man sieht den Galgen hell, -- Der Diener spricht, man hört ein dumpf Gejammer, Das Fenster klirrt, und dunkel ist die Kammer. Scheint's nicht zu schimmern an der Scheibe dort? Siehst du es leise glimmen, Funken zittern? Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort! Mir ist, als woll' es über uns gewittern. Schau nicht zurück! Verwegner, fluch' ihm nicht! Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht! Meinst du, ein Fluch vergrößre seine Leiden? Den Dieb am Galgen möchte er beneiden! Sein nächſter Gang iſt in die Kammer, wo Bei einem größern Lager ſteht ein kleines; Dort kramet er am Bettchen ſo und ſo, Als öffn’ er eine Flaſche edlen Weines, Und gießt dann, gießt, als ſei es nie genug, Und ſtopft und legt wie Biſſen an das Tuch, Dann ſtoßend ſcheint er an den Puls zu greifen, Gebückt, als lauſchend ſchwachen Odems Pfeifen. Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus, Scheint tröpfelnd über Arzenei’n zu bücken; Er breitet ſchweigend eine Decke aus, Und einen Schrein ſcheint er herbei zu rücken, Er horcht, dann öffnet er das Fenſter ſchnell, Das Fenſter, wo man ſieht den Galgen hell, — Der Diener ſpricht, man hört ein dumpf Gejammer, Das Fenſter klirrt, und dunkel iſt die Kammer. Scheint’s nicht zu ſchimmern an der Scheibe dort? Siehſt du es leiſe glimmen, Funken zittern? Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort! Mir iſt, als woll’ es über uns gewittern. Schau nicht zurück! Verwegner, fluch’ ihm nicht! Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht! Meinſt du, ein Fluch vergrößre ſeine Leiden? Den Dieb am Galgen möchte er beneiden! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0090" n="74"/> <lg n="6"> <l>Sein nächſter Gang iſt in die Kammer, wo</l><lb/> <l>Bei einem größern Lager ſteht ein kleines;</l><lb/> <l>Dort kramet er am Bettchen ſo und ſo,</l><lb/> <l>Als öffn’ er eine Flaſche edlen Weines,</l><lb/> <l>Und gießt dann, gießt, als ſei es nie genug,</l><lb/> <l>Und ſtopft und legt wie Biſſen an das Tuch,</l><lb/> <l>Dann ſtoßend ſcheint er an den Puls zu greifen,</l><lb/> <l>Gebückt, als lauſchend ſchwachen Odems Pfeifen.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus,</l><lb/> <l>Scheint tröpfelnd über Arzenei’n zu bücken;</l><lb/> <l>Er breitet ſchweigend eine Decke aus,</l><lb/> <l>Und einen Schrein ſcheint er herbei zu rücken,</l><lb/> <l>Er horcht, dann öffnet er das Fenſter ſchnell,</l><lb/> <l>Das Fenſter, wo man ſieht den Galgen hell, —</l><lb/> <l>Der Diener ſpricht, man hört ein dumpf Gejammer,</l><lb/> <l>Das Fenſter klirrt, und dunkel iſt die Kammer.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Scheint’s nicht zu ſchimmern an der Scheibe dort?</l><lb/> <l>Siehſt du es leiſe glimmen, Funken zittern?</l><lb/> <l>Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort!</l><lb/> <l>Mir iſt, als woll’ es über uns gewittern.</l><lb/> <l>Schau nicht zurück! Verwegner, fluch’ ihm nicht!</l><lb/> <l>Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht!</l><lb/> <l>Meinſt du, ein Fluch vergrößre ſeine Leiden?</l><lb/> <l>Den Dieb am Galgen möchte er beneiden!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [74/0090]
Sein nächſter Gang iſt in die Kammer, wo
Bei einem größern Lager ſteht ein kleines;
Dort kramet er am Bettchen ſo und ſo,
Als öffn’ er eine Flaſche edlen Weines,
Und gießt dann, gießt, als ſei es nie genug,
Und ſtopft und legt wie Biſſen an das Tuch,
Dann ſtoßend ſcheint er an den Puls zu greifen,
Gebückt, als lauſchend ſchwachen Odems Pfeifen.
Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus,
Scheint tröpfelnd über Arzenei’n zu bücken;
Er breitet ſchweigend eine Decke aus,
Und einen Schrein ſcheint er herbei zu rücken,
Er horcht, dann öffnet er das Fenſter ſchnell,
Das Fenſter, wo man ſieht den Galgen hell, —
Der Diener ſpricht, man hört ein dumpf Gejammer,
Das Fenſter klirrt, und dunkel iſt die Kammer.
Scheint’s nicht zu ſchimmern an der Scheibe dort?
Siehſt du es leiſe glimmen, Funken zittern?
Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort!
Mir iſt, als woll’ es über uns gewittern.
Schau nicht zurück! Verwegner, fluch’ ihm nicht!
Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht!
Meinſt du, ein Fluch vergrößre ſeine Leiden?
Den Dieb am Galgen möchte er beneiden!
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Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/90>, abgerufen am 17.02.2025. |