nachgedrängt. -- "Packt den Juden! wiegt ihn gegen ein Schwein!" riefen Einige; Andere waren ernst geworden. -- "Der Friedrich sah so blaß aus wie ein Tuch," sagte eine alte Frau, und die Menge theilte sich, wie der Wagen des Gutsherrn in den Hof lenkte. Herr von S. war auf dem Heimwege verstimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunsch, seine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog, solchen Festen beizuwohnen. Er sah schweigend aus dem Wagen. "Was sind denn das für ein paar Figuren?" -- Er deutete auf zwei dunkle Gestalten, die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun schlüpften sie in's Schloß. -- "Auch ein paar selige Schweine aus unserm eigenen Stall!" seufzte Herr von S. -- Zu Hause angekommen, fand er die Haus- flur vom ganzen Dienstpersonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umstand, welche sich blaß und athemlos auf der Stiege niedergelassen hatten. Sie behaupteten, von des alten Mergels Geist verfolgt worden zu sein, als sie durch's Brederholz heim- kehrten. Zuerst hatte es über ihnen an der Höhe gerauscht und geknistert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper, wie von aneinander schlagenden Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz deutlich die Worte: "O weh, meine arme Seele!" hoch von oben herab. Der Eine wollte auch glü- hende Augen durch die Zweige funkeln gesehen haben,
nachgedrängt. — „Packt den Juden! wiegt ihn gegen ein Schwein!“ riefen Einige; Andere waren ernſt geworden. — „Der Friedrich ſah ſo blaß aus wie ein Tuch,“ ſagte eine alte Frau, und die Menge theilte ſich, wie der Wagen des Gutsherrn in den Hof lenkte. Herr von S. war auf dem Heimwege verſtimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunſch, ſeine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog, ſolchen Feſten beizuwohnen. Er ſah ſchweigend aus dem Wagen. „Was ſind denn das für ein paar Figuren?“ — Er deutete auf zwei dunkle Geſtalten, die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun ſchlüpften ſie in’s Schloß. — „Auch ein paar ſelige Schweine aus unſerm eigenen Stall!“ ſeufzte Herr von S. — Zu Hauſe angekommen, fand er die Haus- flur vom ganzen Dienſtperſonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umſtand, welche ſich blaß und athemlos auf der Stiege niedergelaſſen hatten. Sie behaupteten, von des alten Mergels Geiſt verfolgt worden zu ſein, als ſie durch’s Brederholz heim- kehrten. Zuerſt hatte es über ihnen an der Höhe gerauſcht und gekniſtert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper, wie von aneinander ſchlagenden Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz deutlich die Worte: „O weh, meine arme Seele!“ hoch von oben herab. Der Eine wollte auch glü- hende Augen durch die Zweige funkeln geſehen haben,
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nachgedrängt. — „Packt den Juden! wiegt ihn
gegen ein Schwein!“ riefen Einige; Andere waren
ernſt geworden. — „Der Friedrich ſah ſo blaß aus
wie ein Tuch,“ ſagte eine alte Frau, und die Menge
theilte ſich, wie der Wagen des Gutsherrn in den
Hof lenkte. Herr von S. war auf dem Heimwege
verſtimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunſch,
ſeine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog,
ſolchen Feſten beizuwohnen. Er ſah ſchweigend aus
dem Wagen. „Was ſind denn das für ein paar
Figuren?“ — Er deutete auf zwei dunkle Geſtalten,
die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun
ſchlüpften ſie in’s Schloß. — „Auch ein paar ſelige
Schweine aus unſerm eigenen Stall!“ ſeufzte Herr
von S. — Zu Hauſe angekommen, fand er die Haus-
flur vom ganzen Dienſtperſonal eingenommen, das
zwei Kleinknechte umſtand, welche ſich blaß und
athemlos auf der Stiege niedergelaſſen hatten. Sie
behaupteten, von des alten Mergels Geiſt verfolgt
worden zu ſein, als ſie durch’s Brederholz heim-
kehrten. Zuerſt hatte es über ihnen an der Höhe
gerauſcht und gekniſtert; darauf hoch in der Luft
ein Geklapper, wie von aneinander ſchlagenden
Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/216>, abgerufen am 23.11.2024.
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