von hier!" -- "Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich ein! ich habe kein Geld." --
Nach einigem Zögern ward die Thür geöffnet und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. -- "Kommt nur herein;" sagte er dann, "Ihr werdet uns den Hals nicht abschneiden."
In der Küche befanden sich außer dem Manne eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter und fünf Kinder. Alle drängten sich um den Ein- tretenden her und musterten ihn mit scheuer Neu- gier. Eine armselige Figur! mit schiefem Halse, gekrümmtem Rücken, die ganze Gestalt gebrochen und kraftlos; langes, schneeweißes Haar hing um sein Gesicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging schweigend an den Heerd und legte frisches Reisig zu. -- "Ein Bett können wir Euch nicht geben," sagte sie; "aber ich will hier eine gute Streu machen; Ihr müßt Euch schon so behelfen." -- "Gott's Lohn!" versetzte der Fremde; "ich bin's wohl schlechter gewohnt." -- Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er selbst bethätigte, daß er derselbe sei, der einst mit Friedrich Mergel entflohen.
Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des so lange Verschollenen.
Jeder wollte den Mann aus der Türkei sehen, und man wunderte sich beinahe, daß er noch aus-
von hier!“ — „Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich ein! ich habe kein Geld.“ —
Nach einigem Zögern ward die Thür geöffnet und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. — „Kommt nur herein;“ ſagte er dann, „Ihr werdet uns den Hals nicht abſchneiden.“
In der Küche befanden ſich außer dem Manne eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter und fünf Kinder. Alle drängten ſich um den Ein- tretenden her und muſterten ihn mit ſcheuer Neu- gier. Eine armſelige Figur! mit ſchiefem Halſe, gekrümmtem Rücken, die ganze Geſtalt gebrochen und kraftlos; langes, ſchneeweißes Haar hing um ſein Geſicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging ſchweigend an den Heerd und legte friſches Reiſig zu. — „Ein Bett können wir Euch nicht geben,“ ſagte ſie; „aber ich will hier eine gute Streu machen; Ihr müßt Euch ſchon ſo behelfen.“ — „Gott’s Lohn!“ verſetzte der Fremde; „ich bin’s wohl ſchlechter gewohnt.“ — Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er ſelbſt bethätigte, daß er derſelbe ſei, der einſt mit Friedrich Mergel entflohen.
Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des ſo lange Verſchollenen.
Jeder wollte den Mann aus der Türkei ſehen, und man wunderte ſich beinahe, daß er noch aus-
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von hier!“ — „Um Gottes Barmherzigkeit willen,
laßt mich ein! ich habe kein Geld.“ —
Nach einigem Zögern ward die Thür geöffnet
und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. —
„Kommt nur herein;“ ſagte er dann, „Ihr werdet
uns den Hals nicht abſchneiden.“
In der Küche befanden ſich außer dem Manne
eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter
und fünf Kinder. Alle drängten ſich um den Ein-
tretenden her und muſterten ihn mit ſcheuer Neu-
gier. Eine armſelige Figur! mit ſchiefem Halſe,
gekrümmtem Rücken, die ganze Geſtalt gebrochen
und kraftlos; langes, ſchneeweißes Haar hing um
ſein Geſicht, das den verzogenen Ausdruck langen
Leidens trug. Die Frau ging ſchweigend an den
Heerd und legte friſches Reiſig zu. — „Ein Bett
können wir Euch nicht geben,“ ſagte ſie; „aber ich
will hier eine gute Streu machen; Ihr müßt Euch
ſchon ſo behelfen.“ — „Gott’s Lohn!“ verſetzte
der Fremde; „ich bin’s wohl ſchlechter gewohnt.“ —
Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand
erkannt, und er ſelbſt bethätigte, daß er derſelbe
ſei, der einſt mit Friedrich Mergel entflohen.
Das Dorf war am folgenden Tage voll von
den Abenteuern des ſo lange Verſchollenen.
Jeder wollte den Mann aus der Türkei ſehen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/230>, abgerufen am 29.06.2024.
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