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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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vergeudet, erschöpft, und sich dem Einflusse von
Winkeladvokaten hingiebt, die ihm über jeden Zaun-
pfahl einen Prozeß einfädeln, der ihn völlig aus-
saugt, fast immer zur Auspfändung, und häufig
von Hof und Haus bringt. -- Große Noth treibt
ihn zu großen Anstrengungen, aber nur bis das
dringendste Bedürfniß gestillt ist, -- jeder erübrigte
Groschen, den der Münsterländer sorglich zurück-
legen, der Sauerländer in irgend ein Geschäft stecken
würde, wird hier am liebsten von dem Kind der
Armuth sofort dem Wirthe und Kleinhändler zu-
getragen, und die Schenken sind meist gefüllt mit
Glückseligen, die sich einen oder ein paar blaue
Montage machen, um nachher wieder auf die alte
Weise fort zu hungern und zu taglöhnern. -- So
verleben leider Viele, ohwohl in einem fruchtbaren
Lande, und mit allen Naturgaben ausgerüstet, die
sonst in der Welt voran bringen, ihre Jugend in
Armuth und gehen einem elenden Alter am Bettel-
stabe entgegen. -- In seiner Verwahrlosung dem
Aberglauben zugeneigt, glaubt der Unglückliche sehr
fromm zu sein, während er seinem Gewissen die
ungebührlichsten Ausdehnungen zumuthet. Wirklich
stehen auch manche Pflichten seinen mit der Mutter-
milch eingesogenen Ansichten von eigenem Rechte zu
sehr entgegen, als daß er sie je begreifen sollte, --
jene gegen den Gutsherrn zum Beispiel, den er

vergeudet, erſchöpft, und ſich dem Einfluſſe von
Winkeladvokaten hingiebt, die ihm über jeden Zaun-
pfahl einen Prozeß einfädeln, der ihn völlig aus-
ſaugt, faſt immer zur Auspfändung, und häufig
von Hof und Haus bringt. — Große Noth treibt
ihn zu großen Anſtrengungen, aber nur bis das
dringendſte Bedürfniß geſtillt iſt, — jeder erübrigte
Groſchen, den der Münſterländer ſorglich zurück-
legen, der Sauerländer in irgend ein Geſchäft ſtecken
würde, wird hier am liebſten von dem Kind der
Armuth ſofort dem Wirthe und Kleinhändler zu-
getragen, und die Schenken ſind meiſt gefüllt mit
Glückſeligen, die ſich einen oder ein paar blaue
Montage machen, um nachher wieder auf die alte
Weiſe fort zu hungern und zu taglöhnern. — So
verleben leider Viele, ohwohl in einem fruchtbaren
Lande, und mit allen Naturgaben ausgerüſtet, die
ſonſt in der Welt voran bringen, ihre Jugend in
Armuth und gehen einem elenden Alter am Bettel-
ſtabe entgegen. — In ſeiner Verwahrloſung dem
Aberglauben zugeneigt, glaubt der Unglückliche ſehr
fromm zu ſein, während er ſeinem Gewiſſen die
ungebührlichſten Ausdehnungen zumuthet. Wirklich
ſtehen auch manche Pflichten ſeinen mit der Mutter-
milch eingeſogenen Anſichten von eigenem Rechte zu
ſehr entgegen, als daß er ſie je begreifen ſollte, —
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[252/0268] vergeudet, erſchöpft, und ſich dem Einfluſſe von Winkeladvokaten hingiebt, die ihm über jeden Zaun- pfahl einen Prozeß einfädeln, der ihn völlig aus- ſaugt, faſt immer zur Auspfändung, und häufig von Hof und Haus bringt. — Große Noth treibt ihn zu großen Anſtrengungen, aber nur bis das dringendſte Bedürfniß geſtillt iſt, — jeder erübrigte Groſchen, den der Münſterländer ſorglich zurück- legen, der Sauerländer in irgend ein Geſchäft ſtecken würde, wird hier am liebſten von dem Kind der Armuth ſofort dem Wirthe und Kleinhändler zu- getragen, und die Schenken ſind meiſt gefüllt mit Glückſeligen, die ſich einen oder ein paar blaue Montage machen, um nachher wieder auf die alte Weiſe fort zu hungern und zu taglöhnern. — So verleben leider Viele, ohwohl in einem fruchtbaren Lande, und mit allen Naturgaben ausgerüſtet, die ſonſt in der Welt voran bringen, ihre Jugend in Armuth und gehen einem elenden Alter am Bettel- ſtabe entgegen. — In ſeiner Verwahrloſung dem Aberglauben zugeneigt, glaubt der Unglückliche ſehr fromm zu ſein, während er ſeinem Gewiſſen die ungebührlichſten Ausdehnungen zumuthet. Wirklich ſtehen auch manche Pflichten ſeinen mit der Mutter- milch eingeſogenen Anſichten von eigenem Rechte zu ſehr entgegen, als daß er ſie je begreifen ſollte, — jene gegen den Gutsherrn zum Beiſpiel, den er

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/268>, abgerufen am 25.11.2024.