Ziegen, um sie desto sicherer wiederzufinden, in's Kornfeld getrieben und mindestens ein Dutzend Zäune zerbrochen und Pfähle ausgerissen, um dir den nächsten Weg zu bahnen, und du hast dich, gut oder übel, zu einer vierfachen Abfindung ent- schließen müssen, -- und jetzt stehst du wie ein Amerikaner, der so eben den Wigwams der Irokesen entschlüpft ist, und die ersten Einfriedigungen einer Herrnhuterkolonie betritt, vor ein paar runden Flachsköpfen, in mindestens vier Kamisölern, Zipfel- mützen, Wollstrümpfen und den landesüblichen Holz- schuhen, die ihre Kuh ängstlich am Strick halten und vor Schrecken aufschreien, wenn sie nach einer Aehre schnappt. Ihre Züge, deren Milchhaut die Sonne kaum hat etwas anhaben können, tragen so offen den Ausdruck der gutmüthigsten Einfalt, daß du dich zu einer nochmaligen Nachfrage ent- schließest. "Herr!" sagt der Knabe, und reicht dir eine Kußhand, "das Ort weiß ich nicht." -- Du wendest dich an seinen Nachbar, der gar nicht ant- wortet, sondern dich nur anblinzt, als dächte er, du wollest ihn schlagen. -- "Herr!" nimmt der Erstere wieder das Wort, "der weiß es auch nicht;" verdrießlich trabst du fort, aber die Knaben haben zusammen geflüstert und der große Redner kömmt dir nachgeklappert: "Meint der Herr vielleicht --? (hier nennt er den Namen des Orts im Volks-
Ziegen, um ſie deſto ſicherer wiederzufinden, in’s Kornfeld getrieben und mindeſtens ein Dutzend Zäune zerbrochen und Pfähle ausgeriſſen, um dir den nächſten Weg zu bahnen, und du haſt dich, gut oder übel, zu einer vierfachen Abfindung ent- ſchließen müſſen, — und jetzt ſtehſt du wie ein Amerikaner, der ſo eben den Wigwams der Irokeſen entſchlüpft iſt, und die erſten Einfriedigungen einer Herrnhuterkolonie betritt, vor ein paar runden Flachsköpfen, in mindeſtens vier Kamiſölern, Zipfel- mützen, Wollſtrümpfen und den landesüblichen Holz- ſchuhen, die ihre Kuh ängſtlich am Strick halten und vor Schrecken aufſchreien, wenn ſie nach einer Aehre ſchnappt. Ihre Züge, deren Milchhaut die Sonne kaum hat etwas anhaben können, tragen ſo offen den Ausdruck der gutmüthigſten Einfalt, daß du dich zu einer nochmaligen Nachfrage ent- ſchließeſt. „Herr!“ ſagt der Knabe, und reicht dir eine Kußhand, „das Ort weiß ich nicht.“ — Du wendeſt dich an ſeinen Nachbar, der gar nicht ant- wortet, ſondern dich nur anblinzt, als dächte er, du wolleſt ihn ſchlagen. — „Herr!“ nimmt der Erſtere wieder das Wort, „der weiß es auch nicht;“ verdrießlich trabſt du fort, aber die Knaben haben zuſammen geflüſtert und der große Redner kömmt dir nachgeklappert: „Meint der Herr vielleicht —? (hier nennt er den Namen des Orts im Volks-
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Ziegen, um ſie deſto ſicherer wiederzufinden, in’s
Kornfeld getrieben und mindeſtens ein Dutzend
Zäune zerbrochen und Pfähle ausgeriſſen, um dir
den nächſten Weg zu bahnen, und du haſt dich,
gut oder übel, zu einer vierfachen Abfindung ent-
ſchließen müſſen, — und jetzt ſtehſt du wie ein
Amerikaner, der ſo eben den Wigwams der Irokeſen
entſchlüpft iſt, und die erſten Einfriedigungen einer
Herrnhuterkolonie betritt, vor ein paar runden
Flachsköpfen, in mindeſtens vier Kamiſölern, Zipfel-
mützen, Wollſtrümpfen und den landesüblichen Holz-
ſchuhen, die ihre Kuh ängſtlich am Strick halten
und vor Schrecken aufſchreien, wenn ſie nach einer
Aehre ſchnappt. Ihre Züge, deren Milchhaut die
Sonne kaum hat etwas anhaben können, tragen
ſo offen den Ausdruck der gutmüthigſten Einfalt,
daß du dich zu einer nochmaligen Nachfrage ent-
ſchließeſt. „Herr!“ ſagt der Knabe, und reicht dir
eine Kußhand, „das Ort weiß ich nicht.“ — Du
wendeſt dich an ſeinen Nachbar, der gar nicht ant-
wortet, ſondern dich nur anblinzt, als dächte er,
du wolleſt ihn ſchlagen. — „Herr!“ nimmt der
Erſtere wieder das Wort, „der weiß es auch nicht;“
verdrießlich trabſt du fort, aber die Knaben haben
zuſammen geflüſtert und der große Redner kömmt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/288>, abgerufen am 24.11.2024.
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