Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Und wenn die Flocke zerronnen Und kehrt der Nachtigall Schlag, Dann blieb nur die heilige Messe An meinem Gedächtnißtag; Nur auf zerrissenem Blatte Ein Lied von flüchtigem Stift, Und mir zu Häupten die Decke Mit mooszerfressener Schrift. Wohl hab' ich viele Bekannte, Die gern mir öffnen ihr Haus, Doch wenn die Thüre geschlossen, Dann schaut man nimmer hinaus; Dann haben sie einen Andern An meiner Stelle erwählt, Der ihnen singt meine Lieder Und meine Geschichten erzählt. Wohl hab' ich ehrliche Freunde, Die greift es härter schon an; Doch wenn die Kette zerrissen, Man flickt sie so gut man kann; Zwei Tage blieben sie düster, -- Sie meinten es ernst und treu, -- Und gingen dann in die Oper Am dritten Tage auf's Neu. Und wenn die Flocke zerronnen Und kehrt der Nachtigall Schlag, Dann blieb nur die heilige Meſſe An meinem Gedächtnißtag; Nur auf zerriſſenem Blatte Ein Lied von flüchtigem Stift, Und mir zu Häupten die Decke Mit mooszerfreſſener Schrift. Wohl hab’ ich viele Bekannte, Die gern mir öffnen ihr Haus, Doch wenn die Thüre geſchloſſen, Dann ſchaut man nimmer hinaus; Dann haben ſie einen Andern An meiner Stelle erwählt, Der ihnen ſingt meine Lieder Und meine Geſchichten erzählt. Wohl hab’ ich ehrliche Freunde, Die greift es härter ſchon an; Doch wenn die Kette zerriſſen, Man flickt ſie ſo gut man kann; Zwei Tage blieben ſie düſter, — Sie meinten es ernſt und treu, — Und gingen dann in die Oper Am dritten Tage auf’s Neu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0072" n="56"/> <lg n="3"> <l>Und wenn die Flocke zerronnen</l><lb/> <l>Und kehrt der Nachtigall Schlag,</l><lb/> <l>Dann blieb nur die heilige Meſſe</l><lb/> <l>An meinem Gedächtnißtag;</l><lb/> <l>Nur auf zerriſſenem Blatte</l><lb/> <l>Ein Lied von flüchtigem Stift,</l><lb/> <l>Und mir zu Häupten die Decke</l><lb/> <l>Mit mooszerfreſſener Schrift.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wohl hab’ ich viele Bekannte,</l><lb/> <l>Die gern mir öffnen ihr Haus,</l><lb/> <l>Doch wenn die Thüre geſchloſſen,</l><lb/> <l>Dann ſchaut man nimmer hinaus;</l><lb/> <l>Dann haben ſie einen Andern</l><lb/> <l>An meiner Stelle erwählt,</l><lb/> <l>Der ihnen ſingt meine Lieder</l><lb/> <l>Und meine Geſchichten erzählt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wohl hab’ ich ehrliche Freunde,</l><lb/> <l>Die greift es härter ſchon an;</l><lb/> <l>Doch wenn die Kette zerriſſen,</l><lb/> <l>Man flickt ſie ſo gut man kann;</l><lb/> <l>Zwei Tage blieben ſie düſter,</l><lb/> <l>— Sie meinten es ernſt und treu, —</l><lb/> <l>Und gingen dann in die Oper</l><lb/> <l>Am dritten Tage auf’s Neu.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0072]
Und wenn die Flocke zerronnen
Und kehrt der Nachtigall Schlag,
Dann blieb nur die heilige Meſſe
An meinem Gedächtnißtag;
Nur auf zerriſſenem Blatte
Ein Lied von flüchtigem Stift,
Und mir zu Häupten die Decke
Mit mooszerfreſſener Schrift.
Wohl hab’ ich viele Bekannte,
Die gern mir öffnen ihr Haus,
Doch wenn die Thüre geſchloſſen,
Dann ſchaut man nimmer hinaus;
Dann haben ſie einen Andern
An meiner Stelle erwählt,
Der ihnen ſingt meine Lieder
Und meine Geſchichten erzählt.
Wohl hab’ ich ehrliche Freunde,
Die greift es härter ſchon an;
Doch wenn die Kette zerriſſen,
Man flickt ſie ſo gut man kann;
Zwei Tage blieben ſie düſter,
— Sie meinten es ernſt und treu, —
Und gingen dann in die Oper
Am dritten Tage auf’s Neu.
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