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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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schadhaftem Dache einige Arbeiter flickten, die sich
den Spaß machten, den Zauberer durch Spottreden,
hinabgeworfene Kalkstückchen etc. zu stören. -- Nach-
dem dieser sie wiederholt gebeten hatte, ihn nicht
zu irren, sagte er endlich: "Wenn ihr nicht Ruhe
haltet, so treibe ich euch die Raupen auf das Dach,"
und als die Neckereien dennoch nicht aufhörten,
ging er an die nächste Hecke, schnitt eine Menge
fingerlanger Stäbchen, stellte sie horizontal an die
Stallmauer und entfernte sich. -- Alsbald ver-
ließen sämmtliche Raupen ihre Pflanzen, krochen in
breiten grünen Colonnen über die Sandwege an
den Stäbchen die Mauer aufwärts, und nach einer
halben Stunde hatten die Arbeiter das Feld ge-
räumt und standen im Hofe, mit Ungeziefer be-
säet, und nach dem Dache deutend, das wie mit
einer grünen wimmelnden Decke überzogen war. --
Wir geben das Ebenerzählte übrigens keineswegs
als etwas Besonderes, da die oben berührte Er-
klärung durch auf den Geruch wirkende Essenzen
hier am ersten stattfinden dürfte, sondern nur als
ein kleines Genrebild aus dem Thun und Treiben
eines phantasiereichen und eben besprochenen Volkes.

Ehe wir von diesem zu anderen übergehen, er-
lauben wir uns noch zum Schlusse die Mittheilung
einer vor etwa vierzig Jahren vorgefallenen Scene,
die allerdings unter der jetzigen Regierung nicht mehr

ſchadhaftem Dache einige Arbeiter flickten, die ſich
den Spaß machten, den Zauberer durch Spottreden,
hinabgeworfene Kalkſtückchen ꝛc. zu ſtören. — Nach-
dem dieſer ſie wiederholt gebeten hatte, ihn nicht
zu irren, ſagte er endlich: „Wenn ihr nicht Ruhe
haltet, ſo treibe ich euch die Raupen auf das Dach,“
und als die Neckereien dennoch nicht aufhörten,
ging er an die nächſte Hecke, ſchnitt eine Menge
fingerlanger Stäbchen, ſtellte ſie horizontal an die
Stallmauer und entfernte ſich. — Alsbald ver-
ließen ſämmtliche Raupen ihre Pflanzen, krochen in
breiten grünen Colonnen über die Sandwege an
den Stäbchen die Mauer aufwärts, und nach einer
halben Stunde hatten die Arbeiter das Feld ge-
räumt und ſtanden im Hofe, mit Ungeziefer be-
ſäet, und nach dem Dache deutend, das wie mit
einer grünen wimmelnden Decke überzogen war. —
Wir geben das Ebenerzählte übrigens keineswegs
als etwas Beſonderes, da die oben berührte Er-
klärung durch auf den Geruch wirkende Eſſenzen
hier am erſten ſtattfinden dürfte, ſondern nur als
ein kleines Genrebild aus dem Thun und Treiben
eines phantaſiereichen und eben beſprochenen Volkes.

Ehe wir von dieſem zu anderen übergehen, er-
lauben wir uns noch zum Schluſſe die Mittheilung
einer vor etwa vierzig Jahren vorgefallenen Scene,
die allerdings unter der jetzigen Regierung nicht mehr

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[265/0281] ſchadhaftem Dache einige Arbeiter flickten, die ſich den Spaß machten, den Zauberer durch Spottreden, hinabgeworfene Kalkſtückchen ꝛc. zu ſtören. — Nach- dem dieſer ſie wiederholt gebeten hatte, ihn nicht zu irren, ſagte er endlich: „Wenn ihr nicht Ruhe haltet, ſo treibe ich euch die Raupen auf das Dach,“ und als die Neckereien dennoch nicht aufhörten, ging er an die nächſte Hecke, ſchnitt eine Menge fingerlanger Stäbchen, ſtellte ſie horizontal an die Stallmauer und entfernte ſich. — Alsbald ver- ließen ſämmtliche Raupen ihre Pflanzen, krochen in breiten grünen Colonnen über die Sandwege an den Stäbchen die Mauer aufwärts, und nach einer halben Stunde hatten die Arbeiter das Feld ge- räumt und ſtanden im Hofe, mit Ungeziefer be- ſäet, und nach dem Dache deutend, das wie mit einer grünen wimmelnden Decke überzogen war. — Wir geben das Ebenerzählte übrigens keineswegs als etwas Beſonderes, da die oben berührte Er- klärung durch auf den Geruch wirkende Eſſenzen hier am erſten ſtattfinden dürfte, ſondern nur als ein kleines Genrebild aus dem Thun und Treiben eines phantaſiereichen und eben beſprochenen Volkes. Ehe wir von dieſem zu anderen übergehen, er- lauben wir uns noch zum Schluſſe die Mittheilung einer vor etwa vierzig Jahren vorgefallenen Scene, die allerdings unter der jetzigen Regierung nicht mehr

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/281>, abgerufen am 25.11.2024.