Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.In Kurzem gäbst vielleicht du manchen Tag, O wer nur ernst und fest die Stund' ergreift, Den Kranz ihr auch von bleichen Locken streift, Dem spendet willig sie die reichste Beute; Doch wir, wir Thoren drängen sie zurück, Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück, Und unsre Morgen morden unsre Heute. Durchwachte Nacht. Es sank die Sonne glüh und schön, Und aus versengter Welle dann Wie rauchte nicht das Nebelmeer Die sternenlose Nacht heran! -- Ich höre ferne Schritte geh'n, -- Die Uhr schlägt zehn. Noch ist nicht alles Leben eingenickt, Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren; In Kurzem gäbſt vielleicht du manchen Tag, O wer nur ernſt und feſt die Stund’ ergreift, Den Kranz ihr auch von bleichen Locken ſtreift, Dem ſpendet willig ſie die reichſte Beute; Doch wir, wir Thoren drängen ſie zurück, Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück, Und unſre Morgen morden unſre Heute. Durchwachte Nacht. Es ſank die Sonne glüh und ſchön, Und aus verſengter Welle dann Wie rauchte nicht das Nebelmeer Die ſternenloſe Nacht heran! — Ich höre ferne Schritte geh’n, — Die Uhr ſchlägt zehn. Noch iſt nicht alles Leben eingenickt, Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <pb facs="#f0023" n="7"/> <l>In Kurzem gäbſt vielleicht du manchen Tag,</l><lb/> <l>Um einmal noch dies graue Haupt zu ſehen.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>O wer nur ernſt und feſt die Stund’ ergreift,</l><lb/> <l>Den Kranz ihr auch von bleichen Locken ſtreift,</l><lb/> <l>Dem ſpendet willig ſie die reichſte Beute;</l><lb/> <l>Doch wir, wir Thoren drängen ſie zurück,</l><lb/> <l>Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,</l><lb/> <l>Und unſre Morgen morden unſre Heute.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Durchwachte Nacht.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>s ſank die Sonne glüh und ſchön,</l><lb/> <l>Und aus verſengter Welle dann</l><lb/> <l>Wie rauchte nicht das Nebelmeer</l><lb/> <l>Die ſternenloſe Nacht heran! —</l><lb/> <l>Ich höre ferne Schritte geh’n, —</l><lb/> <l>Die Uhr ſchlägt zehn.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Noch iſt nicht alles Leben eingenickt,</l><lb/> <l>Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren;</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0023]
In Kurzem gäbſt vielleicht du manchen Tag,
Um einmal noch dies graue Haupt zu ſehen.
O wer nur ernſt und feſt die Stund’ ergreift,
Den Kranz ihr auch von bleichen Locken ſtreift,
Dem ſpendet willig ſie die reichſte Beute;
Doch wir, wir Thoren drängen ſie zurück,
Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,
Und unſre Morgen morden unſre Heute.
Durchwachte Nacht.
Es ſank die Sonne glüh und ſchön,
Und aus verſengter Welle dann
Wie rauchte nicht das Nebelmeer
Die ſternenloſe Nacht heran! —
Ich höre ferne Schritte geh’n, —
Die Uhr ſchlägt zehn.
Noch iſt nicht alles Leben eingenickt,
Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren;
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