nur noch in einzelnen, gleichsam verirrten Partieen, die uns jetzt durch ihre Seltenheit so überraschend anregen, wie früher die kühneren Formen, von denen wir fortan durch tagelange Wanderungen fast über- sättigt werden. Der Sauerländer rühmt sich eines glorreichen Ursprungs seiner Benennung -- dieses ist mir ein saures Land geworden, soll Karl der Große gesagt haben -- und wirklich, wenn wir uns durch die mit Felsblöcken halb verrammelten Schluchten des Binnenlandes winden, unter Wänden her, deren Unersteiglichkeit wir mit schwindelndem Auge messen und aus denen sich kolossale Balkone strecken, breit und fest genug, eine wilde Berghorde zu tragen, so zweifeln wir nicht an der Wahrheit dieses Worts, mag es nun gesagt sein oder nicht. Das Gebirge ist wasserreich, und in den Thal- schlünden das Getöse der niederrauschenden und brodelnden Quellen fast betäubend, wogegen der Vogelgesang in den überhand nehmenden Fichten- waldungen mehr und mehr erstirbt, bis wir zuletzt nur Geier und Habichte die Felszacken umkreisen sehen, und ihre grellen Diebspfeifen sich hoch in der Luft antworten hören. Ueberall starren uns die schwarzen Eingänge der Stollen, Spalten und Stalaktitenhöhlen entgegen, deren Senkungen noch zum Theil nicht ergründet sind, und an die sich Sagen von Wegelagerern, Berggeistern und ver-
nur noch in einzelnen, gleichſam verirrten Partieen, die uns jetzt durch ihre Seltenheit ſo überraſchend anregen, wie früher die kühneren Formen, von denen wir fortan durch tagelange Wanderungen faſt über- ſättigt werden. Der Sauerländer rühmt ſich eines glorreichen Urſprungs ſeiner Benennung — dieſes iſt mir ein ſaures Land geworden, ſoll Karl der Große geſagt haben — und wirklich, wenn wir uns durch die mit Felsblöcken halb verrammelten Schluchten des Binnenlandes winden, unter Wänden her, deren Unerſteiglichkeit wir mit ſchwindelndem Auge meſſen und aus denen ſich koloſſale Balkone ſtrecken, breit und feſt genug, eine wilde Berghorde zu tragen, ſo zweifeln wir nicht an der Wahrheit dieſes Worts, mag es nun geſagt ſein oder nicht. Das Gebirge iſt waſſerreich, und in den Thal- ſchlünden das Getöſe der niederrauſchenden und brodelnden Quellen faſt betäubend, wogegen der Vogelgeſang in den überhand nehmenden Fichten- waldungen mehr und mehr erſtirbt, bis wir zuletzt nur Geier und Habichte die Felszacken umkreiſen ſehen, und ihre grellen Diebspfeifen ſich hoch in der Luft antworten hören. Ueberall ſtarren uns die ſchwarzen Eingänge der Stollen, Spalten und Stalaktitenhöhlen entgegen, deren Senkungen noch zum Theil nicht ergründet ſind, und an die ſich Sagen von Wegelagerern, Berggeiſtern und ver-
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nur noch in einzelnen, gleichſam verirrten Partieen,
die uns jetzt durch ihre Seltenheit ſo überraſchend
anregen, wie früher die kühneren Formen, von denen
wir fortan durch tagelange Wanderungen faſt über-
ſättigt werden. Der Sauerländer rühmt ſich eines
glorreichen Urſprungs ſeiner Benennung — dieſes
iſt mir ein ſaures Land geworden, ſoll Karl der
Große geſagt haben — und wirklich, wenn wir
uns durch die mit Felsblöcken halb verrammelten
Schluchten des Binnenlandes winden, unter Wänden
her, deren Unerſteiglichkeit wir mit ſchwindelndem
Auge meſſen und aus denen ſich koloſſale Balkone
ſtrecken, breit und feſt genug, eine wilde Berghorde
zu tragen, ſo zweifeln wir nicht an der Wahrheit
dieſes Worts, mag es nun geſagt ſein oder nicht.
Das Gebirge iſt waſſerreich, und in den Thal-
ſchlünden das Getöſe der niederrauſchenden und
brodelnden Quellen faſt betäubend, wogegen der
Vogelgeſang in den überhand nehmenden Fichten-
waldungen mehr und mehr erſtirbt, bis wir zuletzt
nur Geier und Habichte die Felszacken umkreiſen
ſehen, und ihre grellen Diebspfeifen ſich hoch in
der Luft antworten hören. Ueberall ſtarren uns
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/260>, abgerufen am 24.11.2024.
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