Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gast- bitter mit ellenlangem Spruche seine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das ver- wandte Blut bis in das entfernteste Glied und bis zum Aermsten hinab geachtet wird. -- Nächst die- sem dürfen vor Allen die sogenannten Nachbarn nicht übergangen werden, drei oder vier Familien nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt woh- nen, aber in uralten Gemeinderegistern, aus den Zeiten einer noch viel sparsameren Bevölkerung, als "Nachbarn" verzeichnet stehen, und gleich Prinzen von Geblüt vor den näheren Seitenverbindungen, so auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den, vielleicht erst seit ein paar hundert Jahren Näher- wohnenden wahren. -- Am Tage vor der Hochzeit findet der "Gabenabend" statt -- eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern über die schwerste Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits stark dämmert, tritt eine Magd nach der andern in's Haus, setzt mit den Worten: "Gruß von unserer Frau" einen mit weißem Tuch bedeckten Korb auf den Tisch und entfernt sich sofort; dieser enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken -- je nach den Kräften eines Jeden -- und die Geschenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt ist, so reichlich aus, daß dieses um den nächsten Winter- vorrath nicht sorgen darf. -- Eine liebenswürdige,
Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gaſt- bitter mit ellenlangem Spruche ſeine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das ver- wandte Blut bis in das entfernteſte Glied und bis zum Aermſten hinab geachtet wird. — Nächſt die- ſem dürfen vor Allen die ſogenannten Nachbarn nicht übergangen werden, drei oder vier Familien nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt woh- nen, aber in uralten Gemeinderegiſtern, aus den Zeiten einer noch viel ſparſameren Bevölkerung, als „Nachbarn“ verzeichnet ſtehen, und gleich Prinzen von Geblüt vor den näheren Seitenverbindungen, ſo auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den, vielleicht erſt ſeit ein paar hundert Jahren Näher- wohnenden wahren. — Am Tage vor der Hochzeit findet der „Gabenabend“ ſtatt — eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern über die ſchwerſte Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits ſtark dämmert, tritt eine Magd nach der andern in’s Haus, ſetzt mit den Worten: „Gruß von unſerer Frau“ einen mit weißem Tuch bedeckten Korb auf den Tiſch und entfernt ſich ſofort; dieſer enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken — je nach den Kräften eines Jeden — und die Geſchenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt iſt, ſo reichlich aus, daß dieſes um den nächſten Winter- vorrath nicht ſorgen darf. — Eine liebenswürdige,
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Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gaſt-
bitter mit ellenlangem Spruche ſeine Runde, oft
meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das ver-
wandte Blut bis in das entfernteſte Glied und bis
zum Aermſten hinab geachtet wird. — Nächſt die-
ſem dürfen vor Allen die ſogenannten Nachbarn
nicht übergangen werden, drei oder vier Familien
nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt woh-
nen, aber in uralten Gemeinderegiſtern, aus den
Zeiten einer noch viel ſparſameren Bevölkerung, als
„Nachbarn“ verzeichnet ſtehen, und gleich Prinzen
von Geblüt vor den näheren Seitenverbindungen,
ſo auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den,
vielleicht erſt ſeit ein paar hundert Jahren Näher-
wohnenden wahren. — Am Tage vor der Hochzeit
findet der „Gabenabend“ ſtatt — eine freundliche
Sitte, um den jungen Anfängern über die ſchwerſte
Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits ſtark
dämmert, tritt eine Magd nach der andern in’s
Haus, ſetzt mit den Worten: „Gruß von unſerer
Frau“ einen mit weißem Tuch bedeckten Korb auf
den Tiſch und entfernt ſich ſofort; dieſer enthält
die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken — je
nach den Kräften eines Jeden — und die Geſchenke
fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt iſt, ſo
reichlich aus, daß dieſes um den nächſten Winter-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/296>, abgerufen am 24.11.2024.
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