das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens ver- bietet die Ueberbringung der Gabe durch ein Fa- milienmitglied; wer keine Magd hat, schickt ein frem- des Kind. -- Am Hochzeitmorgen, etwa um acht, besteigt die Braut den mit einer weißen, goldflin- kernden Fahne geschmückten Wagen, der ihre Aus- stattung enthält; -- sie sitzt allein zwischen ihren Schätzen, im besten Staate, aber ohne besonderes Abzeichen und weint auf's Jämmerlichste; auch die auf dem folgenden Wagen gruppirten Brautjungfern und Nachbarinnen beobachten eine ernste, verschämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher trabenden Bursche durch Hutschwenken und hier und dort ein schwerfälliges Juchhei ihre Lustigkeit aus- zudrücken suchen, und zuweilen eine alte, blindge- ladene Flinte knallen lassen. -- Erst vor der Pfarr- kirche findet sich der Bräutigam mit seinem Gefolge ein, besteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, sondern trabt als einziger Fußgänger nebenher bis zur Thür seines Hauses, wo die junge Frau von der Schwiegermutter empfangen und mit einem "Gott segne deinen Ein- und Aus- gang" feierlich über die Schwelle geleitet wird. -- Lebt die Mutter nicht mehr, so vertritt der Pfarrer ihre Stelle, oder, wenn er zufällig gegenwärtig ist, der Gutsherr, was für eine sehr glückliche Vorbe- deutung gehalten wird, die den Neuvermählten und
das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens ver- bietet die Ueberbringung der Gabe durch ein Fa- milienmitglied; wer keine Magd hat, ſchickt ein frem- des Kind. — Am Hochzeitmorgen, etwa um acht, beſteigt die Braut den mit einer weißen, goldflin- kernden Fahne geſchmückten Wagen, der ihre Aus- ſtattung enthält; — ſie ſitzt allein zwiſchen ihren Schätzen, im beſten Staate, aber ohne beſonderes Abzeichen und weint auf’s Jämmerlichſte; auch die auf dem folgenden Wagen gruppirten Brautjungfern und Nachbarinnen beobachten eine ernſte, verſchämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher trabenden Burſche durch Hutſchwenken und hier und dort ein ſchwerfälliges Juchhei ihre Luſtigkeit aus- zudrücken ſuchen, und zuweilen eine alte, blindge- ladene Flinte knallen laſſen. — Erſt vor der Pfarr- kirche findet ſich der Bräutigam mit ſeinem Gefolge ein, beſteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, ſondern trabt als einziger Fußgänger nebenher bis zur Thür ſeines Hauſes, wo die junge Frau von der Schwiegermutter empfangen und mit einem „Gott ſegne deinen Ein- und Aus- gang“ feierlich über die Schwelle geleitet wird. — Lebt die Mutter nicht mehr, ſo vertritt der Pfarrer ihre Stelle, oder, wenn er zufällig gegenwärtig iſt, der Gutsherr, was für eine ſehr glückliche Vorbe- deutung gehalten wird, die den Neuvermählten und
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das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens ver-
bietet die Ueberbringung der Gabe durch ein Fa-
milienmitglied; wer keine Magd hat, ſchickt ein frem-
des Kind. — Am Hochzeitmorgen, etwa um acht,
beſteigt die Braut den mit einer weißen, goldflin-
kernden Fahne geſchmückten Wagen, der ihre Aus-
ſtattung enthält; — ſie ſitzt allein zwiſchen ihren
Schätzen, im beſten Staate, aber ohne beſonderes
Abzeichen und weint auf’s Jämmerlichſte; auch die
auf dem folgenden Wagen gruppirten Brautjungfern
und Nachbarinnen beobachten eine ernſte, verſchämte
Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher
trabenden Burſche durch Hutſchwenken und hier und
dort ein ſchwerfälliges Juchhei ihre Luſtigkeit aus-
zudrücken ſuchen, und zuweilen eine alte, blindge-
ladene Flinte knallen laſſen. — Erſt vor der Pfarr-
kirche findet ſich der Bräutigam mit ſeinem Gefolge
ein, beſteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen
der Braut, ſondern trabt als einziger Fußgänger
nebenher bis zur Thür ſeines Hauſes, wo die
junge Frau von der Schwiegermutter empfangen
und mit einem „Gott ſegne deinen Ein- und Aus-
gang“ feierlich über die Schwelle geleitet wird. —
Lebt die Mutter nicht mehr, ſo vertritt der Pfarrer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/297>, abgerufen am 24.11.2024.
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