begreift sich wohl; so wie aus dem Gesagten her- vorgeht, daß dort nicht der Hort der Träume und Mährchen, der charakteristischen Sitten und Ge- bräuche zu suchen ist; denn obwohl die Sage manche Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeistern, und den Gespenstern Ermordeter, oder in den Irrgängen Verschmachteter bevölkert hat, so lacht doch jedes Kind darüber, und nur der minder beherzte oder phantasiereichere Reisende fährt zusammen, wenn ihm in dem schwarzen Schlunde etwa eine Eule entgegenwimmert, oder ein kalter Tropfen von den Steinzapfen in seinen Nacken rieselt. Kurz der Sohn der Industrie besitzt vom Bergbewohner nur die eiserne Gesundheit, Körperkraft und Entschlossen- heit, aber ohne den romantischen Anflug und die Phantasie, welche sich an großartigen Umgebungen zu entwickeln pflegen, -- er liebt sein Land, ohne dessen Charakter herauszufühlen; er liebt seine Berge, weil sie Eisen und freien Athemzug; seine Felsen, weil sie vortreffliches Material und Fern- sichten, seine rauschenden Wasserfälle, weil sie den Fabrikrädern rascheren Umschwung geben, und das Ganze endlich, weil es seine Heimath und in dessen Luft ihm am wohlsten ist. -- Seine Festlichkeiten sind nach den Umständen des Gastgebers, den städtischen möglichst nachgebildet; seine Trachten desgleichen. -- Alles wie anderwärts, staubende
begreift ſich wohl; ſo wie aus dem Geſagten her- vorgeht, daß dort nicht der Hort der Träume und Mährchen, der charakteriſtiſchen Sitten und Ge- bräuche zu ſuchen iſt; denn obwohl die Sage manche Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeiſtern, und den Geſpenſtern Ermordeter, oder in den Irrgängen Verſchmachteter bevölkert hat, ſo lacht doch jedes Kind darüber, und nur der minder beherzte oder phantaſiereichere Reiſende fährt zuſammen, wenn ihm in dem ſchwarzen Schlunde etwa eine Eule entgegenwimmert, oder ein kalter Tropfen von den Steinzapfen in ſeinen Nacken rieſelt. Kurz der Sohn der Induſtrie beſitzt vom Bergbewohner nur die eiſerne Geſundheit, Körperkraft und Entſchloſſen- heit, aber ohne den romantiſchen Anflug und die Phantaſie, welche ſich an großartigen Umgebungen zu entwickeln pflegen, — er liebt ſein Land, ohne deſſen Charakter herauszufühlen; er liebt ſeine Berge, weil ſie Eiſen und freien Athemzug; ſeine Felſen, weil ſie vortreffliches Material und Fern- ſichten, ſeine rauſchenden Waſſerfälle, weil ſie den Fabrikrädern raſcheren Umſchwung geben, und das Ganze endlich, weil es ſeine Heimath und in deſſen Luft ihm am wohlſten iſt. — Seine Feſtlichkeiten ſind nach den Umſtänden des Gaſtgebers, den ſtädtiſchen möglichſt nachgebildet; ſeine Trachten desgleichen. — Alles wie anderwärts, ſtaubende
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begreift ſich wohl; ſo wie aus dem Geſagten her-
vorgeht, daß dort nicht der Hort der Träume und
Mährchen, der charakteriſtiſchen Sitten und Ge-
bräuche zu ſuchen iſt; denn obwohl die Sage manche
Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeiſtern, und
den Geſpenſtern Ermordeter, oder in den Irrgängen
Verſchmachteter bevölkert hat, ſo lacht doch jedes
Kind darüber, und nur der minder beherzte oder
phantaſiereichere Reiſende fährt zuſammen, wenn
ihm in dem ſchwarzen Schlunde etwa eine Eule
entgegenwimmert, oder ein kalter Tropfen von den
Steinzapfen in ſeinen Nacken rieſelt. Kurz der
Sohn der Induſtrie beſitzt vom Bergbewohner nur
die eiſerne Geſundheit, Körperkraft und Entſchloſſen-
heit, aber ohne den romantiſchen Anflug und die
Phantaſie, welche ſich an großartigen Umgebungen
zu entwickeln pflegen, — er liebt ſein Land, ohne
deſſen Charakter herauszufühlen; er liebt ſeine
Berge, weil ſie Eiſen und freien Athemzug; ſeine
Felſen, weil ſie vortreffliches Material und Fern-
ſichten, ſeine rauſchenden Waſſerfälle, weil ſie den
Fabrikrädern raſcheren Umſchwung geben, und das
Ganze endlich, weil es ſeine Heimath und in deſſen
Luft ihm am wohlſten iſt. — Seine Feſtlichkeiten
ſind nach den Umſtänden des Gaſtgebers, den
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/265>, abgerufen am 25.11.2024.
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